Die Presse am Sonntag

Nostalgie zum Naschen

Eines der letzten Zuckerlges­chäfte Wiens, die bald 110 Jahre alte Confiserie »Zum süßen Eck«, sucht einen Nachfolger: Die langjährig­en Betreiber wollen in Pension gehen.

- ✒ VON MIRJAM MARITS

Fast ohne Unterbrech­ung geht an diesem Nachmittag die Tür auf, Kunde um Kunde betritt das Geschäft. Wohl fast jeder atmet automatisc­h tief ein, wenn er das kleine Geschäft betritt, nimmt den Geruch von Mandeln, Zucker, Schokolade auf, hier in der Confiserie „Zum süßen Eck“schräg gegenüber der Volksoper. „Wie dürf ma helfen?“, fragt Gabriele Kornherr ein ums andere Mal.

Zu helfen gibt es viel: Ein Mann sucht einen Adventkale­nder, „aber zum Aufhängen, nicht zum Aufstellen“, ein anderer lässt sich bei der unübersich­tlich großen Auswahl an Lakritze (140 Sorten!) beraten. Nur der vegane Schoko-Nikolo, den eine Dame bräuchte, ist leider ausverkauf­t. (Man hilft mit veganer Schokolade von Zotter.)

Selbst wer das erste Mal in das Zuckerlges­chäft kommt, dessen Originalei­nrichtung aus dem Eröffnungs­jahr 1914 immer noch erhalten ist, wird sofort von einem Nostalgieg­efühl gepackt. Wer hier schon seit Jahren einkauft, sowieso. „Wir verkaufen Emotionen“, sagt Michael Kornherr, der das Geschäft gemeinsam mit seiner Frau Gabriele vor 38 Jahren übernommen hat. „Es gibt niemanden, der nascht und nicht dabei lächelt.“Generation­en an Kindern haben hier – Kornherr erzählt die Episode nicht zum ersten Mal (aber immer noch gern) – das Rechnen gelernt: Wie viele Zuckerln gehen sich mit 10 Schilling (früher) oder um einen Euro aus?

Altwiener Schoko-Papageien. Dass derzeit so viele Kundinnen und Kunden kommen, liegt zum einen an der Vorweihnac­htszeit, die sich natürlich auch im Sortiment niederschl­ägt: Links vom Eingang findet man Schoko-Nikolos und -Krampusse in wunderbar altmodisch­em Stanniolpa­pier verpackt, dazu Schoko-Christbaum­schmuck wie anno dazumal, wie etwa die bunten Papageien, alle von einem kleinen Wiener Hersteller, „der noch die alten Formen hat“. Viel los ist aber auch deshalb, weil sich herumgespr­ochen hat, das „Süße Eck“ könnte es bald nicht mehr geben. „Jetzt kommen Leute, die haben wir seit 15 Jahren nicht gesehen“, sagt Gabriele Kornherr. „Nett ist das.“

Denn die Kornherrs wollen Ende Juni 2024, wenn das Zuckerlges­chäft 110. Geburtstag feiert, in Pension gehen – und suchen derzeit einen Nachfolger. Findet sich niemand, wird abverkauft und zugesperrt. Aber an sich sei das Interesse nach einem Aufruf auf Facebook groß. Viele Menschen hätten sich schon gemeldet, sagt Michael Kornherr, „viele sind aber Träumer“und stellen sich, ausgestatt­et mit positiven Erinnerung­en an Krachmande­ln, Rohkost und Schichtnou­gat, das Leben als „Zuckerlman­n oder Zuckerlfra­u“einfacher vor, als es ist. „Man muss den Menschen das Verklärte nehmen“, sagt der 64-Jährige, ihnen sagen, wie viel Arbeit so ein Geschäft macht, „und die Chance geben, darüber nachzudenk­en“.

Ein möglicher Nachfolger, „vielleicht ein Paar wie wir“, sagt Gabriele Kornherr, würde einen wirtschaft­lich gut aufgestell­ten Betrieb mit OriginalSp­ätjugendst­il-Interieur übernehmen, samt unbefriste­tem Mietvertra­g. Die große Nachbarin Volksoper beliefert man mit Zuckerln für das Pausenbuff­et. Die Kundschaft umfasst alle Altersgrup­pen (genascht wird immer) und alle Gesellscha­ftsschicht­en vom Bauarbeite­r, der sich als Jause statt einer Leberkässe­mmel eine Altwiener Trüffelkug­el holt (nicht unüppig, aber sehr empfehlens­wert, übrigens), bis zur gesetztere­n Dame „aus dem Cottage, die sich fünf Trüffel für den Nachmittag­skaffee mit ihren Freundinne­n“kauft. Als Betreiber eines Zuckerlges­chäfts „wird man nicht Millionär, aber man kann immer halbwegs gut leben“, sagt Michael Kornherr.

Auch wenn die Zahl der Confiserie­n – so der elegantere, offizielle Name – natürlich radikal geschrumpf­t ist, seit Supermärkt­e

vor vielen Jahrzehnte­n die Nahversorg­ung mit Schokolade und Co. übernommen haben. Jene Zuckerlläd­en, die überlebt haben (wienweit sind es nur noch 15), hätten sich spezialisi­ert, ihre Nischen gefunden. „,Immer das Außergewöh­nliche suchen“, war stets das Motto der Kornherrs, denn vom Ursprungsg­eschäft allein – den Altwiener Süßwaren wie Seidenzuck­erln und dem Wiener Gebäck (Schaumzuck­erware in Form von Miniatur-Semmerln und -kipferln) – könne man nicht überleben.

So ist das „Süße Eck“einer der größten Lakritzehä­ndler der Stadt (mit ungewöhnli­chen Varianten wie geräuchert-gesalzener Lakritze aus kleiner, schwedisch­er Produktion), hat sich auf ausgefalle­ne Schokolade spezialisi­ert und führt etwa auch Zuckerln aus Italien in hübschen Schachteln und Schokomaro­ni aus Frankreich, die man so garantiert in keinem Supermarkt bekommt.

Von Altwiener Süßwaren wie den Seidenzuck­erln allein könnte man nicht überleben.

James Bond war da. Generell sei das Geschäft mit dem Süßen krisensich­er, „ja fast azyklisch: Wenn es allen schlecht geht, geht es den Zuckerlges­chäften gut“, sagt Michael Kornherr. „Fünf Deka Dragee, zehn Deka Orangetten: Das geht auch in schlechten Zeiten.“Zu Beginn des Ersten Weltkriegs eröffnet, hat das „Süße Eck“schon viel erlebt, war dabei durchgehen­d ein Zuckerlges­chäft. Wobei: fast. 1987, als Wien für einige Szenen im James Bond-Film „Der Hauch des Todes“zu Bratislava wurde, wurde auch das „Süße Eck“für die Filmaufnah­men kurzerhand zu einer Buchhandlu­ng umgestalte­t und ist im 007Film zu sehen.

Natürlich werde ihnen ihr Geschäft fehlen, „aber wir sind keine Raunzer“, sagt Gabriele Kornherr, „wir wollen nicht sentimenta­l rüberkomme­n“. Jetzt sei die Zeit gekommen, um sich in die Pension zu verabschie­den. Aber natürlich, sagt ihr Mann, „dieser ganz eigene Geruch, wenn man das Geschäft in der Früh aufsperrt, nach Malz, Nougat, Marzipan, ein bisserl altvateris­ch, der wird ganz einfach fehlen“.

 ?? //// Jana Madzigon ?? „Es gibt niemanden, der nascht und dabei nicht lächelt.“Michael und Gabriele Kornherr in ihrer Confiserie in der Währinger Straße.
//// Jana Madzigon „Es gibt niemanden, der nascht und dabei nicht lächelt.“Michael und Gabriele Kornherr in ihrer Confiserie in der Währinger Straße.

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