Ein Eingeborener am Herd und In den Bergen
Im Kleinwalsertal kocht Jeremias Riezler seine Version einer alpinen Küche mit Zutaten aus der unmittelbaren Umgebung und nach manchen alten Rezepten. Und findet noch Zeit, sich um seine Alpschweine zu kümmern.
Käsknöpfle für alle! „Wir rücken die Tische zusammen, setzen die Gäste so, dass sie zusammenpassen, dann kommen die Käsknöpfle in großen Kupferpfannen auf die Tische, dazu grüner Salat, jeder bedient sich“, erzählt Jeremias Riezler.
Wer des gemeinsamen KäsknöpfleEssens teilhaftig werden will, mit dem man im Walserhof der Familie Riezler den Ruhetag am Montag überbrückt, muss entweder Hotelgast sein oder als À-la-carte-Gast um Einlass bitten. „Die Käsknöpfle macht am Montag – und es gibt sie auch nur am Montag – der Papa, niemand macht sie so gut wie er“, ergänzt Riezler, der mit seiner Frau Bettina den Walserhof führt, ein kleines Hotel samt angeschlossenem Restaurant, der Walserstuben. Man spricht Käs übrigens wie Chäs aus im Kleinwalsertal.
Normalerweise werden Käsknöpfle in der hölzernen Gebse serviert, einem
Gefäß, das in der traditionellen Almwirtschaft zur Aufbewahrung der Abendmilch verwendet wird. Milch, Butter und Käse sind unter den Bauern des Kleinewalsertals Ehrensache und an jedem zweiten Straßeneck zwischen den Dörfern Riezlern, Hirschegg und Mitteltal kommt der Besucher an einem Käseladen mit Käsen aus kleinen Produktionen vorbei, manches aus Rohmilch, anderes aus pasteurisierter Milch. Vieles weist bemerkenswerte Qualitäten auf, und die Walser Buura (wälserisch für Bauer) sehen ihre Arbeit nicht als Fron, sondern als, wenngleich auch tagesfüllende, Aufgabe, aus den Wiesen und dem Werk der Kühe das Bestmögliche zu machen. Ihr Wissen um den Käse haben die Walser vor Jahrhunderten
aus der Schweiz mitgebracht, als sie darangingen, das Tal zu roden. Die Segnungen der Milchindustrie haben im Kleinwalsertal, welches man nur von der deutschen Seite aus per Auto oder Bus erreicht, Hausverbot.
Beim Käse hat sich die Familie Riezler für den einjährigen Walserstolz entschieden. Riezler: „Er vereint alle wichtigen Eigenschaften, die Käsknöpfle brauchen: Er zieht schöne Fäden, ist cremig, hat einen würzigen Geschmack und macht uns die Entscheidung und den Einkauf leicht. Außerdem ist der jährige Bergkäse garantiert laktosefrei.“Doch letztendlich ist alles eine Frage der persönlichen Vorlieben: „Daneben gibt es noch unzählige Varianten und Käsemischungen, bestehend aus den gängigen Schnitt- und Hartkäsen, wie Bergkäse, Emmentaler, Tilsiter; Raclettekäse oder Räßkäs werden oft mit Weißlacker oder Sura Kees kombiniert.“Nur Blauschimmel passt Riezler nicht ins Vorarlberger Geschmacksbild.
Elvis, der Eber. „Elvis lebt“steht in großen Lettern auf Riezlers T-Shirt. Elvis heißt der Zucht-Eber, welcher der kleinen Schar von Alpschweinen angehört, die im Wäldchen und am kleinen Fluss neben dem Walserhof ein Leben führen wie die Gäste eines Wellness-Ressorts, Schlammbäder, Walking-Einheiten und Bio-Buffet inklusive. Hie und da geht eines der Alpschweine den Weg allen Irdischen, dann gibt es bei Jeremias Riezler feiste Schweinskoteletts mit zentimeterdicker Fettschicht. Die Schweine werden 17 bis 18 Monate alt. Den fünf Jahre gereiften Speck eines zwei Jahre alten Alpschweins, und zwar nur eine einzige, kleine Scheibe davon, serviert Riezler als Happen zum Aperitif, damit man eine Ahnung hat, wovon die Rede ist, wenn er Alpschwein sagt. Cremiges, weißes Fett mit gleichzeitigem Biss und nussigem Aroma, der geringe Fleischanteil von angemessener Mürbe. Man kann bei Riezler mit ein paar Tagen Voranmeldung ein zehngängiges Menü buchen, das in der Küche serviert wird. In einer Nische, die leicht erhöht über den Rest des Raums liegt, wird dann ein Tisch gedeckt, der für vier Personen reicht, die Gäste sind mittendrin im dezenten Geschepper von Pfannen und inhalie
IKONEN DER ÖSTERREICHISCHEN KÜCHE:
JEREMIAS RIEZLER
ren die Düfte von Fonds und Suppen. Speisenkarte gibt es hier generell nicht, Riezler kocht, was da ist und ihm gerade einfällt. Vielleicht ist das eine Walser Zwetschkensuppe mit Strauben aus Weinteig oder Waldpilze mit wie ein Risotto zubereitetem Buchweizen, Quendel, Gewürzen und Enzian.
Naturgemäß unterhält Riezler beste Kontakte zu den lokalen Bauern, Gärtnern und Sennereien. Er weiß, wer das beste Joghurt macht für die Frühstücksgäste, er kennt die besten Käser, Gemüsebauern und Rinderzüchter. Wie er über gutes Essen denkt, zeigt exemplarisch ein Teller mit buttrigem Kuhmilchkäse
von einer befreundeten Sennerin, Rohmilchbutter mit Kräutern, Kartoffeln von Andi Haller, der ein paar hundert Luftmeter weiter eine Gärtnerei in Permakultur betreibt, und mit Salzblümele – das ist eine poetische Bezeichnung für Fleur de Sel aus dem Salzbergwerk in Altaussee. Ein endgültiger Teller, von dem man nichts mehr wegnehmen kann und dem man nichts hinzufügen muss.
Der früher im Sporthandel erfolgreiche und in die Landwirtschaft quereingestiegene Andi Haller ist einer der wichtigsten Partner Riezlers. Haller baut nicht nur Kartoffeln an, was auf 1500 Metern Höhe keine Selbstverständlichkeit ist, sondern auch Gemüse, Beeren und Kräuter. Hallers Tomatillos legt Riezler ein. Weiße und dunkle Zwiebel sowie Schalotten kocht er wie ein Kompott und serviert das alles mit Blattsalaten, Holunder-Kapern, hausgemachtem Apfel-Birnen-Balsamessig und es schmeckt erwartungsgemäß phantastisch. „Alpine Antipasti“, sagt der Mann mit dem freundlich getrimmten Vollbart.
Kalbsbackerl in Nierenfett. Aus dem eigenen Garten und aus Wildkräutern macht Riezler Sirups und aus Pfefferminze, Mädesüß, Holunder, Salbei oder Lavendel und den Früchten diverser Lieferanten aus Vorarlberg wiederum Sorbets, rund ein Dutzend, flüchtige Begegnungen mit der Vielfalt an Aromen, die ein Garten bereitstellt. Die
Sorbets werden in einem ausrangierten Kinderwagen in silbernen Behältnissen vorgefahren. Doch bis zu diesen Erfrischungen sind es noch fünf Gänge – mindestens. Darunter in Nierenfett gebackene Kalbsbackerl, zu denen es Preiselbeeren in leuchtendem Blutrot und gezupfte Verbene gibt. Die Qualitäten des Kalbs aus dem Tal sind berühmt, die lokalen landwirtschaftlichen Betriebe von überschaubarer Größe und familiengeführt, die Rinder haben bestes Futter und viel Bewegung, es gibt österreichweit kaum Besseres.
Zum Essen serviert der Chef Geschichten, zum Beispiel die von einem Mann, der einmal ein paar Monate Auszeit als Senner nehmen wollte und nie wieder von der Alm nach Hause zurückgekehrt ist. Riezler erzählt die Geschichte, während er am Tisch in einem ausgehölten Laib eines vier Jahre alten Bergkäses die mit Brennesselspinat vermischten Käsknöpfle (mit einjährigem Käse gemacht) rührt, etwas geröstete Zwiebel dazu, fertig. Für uns hat er das Rezept aufgeschrieben. Allerdings tut er sich im Tal um diese Jahreszeit mit dem Sammeln der Kräuter (im Frühjahr am liebsten Brennnessel) etwas schwer. Kurzer Anruf in Riezlern, ein paar Tage, bevor dieser Text erscheint: „Wir haben einen halben Meter Schnee!“
Steinbock oder Gams. Für Elvis und seine Familie ist Schonzeit, solang es genügend Rindfleisch gibt und solang befreundete oder verwandte Jäger hie und da Steinbock oder Gams vorbeibringen. Rosa gebratener Gamsrücken ist eine delikate Seltenheit, der Steinbock hat so viel Bewegung hinter sich, dass sein Fleisch lang in einer dunklen Sauce geschmort am besten schmeckt. Riezler kann übrigens nicht nur Knöpfle, er kann auch Saucen. Zum Wild reicht er bloß Gemüse und auf der Stutzalpe gesammelten Bärenklau-Honig. Ein paar Tage im Kleinwalsertal und man lernt, Honigsorten am Geschmack zu unterscheiden, eine Übung, die Städtern vielleicht überflüssig vorkommen mag, aber viel über die Natur und die Arbeit der fleißigen Bienen erzählt.
Eine der Geschichten, die Riezler selbst gerne erzählt, handelt von der Entstehung des Hauses, das von seinem Opa als Malerwerkstatt geführt wurde. Leider hatten es viele der Kunden nicht so mit der Zahlungsmoral. Da beschloss die Großmutter eines Tages: „Wir machen ein Wirtshaus, da haben wir abends den Lohn für die Arbeit und nicht erst in einem halben Jahr.“Gesagt, getan, der Opa aber blieb bei seiner Kunst. Großvaters Umgang mit Farben kleidet auch heute noch die schönen Stuben vorzüglich. Die Malereien, die gemalten Sprüche und Ornamente in den Stuben in einer Farbmischung aus Ockergelb oder Grün („Die einen sagen so, die anderen so“) erinnern an seine Arbeit.
Riezler weiß, wer das beste Joghurt macht, er kennt die besten Käser, Bauern, Rinderzüchter.
Die Kunden der Großeltern hatten es nicht so mit der Zahlungsmoral: Daher machten die ein Wirtshaus.
Schöner wird’s nicht. Riezlers Mama Ulrike war dann ganz Köchin, sie bäckt auch heute noch, wie es man es in den Bergen kennt, das Brot für die Gäste im Steinbackofen, Natursauerteig natürlich, Einkorn und Waldstaudenroggen. Sie kümmert sich auch um den Garten und vieles wird im Haus der Riezlers selbst gemacht, geräucherter Schinken, Marmeladen, allerlei aus den Kräutern des Gartens. Es gibt eine Ziege, Hasen, es gibt Hühner und Laufenten, damit die Schnecken im Sommer nicht übermäßig Schaden anrichten.
An Selbstbewusstsein hat es den Bewohnern des Kleinwalsertales nie gemangelt. Das haben sie mit den Landsleuten aus Vorarlberg gemeinsam. Die Walser schauen aus dem Fenster und wissen, dass sie privilegiert sind. Oder um es mit den Worten von Jeremias Riezler zu sagen: „Als die Walser im elften Jahrhundert aus dem Westen auf der Suche nach einer neuen Bleibe in diesem Tal Station machten, stellten sie fest: Hier bleiben wir, denn schöner wird es nicht mehr.“