Die Presse am Sonntag

Die rufen doch um Hilfe, oder?!

Schreien macht sechs Grad kaltes Wasser zwar nicht wärmer, erleichter­t das Eintauchen aber doch: Eisbaden, das Passanten vor ein paar Jahren noch die Rettung rufen ließ, ist mittlerwei­le ein Trend.

- VON TOM ROTTENBERG

Manchmal ist es für Außenstehe­nde unmöglich, Leid von Lust zu unterschei­den. Erst recht, wenn sich die Außen- , in dem Fall: Am-Rand-Stehenden fragen, ob die Drinnen-Stehenden noch bei Trost sind: Menschen, die bei zwei Grad Kälte und starkem, böigem (Eis-)Wind bis zum Kinn im Wasser stehen, können unmöglich jubeln. Die rufen doch um Hilfe, oder?

Oder. Eindeutig oder. Wobei viele Außenstehe­nde das ohnehin schon begriffen haben. Denn was Spaziergän­ger noch vor drei Jahren den Notruf wählen ließ, ist längst fast mehrheitsf­ähig. Oder zumindest Trend: Eisbaden nämlich.

Der winterlich­e Gang ins eiskalte Nass findet heute in so gut wie allen Gewässern statt. Einzeln, aber auch in 30köpfigen Gruppen wird mit Todesverac­htung erst gewatet – und dann gewartet: Wie lang dauert es, bis Panik- und Schnappatm­ung einsetzen? Wann schreit alles in Kopf und Körper „Hol mich hier raus!“? Nach zehn Sekunden? Oder doch zwei Minuten? Es geht aber um mehr: Wie weit komme ich? Bis zum Knie? Zum Nabel? Zum Kinn? Schaffe ich es unterzutau­chen?

Gruppendru­ck hilft. Eines ist aber klar: Schreien hilft. Fluchen auch. Und Gruppe. Weil das „Wenn die das können, schaffe ich es auch“das Verlassen der Komfortzon­e erleichter­t. Die Gruppe – eventuell sogar Hand in Hand in einer Reihe – macht das Wasser natürlich nicht wärmer. Aber das nervöse Lachen, das gegenseiti­ge Anfeuern hilft, doch noch einen Schritt weiter reinzugehe­n. So wie das gemeinsame Fassungslo­sSein, wenn man spürt, dass dem Alarmungla­ubliche Triumphgef­ühle folgen: Wow! Dann taucht wer unter – und wieder auf. Grinsend. Dieses Strahlen kann man nicht kaufen. Soll ich? Nein, zu kalt! Doch. Nein. Doch. – Dann: Doppel-Wow. Sogar Triple! Hab ich das gerade wirklich getan? Bin ich tatsächlic­h in 6,1 Grad kaltem Wasser untergetau­cht? Freiwillig?

Das Danach, sagen die, die einmal drin waren, ist „der Hammer“. Unbeschrei­blich. Medizinisc­h-physiologi­sch natürlich schon – aber subjektiv-emotional? „Ich habe meinem Körper bewiesen, dass wir – er und ich – das können. Dass wir dabei nicht sterben“, versucht die Frau mit der grauen Mütze zusammenzu­fassen, was ihr „mental gerade einen Mega-Kick“gab: mit einem Dutzend anderer ging Sabine G. letzten Sonntag in der Strombucht an der Unteren Alten Donau ins Wasser. Für die gebürtige Kärntnerin hier das zweite, insgesamt erst das vierte Mal. Dementspre­chend gefeiert wurde sie von den teils langjährig aktiven Strombucht­piraten – zu zwei Dritteln übrigens Piratinnen. Der Endorphink­ick, sagt G., entspräche dem beim (absichtlic­hen) Sprung ins Klettersei­l: „Das schaffst du nur aus einem einzigen Grund: Weil du es wirklich willst.“Schmunzeln­d ergänzt sie, wie ihr Wunsch entstand: „Mein Freund springt überall rein. Irgendwann wurde es zu fad, nur zuzuschaue­n. Aber vor allem: zu kalt.“

Nur für Gesunde gesund. So funktionie­ren Trends: Nur zuzuschaue­n, wenn Österreich­s legendärer Eisschwimm-Großmeiste­r Josef Köberl medientaug­lich in Gletscher- und Gebirgssee­n PlantschSe­minare abhält, wird bald fad. Erst recht dann, wenn man überall auf Gruppen wie die Strombucht­piraten trifft. Egal, ob sie einfach so oder nach den Methoden von Eisbade-Guru Wim Hof ins Wasser gehen: Eisbaden, das beweist der Blick in die Runde, ist eher kein Extremspor­t: Wer will, der – oder die – kann. Und gesund ist es obendrein.

Wobei das so nicht ganz stimmt. Der Arzt Robert Fritz von der Wiener Sportordin­ation betont eindringli­ch, dass die gern zitierte Stärkung des Immunsyste­ms erst bei regelmäßig­em Eisbaden („Zuerst kommt es zu einer Schwächung“) eintritt. Und der infolge des Kaltwasser­gangs besseren Blutzirkul­ation, Bindegeweb­sversorgun­g und Regenerati­onsfähigke­it stehe ein großes Aber gegenüber: Eisbaden ist nur für Gesunde gesund. Bei Übergewich­t, Blutdruck- oder Kreislaufp­roblemen, bei Gefäßerkra­nkungen oder bei Diabetes etwa warnt der Arzt ausdrückli­ch vor nassforsch­em Plantschen. Und die nicht umzubringe­nde These, dass Eiswasser Infekte – sogar Covid – „wegspült“, ist falsch, dumm und „sogar gefährlich“.

Wettkämpfe im Donau-Altarm. Sportmediz­iner Robert Fritz selbst ist „kein großer Fan dieses Trends“. Vielleicht, weil auch im Kalten gilt, was beim Gang ins Wasser in Österreich ständig geschieht: „Baden“wird mit „Schwimmen“, also Sport, gleichgese­tzt. Letzteres geht im Eiswasser natürlich auch. Es gibt sogar Wettkämpfe – etwa im Donau-Altarm bei Greifenste­in. Und obwohl auch dabei Selbstüber­windung davor und Endorphin-Rausch danach zentrale Rollen spielen, ist das eine andere Geschichte.

 ?? //// Tom Rottenberg ?? Die Strombucht an der Unteren Alten Donau wird regelmäßig von Eisbadende­n frequentie­rt, zuweilen von Schreien begleitet.
//// Tom Rottenberg Die Strombucht an der Unteren Alten Donau wird regelmäßig von Eisbadende­n frequentie­rt, zuweilen von Schreien begleitet.

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