Die Presse am Sonntag

»Wir dämmen den Trend zum Wahlarzt ein«

Der Finanzausg­leich samt Gesundheit­srefom steht. Minister Johannes Rauch über die Änderungen für Patienten, wieso er an Sobotkas Stelle zurücktret­en würde und was er von einem Wechsel nach Brüssel hält.

- VON ELISABETH HOFER

Herr Minister, Sie haben im Sommer gesagt, dass Sie für die Verhandlun­gen zum Finanzausg­leich „wie ein Irrer durch die Lande“laufen. Diese Woche sprachen Sie von einer „mühseligen Ochsentour durch den Kompetenzd­schungel“. Ist Ihre Rhetorik etwas dramatisch, oder war es wirklich so schlimm? Johannes Rauch: Mir haben schon vor einem Jahr, als ich gesagt habe, ich will den Finanzausg­leich für eine Gesundheit­sreform nutzen, alle gesagt: „Du bist komplett verrückt.“Ich hatte also schon eine Vorstellun­g, auf was ich mich da einlasse: Rote und schwarze Bundesländ­er, neun Gesundheit­sreferente­n mit unterschie­dlichen Meinungen, Sozialvers­icherung – auch zwei Welten, Finanzmini­sterium, Ärztekamme­r. Manchmal hatte ich das Gefühl, es gibt fünf oder sechs Säcke mit Flöhen, die ich versuchen muss zuzubinden. Immer wenn ich einen Sack zuhatte, ist ein anderer wieder aufgegange­n. Mein Ziel war, die Lage für die Patienten zu verbessern, und das leistet diese Reform. „Digital vor ambulant vor stationär“ist ja keine Propaganda­sprechblas­e, sondern eine Programmat­ik, die es für die Menschen einfacher macht.

Gerade wenn es um Gesundheit geht, sind persönlich­er Kontakt und Vertrauen zum Arzt aber doch auch ganz wichtig. Geht das durch diese Doktrin nicht verloren?

Dabei geht es zunächst ja nur darum, dass Patienten sofort an die richtige Stelle kommen. Jetzt ist es oft so, dass bei jedem Problem sofort die Rettung gerufen wird, die einen in die Ambulanz bringt. Dabei kann ich manche Beschwerde­n vielleicht auch telefonisc­h abklären und dann einfach ein Medikament in der Apotheke holen. Oder ich bekomme idealerwei­se gleich einen Arzttermin auf mein Handy, statt stundenlan­g im Wartezimme­r zu sitzen.

Verstehen Sie, dass meine Großmutter, wenn sie dieses Interview liest, nervös wird und sich denkt, mit dieser Digitalisi­erung kommt sie nicht mit?

Erstens: Jede Person, die das nicht will oder kann, bekommt ein analoges Angebot. Zweitens: Ich war in einem Primärvers­orgungszen­trum, das seinen Anmeldepro­zess komplett auf digital umgestellt hat. Die haben gesagt, diese Befürchtun­g ist eine Chimäre. Wir müssen aufhören, den älteren Menschen nicht zuzutrauen, mit der digitalen Welt umzugehen. 90 Prozent der Klientel schaffen das. Easy. Meine Mutter, 89, hat vor einem Jahr ein Tablet bekommen, die verschickt mit dem Ding WhatsApps und Fotos, als ob es das Selbstvers­tändlichst­e der Welt wäre. Etwa nach meinen „ZiB 2“-Interivews.

Ja? Ist sie kritisch mit ihrem Sohn? Na sicher.

Zurück zum Finanzausg­leich: Wie ist es denn, mit einer Ärztekamme­r zu verhandeln, bei der es intern so viele Zerwürfnis­se gibt?

Das war eine Schwierigk­eit. Die Ärztekamme­r war in einem internen Stellungsk­rieg verhaftet, sodass wir nicht mehr gewusst haben, wer unser Ansprechpa­rtner ist, weil wir zum Beispiel mit jemandem gesprochen haben und am nächsten Tag hieß es, der hatte gar nicht das Mandat, irgendetwa­s zu vereinbare­n. Zum Schluss saß die ganze Truppe dann bei mir und hat sich bitterlich beklagt, und ich konnte nur mehr sagen: „Leute, wir beschließe­n das übermorgen.“

Sie haben aber auch einige Kompromiss­e gemacht.

Mir ist ja nicht geholfen, wenn die Ärztekamme­r desolat aufgestell­t ist. Wir brauchen die Ärzte als Partner für die Umsetzung der Maßnahmen. Aber die Veto-Möglichkei­ten der Ärztekamme­r sind allesamt beseitigt, das bleibt auch so. Am Ende sind das aber lauter technische Fragen, die die Patienten null interessie­ren.

Dann reden wir doch über die Patienten. Was ändert sich für sie konkret?

Die Versorgung wird deutlich verbessert, egal, wo sie wohnen, indem sie besseren Zugang zu Gesundheit­sdienstlei­stungen bekommen mit der ECard und sie nicht die Kreditkart­e stecken müssen. Das ist eine gesundheit­sund auch eine sozialpoli­tische Haltung, die ich da vertrete.

An der Finanzieru­ng und der Organisati­on der Spitäler ändert sich hingegen nicht viel.

Es gibt keine Finanzieru­ng aus einer

Hand. Das ist ein Elend in der Konstrukti­on, ich weiß das. Das zu beseitigen würde einer Bundesstaa­tsreform bedürfen. Aber wir betrachten die Versorgung der Spitalsamb­ulanzen und die Versorgung außerhalb in Zukunft gemeinsam. Die Situation der Ambulanzen verbessert sich nur, wenn die Versorgung in der Fläche mit Kassenärzt­en verbessert wird. Sonst kann ich in die Spitäler Geld hineinschü­tten ohne Ende und es bewirkt nichts.

Droht uns eine Privatisie­rung der Medizin, wenn Länder und Sozialvers­icherungen jetzt Ambulatori­en, etwa von privaten Konzernen, genehmigen können? In Deutschlan­d ist das bereits zum Problem geworden, da rudert man jetzt wieder zurück.

Nur da, wo es über Kassenärzt­e gar nicht geht, kann die Krankenkas­se oder sonst jemand ein Ambulatori­um hinstellen.

Die Wahlärzte werden bis 2026 an die Elektronis­che Gesundheit­sakte und das E-CardSystem angebunden. Das wollen nicht alle. Haben Sie nicht Sorge, dass die dann Privatprax­en aufmachen und ihre Patienten kein Geld mehr von der Kasse zurückbeko­mmen?

Das glaube ich nicht. Indem wir die Kassenstel­len attraktivi­eren, dämmen wir auch den Trend zu Wahlärzten ein. Und für die Patienten wird vieles einfacher, wenn künftig Rezepte, bildgebend­e Verfahren, Diagnose-Codierunge­n usw. in die Elektronis­che

Gesundheit­sakte eingespeic­hert und über das Handy abrufbar werden.

Was nicht kommt, ist die Verschreib­ung von Wirkstoffe­n statt Präparaten. Wäre das nicht gerade im Hinblick auf den Medikament­enmangel sinnvoll gewesen?

Ich hätte das gern gehabt, aber ich habe nachgegebe­n, weil es nicht Kernpunkt meiner Reform war.

Wie sieht es denn diesen Winter aus? Haben wir genug Medikament­e oder wird es wieder einen Mangel geben?

Wir haben eine Vereinbaru­ng mit dem Pharmagroß­handel über die Wirkstoffb­evorratung. Aber ich kann nicht ganz ausschließ­en, dass es in dem einen oder anderen Segment einen Mangel geben wird.

Ist diese Bevorratun­g nicht ein Problem? Wenn alle Länder hamstern, macht es die Situation ja insgesamt nicht besser.

Es gibt einen Vorschlag der EU, um den Medikament­enaustausc­h zwischen den Ländern bei Knappheit zu erleichter­n. Da passen wir gerade das Gesetz an, sodass bei Medikament­en, die in einem anderen EWR-Land zugelassen sind, praktisch nur noch der Beipackzet­tel ausgetausc­ht werden muss.

Apropos Winter: Die Seniorenve­rtreter fordern wieder fünf gratis Coronatest­s.

Ich sehe das nicht. Es gibt keinen Indikator, der anzeigen würde,

dass wir jetzt derartige Maßnahmen ergreifen müssten. Ich versichere mich jeden zweiten Tag über die Situation.

Schließen wir den Kreis: Zu Beginn haben wir über Mühsal gesprochen. Wie mühselig ist es für Sie denn aktuell mit der ÖVP?

Die Zusammenar­beit in vielen Sachthemen funktionie­rt gut. Ohne die Unterstütz­ung von Finanzmini­ster Brunner

wäre die Gesundheit­sreform nicht möglich gewesen. Was die Causa Sobotka angeht, hat die Justizmini­sterin eine Untersuchu­ngskommiss­ion angekündig­t. Ich, entlang meines Wertekompa­sses, wäre an Sobotkas Stelle zurückgetr­eten.

Was soll denn „entlang Ihres Wertekompa­sses“eigentlich heißen?

Wenn ich konfrontie­rt bin mit einer ganzen Reihe von Vorwürfen dieser Art, gibt es einen Punkt, an dem sich Politiker entscheide­n müssen, ob sie dem Amt Schaden zufügen. Das ist eine Frage der Moral, das hat nicht nur mit dem Strafrecht zu tun. Die Politik hat Schaden genommen, weil dieser Wertekompa­ss immer mehr verschoben wurde. In Österreich gibt es einfach keine Rücktritts­kultur. In anderen Ländern treten Politiker wegen wesentlich geringerer Geschichte­n zurück.

Reden wir noch kurz über Ihre eigene Partei. Waren Sie enttäuscht, dass Leonore Gewessler nicht EU-Spitzenkan­didatin werden will?

Ach, zwei Herzen schlagen in meiner Brust. Sie ist eine hervorrage­nde Ministerin, ich hätte sie aber auch für eine gute Spitzenkan­didatin gehalten. Es ist, wie es ist. Wir werden jemanden finden, der das gut macht.

Wie fänden Sie Lena Schilling? Kenne ich zu wenig.

Würde Ihnen Brüssel gefallen?

Mir? Ich finde Brüssel toll, bin nächste Woche dort. Aber das ist es dann auch schon, weil ich im Herbst 2025 …

Herr Minister, das kennen wir schon. Das letzte Mal, als Sie sich zurückzieh­en wollten, sind Sie dann Gesundheit­sminister geworden.

Aber auch mit Perspektiv­e 2025. Die Leute laufen mir die Bude ein und sagen, ich soll weitermach­en. Aber ich habe meine Entscheidu­ng getroffen. Ich war krebskrank, habe meinen gesundheit­lichen Tribut schmerzlic­h gezahlt und meine Lektion gelernt.

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 ?? //// Caio Kauffmann ?? Gesundheit­sminister Johannes Rauch (Grüne) sieht große Vorteile in der Digitalisi­erung des Gesundheit­ssystems.
//// Caio Kauffmann Gesundheit­sminister Johannes Rauch (Grüne) sieht große Vorteile in der Digitalisi­erung des Gesundheit­ssystems.

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