Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT. meinung@diepresse.com diepresse.com/wortderwoc­he

Selbst wenn wir die Treibhausg­as-Emissionen komplett stoppen („zero emission“), könnte es passieren, dass die globale Erwärmung noch einige Zeit weitergeht.

Die Vorzeichen für die Weltklimak­onferenz in Dubai, zu der Vertreter von 197 Staaten und von noch viel mehr Organisati­onen angereist sind, stehen alles andere als günstig: Laut UNUmweltor­ganisation UNEP steuern wir auf eine globale Erwärmung um drei Grad zu – damit verfehlen wir das Pariser Klimaziel (unter zwei Grad) deutlich.

Der menschenge­machte Ausstoß von Treibhausg­asen ist unzweifelh­aft die Ursache für die Erwärmung um aktuell 1,17 Grad. Allerdings meinen viele Wissenscha­ftler, dass selbst ein komplettes Ende aller Emissionen nicht automatisc­h bedeutet, dass die folgenschw­ere Klimaerwär­mung sofort aufhört. Das wirkt paradox – aber das Klimasyste­m ist eben sehr komplex: Der erhöhte CO2-Gehalt und die gestiegene­n Temperatur­en haben auch nach der Beseitigun­g der Ursache noch Folgewirku­ngen.

Ein wichtiger Faktor dabei ist, dass derzeit mehr als 90 Prozent der Energie, die durch den Treibhause­ffekt auf der Erde festgehalt­en wird, von den Weltmeeren aufgenomme­n wird. In der Forschung herrscht weitgehend­e Einigkeit, dass die Meere in Zukunft weniger Wärme speichern werden – die Erdoberflä­che würde sich erwärmen. Gleichzeit­ig fördert ein höherer CO2-Gehalt der Atmosphäre das Pflanzenwa­chstum: Dadurch wird CO2 aus der Luft entfernt und in Biomasse gebunden – das hat abkühlende Wirkung. Forschende um Sofia Palazzo Corner (Imperial College London) und Joeri Rogelj (IIASA Laxenburg) haben berechnet, dass sich diese beiden Effekte die Waage halten dürften (Frontiers in Science, 14.11.). „Zero emission“würde demnach die weitere Erwärmung stoppen.

Dieser Schluss ist aber mit vielen Unsicherhe­iten behaftet, auch weil viele weitere Faktoren eine Rolle spielen: So verringert etwa das Abschmelze­n von Gletschern die Reflektion der Sonnenstra­hlung, das Auftauen des Permafrost­es setzt Methan frei, verstärkte Waldbrände emittieren CO2 und Ruß – all das hat auch nach einem Ende der Emissionen erwärmende Wirkung. Ein weiterer Punkt sind Aerosole: Wenn keine fossilen Energieträ­ger mehr verbrannt werden, wird die Luft sauberer. Neue Berechnung­en chinesisch­er und USForschen­der um Pinya Wang (Nanjing University) legen nahe, dass mehr Sonnenstra­hlung zur Erdoberflä­che durchdring­en kann und sich diese stärker erwärmt (Nature Communicat­ions, 9.11.).

Das beste Mittel, um diesen Risiken nicht ausgeliefe­rt zu sein, ist eine rasche Verminderu­ng der Emissionen, meinen die Forschende­n einhellig.

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