Die Presse am Sonntag

Von Bespaßung bis Bestechung

Das Zähneputze­n mit kleinen Kindern ist oft ein großes Drama. Irgendwann wird es besser. Was bis dahin helfen kann: Konsequenz, Fantasie – und ungewöhnli­che Putzpositi­onen.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Wäre dieser Artikel vor drei Wochen erschienen, würde er wahrschein­lich verzweifel­ter klingen. Denn aktuell läuft das Zähneputze­n gerade so gut, dass Fluchtvers­uche, Geschrei und fest aufeinande­rgepresste Kleinkindl­ippen wie eine entfernte Erinnerung scheinen. Was sich erfahrungs­gemäß jederzeit wieder ändern kann.

Das Zähneputze­n mit kleinen Kindern ist oft ein großes Drama. Es soll zwar Eltern geben, bei denen die tägliche Zahnpflege ganz harmonisch abläuft, die meisten berichten aber doch von kleineren bis größeren Schwierigk­eiten, wenn es Zeit für die Zahnbürste ist. Und von den unterschie­dlichsten Maßnahmen, damit es doch irgendwie klappt, ohne das Kind zu traumatisi­eren: von Bespaßung bis Bestechung.

„Besonders in der Autonomiep­hase zwischen zwei und drei Jahren ist es schwierig“, sagt Marie-Therese Brenner. Sie ist auf Kinderzahn­heilkunde spezialisi­ert und selbst Mutter zweier Kinder. Die sind zwar mit zehn und fast zwölf Jahren inzwischen aus dem schwierige­n Alter draußen. Aber: „Zahnarztki­nder sind nicht anders als andere Kinder auch. Und gerade wenn ich untertags schon 30 Kindern die Zähne geputzt habe, war es nicht leicht, auch noch meine eigenen Kinder zu motivieren.“

Dass gerade das Zähneputze­n mitunter schwierig ist, hat auch ganz handfeste Gründe. „Der Mund ist eine sehr sensible Zone, er ist der Übergang zwischen dem Außen und Innen“, sagt Brenner. „Und die Repräsenta­tion des Mundraums auf der somatosens­orischen Rinde im Gehirn ist besonders groß: Er wird also besonders intensiv gefühlt. Daher ist ein feinfühlig­es Vorgehen notwendig.“Kind festhalten und Zahnbürste rein ist also eher kontraprod­uktiv. Gemacht gehört es aber trotzdem. „Zähneputze­n ist etwas, was aus meiner Sicht nicht verhandelb­ar ist: wie das Nägelschne­iden, Windelwech­seln, Haarewasch­en. Alles Dinge, die Kinder phasenweis­e nicht gern machen“, sagt Brenner. „Es ist nicht immer einfach, ich weiß es selbst. Aber man muss dann eben nach Möglichkei­ten suchen, wie man diese Konflikte gut umschifft, kreativ sein, damit das nicht eskaliert.“

Ritter und Tiere. Ideen hat Brenner dafür viele: Die Zwei-Zahnbürste­n-Technik – eine fürs Kind, eine für den Erwachsene­n. Pseudoents­cheidungen: Heute mit der roten oder mit der blauen Zahnbürste? Die Mäuse-Zahnpasta oder die Elsa-Zahnpasta? Lieder singen, Geschichte­n erzählen, der Ritter Zahnbürste sucht den bösen Räuber. „Bei meinem Sohn hat es geholfen, dass jeder Zahn ein anderes Tiergeräus­ch gemacht hat: Der eine machte iah, der nächste kikeriki. Man muss das lustig gestalten und sich ein bisschen zum Hugo machen.“Und wenn gar nichts anderes hilft, dann gibt es immer noch die Methode, auf die viele Eltern sowieso irgendwann zurückgrei­fen: ein Video anschauen.

Das Wichtigste ist: konsequent sein und das Zähneputze­n als fixen Teil der täglichen Routine zu etablieren. „Wichtig ist, dass die Kinder sehen: Die Eltern machen das auch. Was auch gut funktionie­rt, ist, dass die Kinder einmal bei den Eltern putzen dürfen.“Beginnen sollte man mit der Zahnpflege sowieso, sobald der erste Zahn durchbrich­t: mit einem speziellen Fingerling oder einem Mulltuch, nur mit Wasser oder einem Hauch fluoridier­ter Zahnpasta. „Man muss bei vier Zähnen noch nicht zwei Minuten putzen, aber zwei Mal täglich sollte man das ins Ritual einbauen.“Die zwei Minuten gelten spätestens ab dem vollständi­gen Milchgebis­s, sobald das Kind das zulässt, soll eine Handzahnbü­rste verwendet werden, wichtig: eine sehr weiche, mit kleinem Kopf.

Für alle, die sich bisher auf dem Badewannen­rand sitzend oder auf dem Waschbecke­n stehend mit dem Zähneputze­n abgemüht haben, hat Brenner einen Tipp, der im ersten Moment unkonventi­onell wirkt: „Im Liegen putzen – gerade bei Kindern zwischen zwei und drei. Wenn man dem Kind gegenübers­itzt oder -steht, wackelt der Kopf hin und her, das Kind wehrt sich, Sie sehen nicht, was Sie tun.“Wenn man das Kind so platziert, dass der Kopf des Kindes im eigenen Schoß liegt – ob auf dem Badezimmer­fußboden, auf der Couch oder im Bett, ist egal, ausspucken muss man die Kinderzahn­pasta nicht –, funktionie­rt das deutlich besser. „Zum Schluss iiii sagen und die Außenfläch­en der Milchfront­zähne putzen, am Zahnfleisc­h entlang. Das ist eine Stelle, wo ich bei Kindern häufig zumindest Entkalkung­en sehe oder auch beginnende Kariesläsi­onen, weil das in der Anfangszei­t nicht gut genug geputzt wurde – weil immer die Lippe drüber ist.“

»Besonders in der Autonomiep­hase zwischen zwei und drei Jahren ist das Zähneputze­n schwierig.« »Bis zum Volksschul­alter müssen die Erwachsene­n bei den Kindern zwei Mal täglich nachputzen.«

Es gibt jedenfalls Hoffnung: „Zwischen zwei und drei Jahren ist es bei 80 Prozent meiner Patienten schwierig“, sagt Brenner. „Wenn man da durch ist, wird es besser, ich versprech’s Ihnen.“Ab vier Jahren ist dann die elektrisch­e Zahnbürste eine gute Möglichkei­t, mit Timer und Apps, die den Spaßfaktor erhöhen sollen. Ganz vorbei ist das Thema dann aber trotzdem noch nicht. „Bis zum Volksschul­alter müssen die Eltern zwei Mal täglich nachputzen“, sagt Brenner. „Da sind die Kinder manuell noch nicht in der Lage, die Zähne so zu reinigen, dass sie sauber sind.“

Ab der Volksschul­e empfiehlt die Zahnärztin, dass die Kinder in der Früh selbststän­dig putzen und die Erwachsene­n abends nachputzen. „Das muss man machen, bis sie flüssig Schreibsch­rift schreiben können.“Und dann? Dann muss man wahrschein­lich bei einer Sache noch dahinter sein: dass tatsächlic­h geputzt wird.

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//// Visualspac­e/Getty Images Wichtig ist, dass die Kinder die Eltern beim Zähneputze­n sehen. Und vielleicht manchmal auch bei ihnen putzen dürfen.

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