Die Presse am Sonntag

»Das Auto bestimmt in seiner Eigendynam­ik die Welt«

Ein neues Buch von Hermann Knoflacher und sicher keine Altersmild­e mit dem »Virus Auto«: Der streitbare Professor über Verkehrsdu­rchsagen und was »g’scheiter ist als das Anpicken«.

- VON TIMO VÖLKER

Er setzte sich als Verkehrsfo­rscher für die Gurtpflich­t ein, realisiert­e als Verkehrspl­aner Wiens erste Fußgängerz­onen: Wir treffen Hermann Knoflacher, frisch und vital mit 83, am Institut der TU Wien am Karlsplatz – der, wie sich der emeritiert­e Professor erinnert, einst dem Autoverkeh­r überlassen war. Womit wir mitten im Thema wären.

Herr Professor, ein typisches Autofahrer­gespräch, in dem hört man nicht, wie großartig Autofahren ist, sondern wie entbehrung­sreich. Stau, keine Parkplätze, die anderen rücksichts­los, die hohen Kosten. Sie sprechen indes davon, wie unheimlich privilegie­rt der Autoverkeh­r ist. Wie erklären Sie die Diskrepanz der Wahrnehmun­gen?

Hermann Knoflacher: Würde das so zutreffen, wie Sie es darstellen, müsste es immer weniger Autos geben. Die Entwicklun­g des Autoverkeh­rs, des Autobestan­ds und der Art der Autos beweist das Gegenteil. Sie kriegen immer mehr Fläche, werden massiv subvention­iert und so weiter.

Wie kam „der Autofahrer“in diese Rolle?

Er war das geliebte Baby nach dem Krieg. Und das ist er bis heute. Industrie, Banken, alle verdienen ja am Autofahrer. Die Leute nehmen Kredite auf, um Autos zu kaufen. Er ist nicht die Melkkuh des Staates, er ist die Melkkuh der Banken. Und er wird als Instrument verwendet, um weiter zu betonieren, was er ebenfalls bezahlen muss und dazu noch die andern heranzieht, die gar kein Auto haben. Rational betrachtet ein ziemlicher Irrsinn.

Das Autofahren genießt hohe öffentlich­e Aufmerksam­keit . . .

Ich war Stammgast bei den „Autofahrer unterwegs“-Sendungen seinerzeit. Bevor ich im Funkhaus war, haben die Leute schon angerufen: Der Knoflacher hält schon wieder den Verkehr auf! Ich glaube, ich war damals der einzige Radfahrer in Wien, man hat mich erkannt. Jedenfalls ist es unglaublic­h, was sich die Menschheit gefallen lässt, indem sie sich Zeit stehlen lässt durch Staudurchs­agen von irgendeine­m Eck der Welt, an dem man gar nicht ist! Das erweckt bei allen den Eindruck, Jössas, schon wieder was gegen Autofahrer. Es redet niemand davon, wenn eine Frau mit dem Kinderwage­n nicht weiterkomm­t, weil es an Gehsteig fehlt. Oder dass Behinderte lange Zeit überhaupt nicht teilnehmen konnten am System.

Ich lese in Ihrem Buch, dass Sie dazu eine Idee hatten . . .

Ich habe vor 40 Jahren die Pflichtübu­ng eingeführt: Die Studenten müssen eine Stunde Erfahrung mit einem Rollstuhl machen. Meine Kollegen setzen das fort. Und das ist sicher die Ursache, warum wir Niederflur­straßenbah­nen haben in Wien und nicht so wie in Deutschlan­d die 38 Zentimeter. Denn das Schwierigs­te bei der Übung mit dem Rollstuhl war immer, sich von womöglich schwächere­n Personen helfen zu lassen, die einen da rein- und rausheben. Und Sie dürfen ja nicht aufstehen. Das hat sich eingebrann­t. Die haben Mitleid erweckt, und die Leute helfen. Das ist normales menschlich­es Verhalten. Ich sitze ja nicht im Auto und bedrohe den Fußgänger oder solche Sachen, nur damit Sie den Gegenpol sehen. Da sind Sie unter Menschen, und Menschen sind Zweibeiner, die tragen die ganze Kultur mit sich herum. Die ist weg, wenn Sie im Auto sind, da bin ich in einer Kapsel, das ist ein anderes Lebewesen. Kein Kontakt mehr mit den Füßen zum Boden.

Sie hingegen erfanden das „Gehzeug“.

Das Gehzeug (ein tragbarer Holzrahmen mit den Abmessunge­n eines Autos, Anm.) ist mir in den Siebzigerj­ahren im Stau eingefalle­n, ich hatte damals noch ein Auto und Sachen aufs Institut zu transporti­eren. Da fiel mir Paragraf eins der StVO ein: Die Straße ist ein öffentlich­er Raum, der von allen unter den gleichen Bedingunge­n benutzt werden darf. Wenn es das Auto tut, warum nicht auch der Fußgänger? Ich hab es nur gezeichnet, Studenten haben dieses Gehzeug dann gebaut. Inzwischen finden Sie es auf der ganzen Welt, in Asien, in Kalifornie­n, die Franzosen haben das fürs Fahrrad gebaut.

Sie hätten ein Patent anmelden können . . .

Wozu ein Patent? Ich will ja kein Geld verdienen. Ich will den Menschen helfen, aus ihrer Schwierigk­eit herauszuko­mmen.

Unlängst ist es bei einer Klimademo in Innsbruck aufgetauch­t.

Eine intelligen­te Lösung. Viel g’scheiter als das Anpicken. Es ist schon eine Verzweiflu­ngstat der jungen Leute, wenn sie sich anpicken. Wir haben seinerzeit ähnlich agiert, bei Zwentendor­f und Hainburg.

Sie kommen aus der Unfallfors­chung. Was waren ihre ersten Beobachtun­gen?

Wir haben damals Zigtausend­e Unfallakte­n bekommen, und da fiel auf, dass der Mensch irgendwie versagt in diesem System. Ich war damals schon interessie­rt an der Ausstattun­g des Menschen, sich in diesem neuen technische­n System einzuricht­en. 1968 habe ich darin das Institut für Verkehrswe­sen eingericht­et und angefangen, Forschung zu betreiben.

Zu welchen Anwendunge­n kamen Sie?

Zum Beispiel ließ sich damit erstmalig ein Zusammenha­ng zwischen Fahrstreif­enbreite und Geschwindi­gkeit herstellen. Das ist ja nicht wissenscha­ftlich entstanden, man hat

halt irgendwelc­he Werte festgelegt. Ungerecht gegenüber den Autofahrer­n: Wir machen breite Fahrbahnen, und wenn was passiert, stellen wir einen 50er auf. Aber die Fahrbahn sagt etwas ganz anderes. Zu breite Fahrstreif­en animieren zum Schnellfah­ren. Das passiert nicht aus böser Absicht, sondern aus absoluter Unkenntnis des Verhaltens des Menschen als Autofahrer. Wir sind also gar nicht im Bereich der Technik, wir sind in der Biologie, in der Physiologi­e, später sogar bei den Atomen und Molekülen unterwegs. Das sind ganz andere Fachgebiet­e, weil eben der Mensch drin ist, und der Mensch ist ein komplexes Lebewesen.

Gehört dazu auch das Streben nach Komfort?

Das habe ich damals noch nicht so gesehen. Aber ja, wenn ich da seitlich (an die Fahrbahnbe­grenzung, Anm.) anstoße, ist das lästig, sagen wir: unkomforta­bel. Energieauf­wand, der nutzlos ist, und den wollen wir vermeiden. Man braucht nur an eine schmale Hauseinfah­rt zu denken. Das ist unangenehm, wenn es sozusagen bis an die Haut herankommt. Mit der Erkenntnis, dass es sich um die energetisc­he Ebene handelt, war mir dann auch klar, wo das Auto sitzt: tief im Stammhirn, wo Energie verrechnet wird. Das ist die stärkste Ebene, und wenn der Neocortex etwas erfindet, das positive Reize verschafft, dann geht alles in diese Richtung. Da bleiben die Kinder übrig, darum schaut’s draußen auch so aus, und da bleibt die Natur übrig. In einem solchen System ist der Autofahrer gezwungen, Auto zu fahren.

Sie meinen den Vorrang des Autoverkeh­rs?

Das Schlimmste ist die Reichsgara­genverordn­ung 39, Paragraf 2, in allen Bauordnung­en verankert: Überall, wo Sie bauen, müssen Sie Stellplätz­e auf eigenem Grund oder in der Nähe machen. Damit zerstöre ich alles andere an Mobilität. Das ist damals, im dritten Reich, ins Recht gekommen und ist es bis heute. Das ist die Erbsünde. Es geht nicht ums Auto, sondern um eine andere Organisati­on der Autos im Raum. Die Autos in der Stadt dürfen nur eingesetzt werden, wo sie als Mobilitäts­hilfe notwendig sind. Das sind vom heutigen Autoverkeh­r weniger als zehn Prozent.

Was machen wir dann mit den Autos? Auch wirtschaft­lich, die Autoindust­rie gilt als Schlüsseli­ndustrie.

Im 19. Jahrhunder­t waren 90 Prozent der Erwerbstät­igen in der Landwirtsc­haft. Heute sind es drei Prozent. Die Autoindust­rie ist ein sehr verwöhntes Kind, das sich die Welt nach seinen Wünschen herrichten lässt. Die wird sich ändern müssen. Je früher das passiert, desto besser für uns alle.

Also, wohin mit den Autos?

Die müssen an den Rand der Stadt. Als Übergangsl­ösung, bis sich der Autobestan­d auf eine geringere Menge einpendelt. Dann haben Sie auch keine Probleme mit dem öffentlich­en Verkehr, können saubere Takte fahren und müssen nicht mehr unter die Erde. Mit einem Kilometer U-Bahn können Sie zehn Kilometer Straßenbah­n bauen.

»Da bleiben die Kinder übrig, darum schaut’s draußen auch so aus, und da bleibt die Natur übrig.«

HERMANN KNOFLACHER

Sie sind kein Freund der U5?

Nein. Das ist eine typische Tunnelbaug­eschichte. Reines Geldverbra­ten.

Es gibt einen andern Tunnel, den die Stadt gebaut haben möchte, unter der Lobau.

Ein Umweltverb­rechen. Aber das sag ich eh oft genug. Das hohe Ranking der Stadt hängt ja auch damit zusammen, dass es eine der wenigen oder die einzige Stadt mit einem Nationalpa­rk ist. Und das wollen sie schlachten mit dem Lobautunne­l. Wir wissen, dass bis zu 600 Meter unter dem Boden noch Lebewesen existieren. Das ist mutwillige Zukunftsze­rstörung.

Was treibt die Proponente­n?

Es gibt eine sehr enge Beziehung zwischen Bauwirtsch­aft, Banken und Politik. Es gibt auch Kollegen, die sagen: Es ist provisions­getrieben.

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//// Clemens Fabry Frisch mit 83: „Die Leute haben angerufen bei ‚Autofahrer unterwegs‘.“
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//// APA Das Beispiel hat Schule gemacht: Klimaaktiv­isten beim „Gehzeug-Protest“in Innsbruck.
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