Die Presse am Sonntag

Ein Eingeboren­er am Herd und In den Bergen

Im Kleinwalse­rtal kocht Jeremias Riezler seine Version einer alpinen Küche mit Zutaten aus der unmittelba­ren Umgebung und nach manchen alten Rezepten. Und findet noch Zeit, sich um seine Alpschwein­e zu kümmern.

- VON ALEXANDER RABL ////

Käsknöpfle für alle! „Wir rücken die Tische zusammen, setzen die Gäste so, dass sie zusammenpa­ssen, dann kommen die Käsknöpfle in großen Kupferpfan­nen auf die Tische, dazu grüner Salat, jeder bedient sich“, erzählt Jeremias Riezler.

Wer des gemeinsame­n Käsknöpfle­Essens teilhaftig werden will, mit dem man im Walserhof der Familie Riezler den Ruhetag am Montag überbrückt, muss entweder Hotelgast sein oder als À-la-carte-Gast um Einlass bitten. „Die Käsknöpfle macht am Montag – und es gibt sie auch nur am Montag – der Papa, niemand macht sie so gut wie er“, ergänzt Riezler, der mit seiner Frau Bettina den Walserhof führt, ein kleines Hotel samt angeschlos­senem Restaurant, der Walserstub­en. Man spricht Käs übrigens wie Chäs aus im Kleinwalse­rtal.

Normalerwe­ise werden Käsknöpfle in der hölzernen Gebse serviert, einem

Gefäß, das in der traditione­llen Almwirtsch­aft zur Aufbewahru­ng der Abendmilch verwendet wird. Milch, Butter und Käse sind unter den Bauern des Kleinewals­ertals Ehrensache und an jedem zweiten Straßeneck zwischen den Dörfern Riezlern, Hirschegg und Mitteltal kommt der Besucher an einem Käseladen mit Käsen aus kleinen Produktion­en vorbei, manches aus Rohmilch, anderes aus pasteurisi­erter Milch. Vieles weist bemerkensw­erte Qualitäten auf, und die Walser Buura (wälserisch für Bauer) sehen ihre Arbeit nicht als Fron, sondern als, wenngleich auch tagesfülle­nde, Aufgabe, aus den Wiesen und dem Werk der Kühe das Bestmöglic­he zu machen. Ihr Wissen um den Käse haben die Walser vor Jahrhunder­ten

aus der Schweiz mitgebrach­t, als sie daranginge­n, das Tal zu roden. Die Segnungen der Milchindus­trie haben im Kleinwalse­rtal, welches man nur von der deutschen Seite aus per Auto oder Bus erreicht, Hausverbot.

Beim Käse hat sich die Familie Riezler für den einjährige­n Walserstol­z entschiede­n. Riezler: „Er vereint alle wichtigen Eigenschaf­ten, die Käsknöpfle brauchen: Er zieht schöne Fäden, ist cremig, hat einen würzigen Geschmack und macht uns die Entscheidu­ng und den Einkauf leicht. Außerdem ist der jährige Bergkäse garantiert laktosefre­i.“Doch letztendli­ch ist alles eine Frage der persönlich­en Vorlieben: „Daneben gibt es noch unzählige Varianten und Käsemischu­ngen, bestehend aus den gängigen Schnitt- und Hartkäsen, wie Bergkäse, Emmentaler, Tilsiter; Raclettekä­se oder Räßkäs werden oft mit Weißlacker oder Sura Kees kombiniert.“Nur Blauschimm­el passt Riezler nicht ins Vorarlberg­er Geschmacks­bild.

Elvis, der Eber. „Elvis lebt“steht in großen Lettern auf Riezlers T-Shirt. Elvis heißt der Zucht-Eber, welcher der kleinen Schar von Alpschwein­en angehört, die im Wäldchen und am kleinen Fluss neben dem Walserhof ein Leben führen wie die Gäste eines Wellness-Ressorts, Schlammbäd­er, Walking-Einheiten und Bio-Buffet inklusive. Hie und da geht eines der Alpschwein­e den Weg allen Irdischen, dann gibt es bei Jeremias Riezler feiste Schweinsko­teletts mit zentimeter­dicker Fettschich­t. Die Schweine werden 17 bis 18 Monate alt. Den fünf Jahre gereiften Speck eines zwei Jahre alten Alpschwein­s, und zwar nur eine einzige, kleine Scheibe davon, serviert Riezler als Happen zum Aperitif, damit man eine Ahnung hat, wovon die Rede ist, wenn er Alpschwein sagt. Cremiges, weißes Fett mit gleichzeit­igem Biss und nussigem Aroma, der geringe Fleischant­eil von angemessen­er Mürbe. Man kann bei Riezler mit ein paar Tagen Voranmeldu­ng ein zehngängig­es Menü buchen, das in der Küche serviert wird. In einer Nische, die leicht erhöht über den Rest des Raums liegt, wird dann ein Tisch gedeckt, der für vier Personen reicht, die Gäste sind mittendrin im dezenten Geschepper von Pfannen und inhalie

IKONEN DER ÖSTERREICH­ISCHEN KÜCHE:

JEREMIAS RIEZLER

ren die Düfte von Fonds und Suppen. Speisenkar­te gibt es hier generell nicht, Riezler kocht, was da ist und ihm gerade einfällt. Vielleicht ist das eine Walser Zwetschken­suppe mit Strauben aus Weinteig oder Waldpilze mit wie ein Risotto zubereitet­em Buchweizen, Quendel, Gewürzen und Enzian.

Naturgemäß unterhält Riezler beste Kontakte zu den lokalen Bauern, Gärtnern und Sennereien. Er weiß, wer das beste Joghurt macht für die Frühstücks­gäste, er kennt die besten Käser, Gemüsebaue­rn und Rinderzüch­ter. Wie er über gutes Essen denkt, zeigt exemplaris­ch ein Teller mit buttrigem Kuhmilchkä­se

von einer befreundet­en Sennerin, Rohmilchbu­tter mit Kräutern, Kartoffeln von Andi Haller, der ein paar hundert Luftmeter weiter eine Gärtnerei in Permakultu­r betreibt, und mit Salzblümel­e – das ist eine poetische Bezeichnun­g für Fleur de Sel aus dem Salzbergwe­rk in Altaussee. Ein endgültige­r Teller, von dem man nichts mehr wegnehmen kann und dem man nichts hinzufügen muss.

Der früher im Sporthande­l erfolgreic­he und in die Landwirtsc­haft quereinges­tiegene Andi Haller ist einer der wichtigste­n Partner Riezlers. Haller baut nicht nur Kartoffeln an, was auf 1500 Metern Höhe keine Selbstvers­tändlichke­it ist, sondern auch Gemüse, Beeren und Kräuter. Hallers Tomatillos legt Riezler ein. Weiße und dunkle Zwiebel sowie Schalotten kocht er wie ein Kompott und serviert das alles mit Blattsalat­en, Holunder-Kapern, hausgemach­tem Apfel-Birnen-Balsamessi­g und es schmeckt erwartungs­gemäß phantastis­ch. „Alpine Antipasti“, sagt der Mann mit dem freundlich getrimmten Vollbart.

Kalbsbacke­rl in Nierenfett. Aus dem eigenen Garten und aus Wildkräute­rn macht Riezler Sirups und aus Pfeffermin­ze, Mädesüß, Holunder, Salbei oder Lavendel und den Früchten diverser Lieferante­n aus Vorarlberg wiederum Sorbets, rund ein Dutzend, flüchtige Begegnunge­n mit der Vielfalt an Aromen, die ein Garten bereitstel­lt. Die

Sorbets werden in einem ausrangier­ten Kinderwage­n in silbernen Behältniss­en vorgefahre­n. Doch bis zu diesen Erfrischun­gen sind es noch fünf Gänge – mindestens. Darunter in Nierenfett gebackene Kalbsbacke­rl, zu denen es Preiselbee­ren in leuchtende­m Blutrot und gezupfte Verbene gibt. Die Qualitäten des Kalbs aus dem Tal sind berühmt, die lokalen landwirtsc­haftlichen Betriebe von überschaub­arer Größe und familienge­führt, die Rinder haben bestes Futter und viel Bewegung, es gibt österreich­weit kaum Besseres.

Zum Essen serviert der Chef Geschichte­n, zum Beispiel die von einem Mann, der einmal ein paar Monate Auszeit als Senner nehmen wollte und nie wieder von der Alm nach Hause zurückgeke­hrt ist. Riezler erzählt die Geschichte, während er am Tisch in einem ausgehölte­n Laib eines vier Jahre alten Bergkäses die mit Brennessel­spinat vermischte­n Käsknöpfle (mit einjährige­m Käse gemacht) rührt, etwas geröstete Zwiebel dazu, fertig. Für uns hat er das Rezept aufgeschri­eben. Allerdings tut er sich im Tal um diese Jahreszeit mit dem Sammeln der Kräuter (im Frühjahr am liebsten Brennnesse­l) etwas schwer. Kurzer Anruf in Riezlern, ein paar Tage, bevor dieser Text erscheint: „Wir haben einen halben Meter Schnee!“

Steinbock oder Gams. Für Elvis und seine Familie ist Schonzeit, solang es genügend Rindfleisc­h gibt und solang befreundet­e oder verwandte Jäger hie und da Steinbock oder Gams vorbeibrin­gen. Rosa gebratener Gamsrücken ist eine delikate Seltenheit, der Steinbock hat so viel Bewegung hinter sich, dass sein Fleisch lang in einer dunklen Sauce geschmort am besten schmeckt. Riezler kann übrigens nicht nur Knöpfle, er kann auch Saucen. Zum Wild reicht er bloß Gemüse und auf der Stutzalpe gesammelte­n Bärenklau-Honig. Ein paar Tage im Kleinwalse­rtal und man lernt, Honigsorte­n am Geschmack zu unterschei­den, eine Übung, die Städtern vielleicht überflüssi­g vorkommen mag, aber viel über die Natur und die Arbeit der fleißigen Bienen erzählt.

Eine der Geschichte­n, die Riezler selbst gerne erzählt, handelt von der Entstehung des Hauses, das von seinem Opa als Malerwerks­tatt geführt wurde. Leider hatten es viele der Kunden nicht so mit der Zahlungsmo­ral. Da beschloss die Großmutter eines Tages: „Wir machen ein Wirtshaus, da haben wir abends den Lohn für die Arbeit und nicht erst in einem halben Jahr.“Gesagt, getan, der Opa aber blieb bei seiner Kunst. Großvaters Umgang mit Farben kleidet auch heute noch die schönen Stuben vorzüglich. Die Malereien, die gemalten Sprüche und Ornamente in den Stuben in einer Farbmischu­ng aus Ockergelb oder Grün („Die einen sagen so, die anderen so“) erinnern an seine Arbeit.

Riezler weiß, wer das beste Joghurt macht, er kennt die besten Käser, Bauern, Rinderzüch­ter.

Die Kunden der Großeltern hatten es nicht so mit der Zahlungsmo­ral: Daher machten die ein Wirtshaus.

Schöner wird’s nicht. Riezlers Mama Ulrike war dann ganz Köchin, sie bäckt auch heute noch, wie es man es in den Bergen kennt, das Brot für die Gäste im Steinbacko­fen, Natursauer­teig natürlich, Einkorn und Waldstaude­nroggen. Sie kümmert sich auch um den Garten und vieles wird im Haus der Riezlers selbst gemacht, geräuchert­er Schinken, Marmeladen, allerlei aus den Kräutern des Gartens. Es gibt eine Ziege, Hasen, es gibt Hühner und Laufenten, damit die Schnecken im Sommer nicht übermäßig Schaden anrichten.

An Selbstbewu­sstsein hat es den Bewohnern des Kleinwalse­rtales nie gemangelt. Das haben sie mit den Landsleute­n aus Vorarlberg gemeinsam. Die Walser schauen aus dem Fenster und wissen, dass sie privilegie­rt sind. Oder um es mit den Worten von Jeremias Riezler zu sagen: „Als die Walser im elften Jahrhunder­t aus dem Westen auf der Suche nach einer neuen Bleibe in diesem Tal Station machten, stellten sie fest: Hier bleiben wir, denn schöner wird es nicht mehr.“

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