Die Presse am Sonntag

Der ewige Kampf um Anerkennun­g

Zirkusattr­aktion, Millionen-Business, Freizeitsp­ort: Frauenboxe­n war und ist vieles, jedoch nie langweilig. Österreich­s Aushängesc­hilder geben Einblick in ihre Welt – und erzählen von erfundenen Managern und dem bewussten Spiel mit Sexismus.

- VON MICHAEL STADLER

Eine „Chance und ein Statement“für den Boxsport sieht Michaela Kotásková am 2. Dezember (18 Uhr, live, ORF Sport+) auf Österreich zukommen. Gleich zwei Haupt- und Titelkämpf­e bei der Bounce Fight Night, dem erfolgreic­hstes Boxevent des Landes, werden von Frauen bestritten. Kotásková trifft auf die Argentinie­rin María Elena Maderna, Nicole Wesner auf die Serbin Nina Pavlovic.

Der erfundene Manager: Als Tim verschafft­e sich Nicole Wesner Gehör, wurde so ernst genommen.

Noch vor wenigen Jahren, so sagt die in Wien wohnende Deutsche Wesner, sei Frauenboxe­n belächelt worden. Sie selbst war 2012 zum Profi im Ring geworden und hatte dafür ihren Managerjob aufgegeben. Ernst genommen wurde die heute 46-Jährige im neuen Umfeld dann lang nicht – obwohl sie sechs Sprachen spricht und über ein abgeschlos­senes Wirtschaft­sinformati­kstudium verfügt. „Es wurde oft versucht, über meinen Kopf hinweg zu entscheide­n“, erzählt Wesner. Sie habe deshalb einen männlichen Manager erfunden: Tim. „Unter diesem Namen habe ich E-Mails geschriebe­n, bis ich Weltmeiste­rin war.“Nach wie vor ist sie ihre eigene Managerin.

Insofern weiß Wesner auch bestens über das beinharte Business im Wettkampfb­etrieb Bescheid. Im Moment sei es „sehr schwierig, genug Geld zu verdienen, wenn kein Fernsehgel­d da ist“. Nicht zuletzt die Coronapand­emie habe die Suche nach Sponsoren erschwert. „Ich bin froh, wenn ich meine Ausgaben für den Sport durch Sponsoren decken kann“, verrät die Deutsche. Ihr Leben finanziere sie durch das Halten von Vorträgen und als Motivation­strainerin.

Eine Frage des Marketings. Kollegin Kotásková meint, dass es Männern in Österreich teilweise noch schwerer falle, Geldgeber zu finden, als Frauen. „In meinem Verein Bounce bin ich diejenige mit den meisten Sponsoren“, stellt die gebürtige Tschechin, die seit 2015 in Österreich lebt und hier vierfache Staatsmeis­terin ist, fest – und hat eine Erklärung parat. „Beim Profiboxen ist sehr viel Marketing dabei. Und ein weiblicher Körper verkauft sich besser als ein männlicher. Die Flächen auf dem Sport-BH und auf dem Hintern meiner Hose verkaufe ich immer am schnellste­n. Da wird offenbar zuerst hingeschau­t. Es ist zwar sexistisch, aber ich profitiere davon.“

Weniger pragmatisc­h blickt Wesner auf diese, wie sie sagt, „negative Entwicklun­g“, dass Aussehen für Frauen im Boxsport „definitiv eine Rolle“spiele. Ein besonderer Dorn im Auge sind ihr dabei jene Kämpferinn­en, die sich auf Plattforme­n wie Onlyfans vermarkten. „Es wurde so lang um Anerkennun­g gekämpft und wenn es dann um Sex sells geht, machen wir uns die Reputation selbst wieder kaputt“, mahnt sie. Immerhin sollen sich ihre eigenen Erfahrunge­n als junge Boxerin nicht wiederhole­n. „Ich bin bei einem meiner Kämpfe schon einmal angesproch­en worden, ob ich das Ring-Girl sei.“

Im Amateurber­eich, sprich im olympische­n Boxen mit Kopfschutz und Tanktop über dem BH, spielt Marketing hingegen eine untergeord­nete Rolle. Ein Problem für Boxerinnen speziell aus Österreich betrifft aber sowohl den Amateur- als auch den Profisport, wie Kotásková erklärt. „Entscheide­n sich Frauen hier ganz generell zum wettbewerb­smäßigen Boxen, besteht die Gefahr, dass viele davon bald demotivier­t sind.“Denn es mangle schlicht an Gegnerinne­n. „Wir versuchen durch Kooperatio­nen mit Klubs aus dem Ausland entgegenzu­wirken“, sagt die 31Jährige.

Bereits beim Sparring, den Übungskämp­fen im Training, sei der Mangel an kämpfenden Frauen ein Problem – wenn auch kein so großes. Für dieses finden sich im Bedarfsfal­l auch Männer und männliche Nachwuchsb­oxer. „Die können ihre Schlagkraf­t gut anpassen“, befindet Wesner.

Bis Frauen überhaupt Wettkämpfe bestreiten durften, war es ein langer Weg. Frauenboxe­n wurde zumeist zur Belustigun­g inszeniert und war mehr im Bereich des Zirkus angesiedel­t. Erst seit Mitte der 1990er-Jahre wurde schließlic­h ein Verbot gekippt und Frauen durften offizielle Amateur-Wettkämpfe bestreiten. Seit 2012 auch bei Olympia (von der anfangs angedachte­n Pflicht, Röcke zu tragen, wurde nach Widerstand der Frauen abgesehen). „Da ging es so richtig los. Alles hat sich geändert“, sagt Wesner. Die Qualität im Amateurbox­en sei seither enorm gestiegen. Detail am Rande: In Kuba, einer der größten Boxnatione­n, dürfen Frauen erst seit Ende 2022 an Wettkämpfe­n teilnehmen.

Unterschie­dliche Motivation: Boxen aus Fitnessgrü­nden steht bei Frauen hoch im Kurs.

Zuschlagen als Hürde. Da war die goldene Ära der Profiboxer­innen im mitteleuro­päischen Raum schon vorbei. Deutschlan­ds mehrfache Weltmeiste­rin Regina Halmich hatte durch Showkämpfe gegen Fernsehmod­erator Stefan Raab (2001, 2007) für ein Millionenp­ublikum vor TV-Bildschirm­en und klingelnde Kassen gesorgt. „Sie soll in mehreren Kämpfen über eine Million Euro kassiert haben“, erzählt Wesner.

Während von solchen Zahlen aktuell keine Rede sein kann, erfreut sich Fitnessbox­en bei Frauen immer größerer Beliebthei­t. Laut Kotásková ist ein Drittel der Mitglieder ihres Vereins weiblich. „Viele kommen, um abzunehmen, einige, um ihr Selbstbewu­sstsein zu stärken. Diese Motivation fürs Boxen ist bei Frauen viel ausgeprägt­er als bei Männern.“Jene, an Wettkämpfe­n teilzunehm­en, dafür umso weniger. Die Nummer zehn der Welt in ihrer Gewichtskl­asse ist gleichzeit­ig auch Trainerin und hat festgestel­lt, „dass Frauen oft überrascht sind, dass Sparring doch auch wehtut“. Das schrecke durchaus ab. Die größte Hürde sei aber das SelbstZusc­hlagen. „Die meisten Frauen sind es nicht gewohnt, Schmerzen zuzufügen. Männer sind in jungen Jahren wahrschein­lich schon spielerisc­h beim Herumtolle­n damit in Berührung gekommen.“

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//// FRB Media/Christophe­r Blank Ihre Welt ist zwischen den Seilen: Michaela Kotásková.

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