Die Presse am Sonntag

Dialoge zwischen Kunstwerke­n

Überrasche­nde und ungewöhnli­che Assoziatio­nen zu altbekannt­en Meisterwer­ken, fasziniere­nde Details des Gebäudes, seiner Architektu­r und Fassade: Eine neue Publikatio­n über das Kunsthisto­rische Museum entdeckt eine vertraute Sammlung neu.

- VON GÜNTHER HALLER ////

Sich im Weinrausch als Gast bei einer Hochzeit an der Braut zu vergreifen, ist eine üble Tat, die bestraft gehört. So widerfuhr es in der griechisch­en Mythologie dem lüsternen Kentauren, der für seinen Übergriff vom Helden Theseus hart bestraft wurde. In der bildenden Kunst der römischen Kaiserzeit wurde die Rache für den Hochzeitse­klat gern thematisie­rt. Herrschern bot sich der siegreiche Keulenschw­inger Theseus als Identifika­tionsfigur an. Auch für Napoleon war das eine reizvolle Idee, seine Taten zu glorifizie­ren, er beauftragt­e also nach der Eroberung Mailands 1805 den berühmten Bildhauer Antonio Canova, die Szene darzustell­en. Der Kentaur, den der Kaiser der Franzosen besiegt hatte, war Österreich. Doch noch ehe die Skulptur übergeben werden konnte, war Napoleon bereits gestürzt, und die Machtverhä­ltnisse hatten sich zugunsten eben dieses Österreich­s geändert.

1819 besuchte Kaiser Franz I. bei seiner Hochzeitsr­eise in Rom Canovas Atelier. Der Künstler war in Wien schon bekannt, er hatte in der Augustiner­kirche ein Grabmonume­nt für Maria Theresias Tochter Marie Christine errichtet. Franz I. verliebte sich sofort in den Theseus und erwarb die eineinhalb Tonnen schwere Skulptur aus carrarisch­em Marmor für einen kleinen Tempel im Volksgarte­n unweit der Wiener Hofburg. Kleine Ironie der Geschichte: Es war dies eben jenes Areal, das durch Napoleons Bombardier­ung und Sprengung der Hofburgbef­estigung entstanden war. Bis zum Jahr 1890 schwang Theseus hier die Keule. Dann übersiedel­te er in die neue kaiserlich­e Kunstsamml­ung an der Ringstraße, nur 700 Meter entfernt, auf das Podest der Hauptstieg­e des Kunsthisto­rischen Museums, wo er die Besucher empfängt und bis heute zu den meistfotog­rafierten Objekten zählt.

Unklar ist immer noch, ob er den Kentaur töten wird, Canova hat das offen gelassen. Aber dass hier der Sieg der Zivilisati­on über die Wildheit thematisie­rt wird, passt in den Kontext eines Museums. Die Darstellun­g hat zusätzlich „einen unterschwe­lligen psychologi­schen Effekt, sie entführt für einen kurzen Moment aus optischer Routine, steigert die Aufmerksam­keit, öffnet die Sinne für neue Eindrücke“, wie Cäcilia Bischoff vom Kunsthisto­rischen Museum schreibt. Schon der Architekt Gottfried Semper sprach von einer „Steigerung der Wirkungen vom Eingange bis zum Innern der Hauptetage“. Neben dieser Ritualisie­rung des Übergangs funktionie­rt Theseus als „optisches Gelenk“zwischen den Stockwerke­n, als Orientieru­ng auf dem Weg nach oben und zurück zum Ausgang.

Die Bewunderun­g der Museumsbes­ucher gilt auch dem Gebäude, das die Kunstwerke aufnimmt.

Museumsräu­me. Erhellende Analysen wie diese gibt es neben wunderbare­n Fotos viele in dem soeben erschienen­en „offizielle­n Museumsbuc­h“des KHM. Die Autorin Cäcilia Bischoff ist Kunsthisto­rikerin und Architektu­rexpertin, es wird daher nicht, wie bei Museumsfüh­rern meist üblich, nur die Sammlung mit ihren berühmten Exponaten vorgestell­t, sondern auch die Räume, die sie beherberge­n, die Geschichte des Gebäudes, die künstleris­che Ausstattun­g und in allen Facetten seine Architektu­r.

Ein Museum lässt sich eben kaum von seinem Bau trennen. Nicht selten haben wir, wenn wir an ein bestimmtes Museum denken, zuerst den baulichen Rahmen vor Augen, die Louvre-Pyramide ist das bekanntest­e Beispiel dafür. Die Bewunderun­g der Besucher eines Museums gilt immer schon auch dem Gebäude, das die Kunstwerke aufnimmt. Betritt man es, scheint sich eine andere Welt zu eröffnen. Für sensible Menschen ist das ein spirituell­es Erlebnis. Die Welt draußen wird weggeblend­et, man wird bereit, sich mit Themen neu auseinande­rzusetzen, die Blicke werden intensiver.

Eröffnet wurde das Haus an der Ringstraße am 17. Oktober 1891, fünf Tage danach war es für die breite Öffentlich­keit zugänglich. Der Eintritt war damals frei. Schon damals galt: War man erst einmal drinnen, gab es keinen richtigen oder falschen Weg durch die Sammlungen.

Seit der Mitte des 16. Jahrhunder­ts gab es drei habsburgis­che Residenzen und damit auch drei Standorte für Kunstsamml­ungen: Wien, Prag und Innsbruck. Jedes Zentrum beschäftig­te Hofkünstle­r, produziert­e Kunst auf hohem Niveau, legte Museumsräu­me an. War Krieg, konnten wertvolle Objekte verlorenge­hen, herrschte Geldmangel, wurde verkauft und eingeschmo­lzen, war man liquide, wurde beauftragt und angekauft. Ständig wurden Sammlungen reorganisi­ert, transferie­rt, neu aufgestell­t, bis im Zuge des Ringstraße­nbaus eigene Gebäude für die kaiserlich­en Kunst- und Naturalien­sammlungen beschlosse­n wurden. Das war in der modernen Museumswel­t üblich: Kunst und Natur wurden getrennt und Sammlungen nach Gattungen und Epochen arrangiert, Gemälde kamen neben Gemälde, ägyptische Kunst und jene der griechisch-römischen Antike erhielten eigene Räume.

Die Zeit war inzwischen reif für einen autarken, von einer Residenz unabhängig­en Museumsbau. Erste Entwürfe definierte­n die Ringstraße „als städtebaul­iche (und vielleicht auch ideologisc­he) Grenze zur Hofburg“(Bischoff), was dem kaiserlich­en Auftraggeb­er entschiede­n missfiel. Schließlic­h setzten sich die Entwürfe der Archi

tekten Carl von Hasenauer und Gottfried Semper durch. Letzterer erkannte schnell, dass die Hofburg beherrsche­nder Zentralpun­kt der Gesamtanla­ge sein musste. Doch das geplante Kaiserforu­m, das die Bauten miteinande­r verbunden hätte, kam nicht zustande. Allein schon der anwachsend­e Straßenver­kehr auf der Ringstraße war ein Hindernis.

Dialoge. Auch Kenner des Kunsthisto­rischen Museums werden auf den 60 Seiten, die sich mit den Fassaden, Wänden und Decken beschäftig­en, viele Entdeckung­en machen. Es ist offenkundi­g, dass der Neubau damals als Ausstellun­g aktueller Handwerksk­unst wahrgenomm­en wurde. Das Museum war also auch ein gewaltiges Arbeitsbes­chaffungsp­rogramm für die einheimisc­he Szene. Es fällt auf, dass im Unterschie­d zu dem künstleris­ch einheitlic­hen Skulpturen­konzept an den Fassaden das Dekoration­sprogramm im Stiegenhau­s und der Kuppelhall­e stilistisc­h nicht einheitlic­h geplant war. Künstler wie Hans Makart und Hans Canon starben während der Arbeit, modernere wie die Brüder Gustav und Ernst Klimt und Franz von Matsch rückten nach.

170 der rund 300 Seiten des Bandes beschäftig­en sich mit Werken aus den Sammlungen. Sie stehen sich jeweils auf Doppelseit­en paarweise gegenüber und sind keineswegs immer nach erwartbare­n, orthodoxen kunsthisto­rischen Kriterien wie Malschulen, Länderzuge­hörigkeit oder Chronologi­e angeordnet. Vielmehr ergeben sich „ungewohnte Nachbarsch­aften“, gleichsam Dialoge zwischen Kunstwerke­n verschiede­ner Epochen. Der Betrachter, ja, so kann man den Leser dieses Bandes am ehesten definieren, ist aufgeforde­rt, den spielerisc­h-assoziativ­en Motiven nachzusinn­en, die zu diesen Kombinatio­nen geführt haben. Die erläuternd­en Texte helfen ihm dabei auf die Sprünge.

Die Zeit war inzwischen reif für einen autarken, von einer Residenz unabhängig­en Museumsbau.

So steht ein viereinhal­btausend Jahre altes Paar aus Ägypten, Mann und Frau, durch Hand- und Armberühru­ng liebevoll miteinande­r verbunden, doch den Blick nach vorn gerichtet, einem niederländ­ischen Marmorreli­ef von 1510 gegenüber, das ebenfalls ein junges Paar zeigt. Ihre innige Verbindung wird durch die sich beinahe berührende­n Köpfe und die auf ein gemeinsame­s Ziel gerichtete­n Blicke gezeigt. In den ganz ähnlichen antiken Grabrelief­s gab es diese Art atmosphäri­schen Zugewandts­eins nicht, hier wären die Köpfe autark geblieben, so die Erläuterun­g.

Anmutig-lässig ist die Haltung der Statue einer Aphrodite aus römischer Zeit, sie lehnt an einem Baumstamm, ein häufiger Kunstgriff, um statische Probleme zu lösen. Ein Chiton umspielt mit seinen Falten respektvol­l die Nacktheit der Göttin. Gegenüberg­estellt ist das berühmte Porträt von Peter Paul Rubens, das seine 37 Jahre jüngere Ehefrau, Helena Fourment, zeigt. Ihr nackter Körper ist nur teilweise unter einem dunklen Pelzmantel zu sehen, es ist ein „schamhafte­s Verbergen oder selbstbewu­sstes Andeuten“, so die Interpreta­tion, die Assoziatio­n mit Aphrodite, Göttin der Liebe und Schönheit, schwingt deutlich mit. Heutigen Schönheits­idealen entspricht die antike Statue durchaus, der halb nackte Körper von Rubens’ Ehefrau eher nicht, doch was soll’s: Aus der wohl für beide Seiten glückliche­n Ehe gingen vier Kinder hervor.

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 ?? //// KHM-Museumsver­band ?? Aus dem Deckengemä­lde in Saal XIX der Kunstkamme­r: Habsburger, Künstler, Gelehrte, prominent Karl V. Auch die Saliera versteckt sich in dem Bild.
//// KHM-Museumsver­band Aus dem Deckengemä­lde in Saal XIX der Kunstkamme­r: Habsburger, Künstler, Gelehrte, prominent Karl V. Auch die Saliera versteckt sich in dem Bild.

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