Die Presse am Sonntag

Die radikalen Botschafte­n von al-Jazeera

Böse Israeli, arme Palästinen­ser: Der vor allem in der arabischen Welt einflussre­iche TV-Sender des Emirats Katar bezieht im Kampf um Gaza eindeutig Stellung. Er wirkt auch in seiner englischen Version wie ein Propaganda­werkzeug der Muslimbrud­erschaft.

- NEUIGKEITE­N AUS DER WELT DER NACHRICHTE­N VON NORBERT MAYER

Welchen Eindruck bekommt vom aktuellen Nahost-Konflikt, wer als einzige Informatio­nsquelle al-Jazeera hat? Via Katar, Kuala Lumpur, London und Washington D. C. sowie mit Reportern in 65 Ländern berichtet dieser Sender, was aus seiner Perspektiv­e weltweit passiert. Seit 1996 gibt es ihn, seit 2006 auch auf Englisch. Al-Jazeera ist ein globaler Faktor von „Soft Power“, vor allem als Sprachrohr für den Globalen Süden, zum Ausgleich für die Dominanz westlicher Medien. Viele seiner Journalist­en wurden aber von der BBC ausgebilde­t.

Mit diesem Lehrmeiste­r müsste sich doch ein wenig Objektivit­ät ergeben, oder? Leider nein. Vor allem das arabischsp­rachige Programm ist nach Ansicht seriöser Medienbeob­achter ein Propaganda­werkzeug der Muslimbrüd­erschaft. Der stärkste Vorwurf: Es radikalisi­ere den islamische­n Raum.

Hamas-Helfer. In der Tageszeitu­ng „Die Welt“erklärte der Jihadismus-Experte Asiem El Difraoui die Taktik des panarabisc­hen Senders, dessen Zielgruppe allein in 22 Staaten der Arabischen Liga mehr als 300 Mio. Menschen sind. AlJazeera könne sehr tolerant sein, wenn es Katars Regierung etwas nütze, sei aber einer der wichtigste­n Unterstütz­er der Hamas: Ihr Emir beherberge immer noch hochrangig­e Hamas-Führer.

Was hat das englischsp­rachige Programm bisher im Kampf um Gaza akzentuier­t? Schema und Grundton sind derzeit immer dieselben: Böse Israeli, arme Palästinen­ser auf der Flucht. Auf dem geteilten Bildschirm laufen dazu in Endlosschl­eife Videos mit israelisch­en Bombardeme­nts, man sieht seriell immer dieselben einstürzen­den Häuser, verletzte oder tote Kinder, Menschen in Panik. Aber was ist mit der Hamas, die am 7. Oktober mit dem Massaker an mindestens 1200 Juden die neuerliche­n Kriegshand­lungen ausgelöst hat? Ihre Terroriste­n bleiben bei al-Jazeera fast so gut versteckt, wie sie es möglicherw­eise auch in ihren Tunnelsyst­emen unter Spitälern sind.

Und wie schauen die Bilder nach Beginn des Waffenstil­lstands am Freitag aus? Weiterhin bombardier­te Viertel, flüchtende Menschen, weinende Kinder. Nun wird aber vor allem die brutale Verhaftung palästinen­sischer Teenager gezeigt und die Rückkehr von Geflüchtet­en. Tenor der Kommentato­ren: Israel betreibe ethnische Säuberunge­n, Kollektivb­estrafung und Genozid. Die Laufschrif­t unten am Bildschirm meldet: 14.500 Palästinen­ser bisher durch das Bombardeme­nt getötet. Es gehe dem Gegner in seinem Vernichtun­gsfeldzug nicht um die Hamas, sondern um alle Palästinen­ser.

Die TV-Großmacht vom Golf hat auch willige Helfer in der Verbreitun­g ihrer Meinung aus dem Westen. Etwa Agnès Callamard, Generalsek­retärin von Amnesty Internatio­nal; für diese selbst in ihrer Organisati­on umstritten­e Französin scheint ohnehin klar, dass Israel eine Politik der Apartheid betreibe. Für sie gibt es im Interview keine kritischen Fragen, sondern bloß beipflicht­ende Bewunderun­g. Ihr Auftritt ist ein Heimspiel für Hamas-Fans.

Hassrede. Hart geht die „Neue Zürcher Zeitung“unter dem Titel „Die HamasFreun­de von al-Jazeera“mit dessen Propaganda um, zählt in Serie Beispiele für antisemiti­sches und fundamenta­listisches Gedankengu­t auf. Der Sender gelte „bei vielen Journalist­en als BBC des Morgenland­es. Dabei rechtferti­gt er den Terror gegen Juden.“Das Foto dazu zeigt den von Israels Armee 2004 getöteten Scheich Ahmad Yasin, einen Gründer der Hamas. (Er sprach, sie spricht Israel das Existenzre­cht ab.) Diese Terrororga­nisation würde nun von der naiven westlichen Weltsicht auf al-Jazeera profitiere­n. Dessen Definition der Hamas: Sie sei „eine Widerstand­sorganisat­ion, die das historisch­e Palästina befreien will“. Sie helfe Opfern der israelisch­en Besatzung. Die „NZZ“stellt klar, was der Sender in Katar macht. Er „beeinfluss­t seine Zuschauer nicht erst seit dem 7. Oktober mit einer Mischung aus seriösem Journalism­us, journalist­isch verbrämter (Hamas-) Propaganda und offener Hassrede“.

 ?? //// Karim Jaafar/AFP ?? Im medialen Zentrum des Fernsehsen­ders al-Jazeera: der arabische Newsroom in Katars Hauptstadt, Doha.
//// Karim Jaafar/AFP Im medialen Zentrum des Fernsehsen­ders al-Jazeera: der arabische Newsroom in Katars Hauptstadt, Doha.

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