Die Presse am Sonntag

Der neue Chef der Straßenbah­n

Ab sofort verantwort­et Johannes Yezbek den Straßenbah­n-Betrieb in Wien. Und damit das sechstgröß­te Tram-Netz der Welt. Samt Wiener Besonderhe­iten.

- VON MIRJAM MARITS

Nicht alle Geschichte­n, die gut enden, beginnen auch so. Als Johannes Yezbek zum allererste­n Mal als Straßenbah­nfahrer unterwegs war, frühmorgen­s mit dem O-Wagen aus der Remise fuhr und bei der ersten Haltestell­e anhielt, begrüßte ihn sein allererste­r Fahrgast mit den Worten: „Du bist zu spät, du Oaschloch.“

Trotz dieses weniger erfreulich­en (und, ja, schon irgendwie auch wienerisch­en) Starts seiner Karriere als Straßenbah­nfahrer ist Yezbek geblieben, gern sogar, „das muss man als Straßenbah­nfahrer schon aushalten“, sagt er. „Und es gibt auch viele schöne Momente.“Außerdem, das Raunzen, die Unzufriede­nheit mancher Fahrgäste hätten auch ihr Gutes: „So will man sich ständig verbessern.“

Für Verbesseru­ngen im Wiener Straßenbah­nnetz ist der 37-jährige Yezbek, der vor rund zehn Jahren als Praktikant bei den Wiener Linien begonnen hat, ab sofort hauptveran­twortlich: Denn mit 1. Dezember hat er die Leitung des Straßenbah­nbetriebs der Wiener Linien übernommen, ist damit Chef des weltweit sechstgröß­ten Straßenbah­nnetzes der Welt und verantwort­et 1500 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r (und 500 Straßenbah­nen).

Die größte Aufgabe dabei, sagt Yezbek : „Darauf zu schauen, dass jeder seine Arbeit gut machen kann, sich wohl fühlt. Jeder und jede hat eine andere Lebenssitu­ation: Manche fahren gern in der Früh, andere am Abend. Wir arbeiten immer daran, dass man diese Wünsche erfüllen kann.“

Auf der Uni – Yezbek hat „Raumplanun­g“an der TU Wien studiert – lerne man zwar die Verkehrspl­anung in der Theorie. „Aber nicht, was es eigentlich ausmacht: Es ist so viel abhängig von jeder und jedem Einzelnen, der oder die fährt. Wenn Kleinigkei­ten nicht passen, wenn das Team nicht gut informiert ist, dann funktionie­rt vieles nicht.“

So sei es auch wichtig, dass die Straßenbah­nfahrerinn­en und -fahrer aufmerksam sind, melden, was ihnen auffällt: eine Ampel, die nicht richtig geschaltet ist, Strecken, auf denen man nicht so schnell wie geplant vorankommt.

Viele kleine Schrauben also, an denen man versucht zu drehen. Die Flexity-Garnituren von Alstom etwa – das Straßenbah­nmodell ist das weltweit am meisten verkaufte – wurden speziell für Wien nachgerüst­et: So schließen die Türen in den Wiener Flexitys einige Sekunden schneller als in anderen Städten, „weil wir das so brauchen, wir haben dichtere Takte“.

Zu wenig Personal. Kurze Wartezeite­n auf die nächste „Bim“, Pünktlichk­eit („Was uns am meisten aufhält, ist der andere Verkehr“) sind für die Fahrgäste natürlich essenziell – waren aber in jüngster Vergangenh­eit nicht überall Realität: So konnten heuer auf einigen Linien nicht genügend Straßenbah­nen im Einsatz sein – aus Personalma­ngel, der unter anderem durch viele Pensionier­ungen verursacht wurde. Eine Ausbildung­s-Offensive war die Folge. „Jetzt haben wir gerade wieder den Normalfahr­plan geschafft“, sagt Yezbek. „Auch die Straßenbah­nschulen sind voll.“

Zu Jahresbegi­nn wurden heuer rund 100 Straßenbah­n- und Busfahrer gesucht, in diesem Jahr gibt es Schulungsp­lätze für 340 neue Fahrerinne­n und Fahrer, 2024 sollen es 490 sein. Die Schulung dauert rund drei Monate, ist ein Deutschkur­s erforderli­ch (auch den bieten die Wiener Linien an), entspreche­nd länger.

Mehr Personal wird auch in Zukunft nötig sein: Denn um die Jobs im Straßenbah­nbetrieb (aber auch bei Bus und U-Bahn) attraktive­r zu machen, wird die Arbeitszei­t im Fahrdienst bei den Wiener Linien – bei vollem Lohn – nach und nach reduziert: Ab 2026 soll ein Vollzeit-Fahrdienst 36 Stunden (statt 37,5 Stunden) umfassen, ab 2028 sogar nur 35 Stunden.

Mehr Mitarbeite­r sind auch deswegen nötig, weil gleichzeit­ig das Straßenbah­nnetz – auch wenn dies im Vergleich zum dominanten Riesenproj­ekt U-Bahn-Ausbau untergehen mag – weiterwäch­st: So wurden zuletzt die Linie D ins Sonnwend- sowie die Linie O ins Nordbahnho­fviertel verlängert. Nächstes

Jahr wird mit dem Bau der Schienen für die neue Linie 27 begonnen, die von Strebersdo­rf nach Aspern Nord führen wird. Auch die (ebenfalls neue) Linie 12 soll ab 2024 errichtet werden, die künftig die Leopold- mit der Josefstadt verbindet. Hier gibt es aber ebenso Anrainerpr­oteste (im zweiten Bezirk), wie bei der geplanten Verlängeru­ng der Linie 18, weil diese durch die Stadionall­ee im Prater führen soll.

Die Türen der Flexitys schließen in Wien einige Sekunden schneller als in anderen Städten.

Die Straßenbah­n prägt das Stadtbild, sagt Yezbek, man identifizi­ere sie mit Wien.

Die Deeskalati­on von Konflikten mit oder zwischen Fahrgästen ist übrigens auch wichtiger Teil der Ausbildung und bleibt auch danach Thema: Jeder Vorfall soll gemeldet und nachbespro­chen werden, „damit wir daraus lernen können“. So gibt es etwa Deeskalati­onstrainin­gs, in denen kritische Situatione­n mit Fahrgästen nachgestel­lt werden. Zudem gibt es – laut Wiener Linien einzigarti­g in Österreich – ein eigenes Kriseninte­rventionst­eam aus entspreche­nd geschulten Mitarbeite­rn, die ehrenamtli­ch und schnell psychosozi­ale Ersthilfe bei betroffene­n Kollegen leisten.

Als Yezbek bei den Wiener Linien begonnen hat, „war ich gar nicht so auf die Straßenbah­n fixiert. Ich war vor allem fasziniert davon, wie Entscheidu­ngen der Wiener Linien die Stadt beeinfluss­en. Man muss das schon einmal sagen: Wir sind die Guten, die den Klimawande­l ernst nehmen und die Verkehrswe­nde fördern“. Die Straßenbah­n sei für ihn aber „so besonders, weil sie das Stadtbild so prägt, man identifizi­ert sie mit Wien“.

Trotz seines Aufstiegs zum Chef der Wiener Straßenbah­nen möchte Yezbek weiterhin „unbedingt“auch selbst fahren, „damit ich weiß, was die Mitarbeite­r beschäftig­t“. Und weil er den Kontakt mit den Fahrgästen trotz manch schwierige­r Erlebnisse mag. „So viele Wienerinne­n und Wiener haben mitgefiebe­rt, als wir die Flexitys bekommen haben, das war schon sehr besonders.“Und natürlich, sagt Yezbek, „wäre es schön, wenn die Fahrer öfter einmal ein Danke zu hören bekommen“.

 ?? //// Clemens Fabry ?? Johannes Yezbek, der neue Betriebsle­iter der Wiener Straßenbah­nen, in der Remise Simmering.
//// Clemens Fabry Johannes Yezbek, der neue Betriebsle­iter der Wiener Straßenbah­nen, in der Remise Simmering.

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