»Wir fühlen uns ohnmächtig«
Die Welt ist hungrig nach Rohstoffen, Mensch und Umwelt in Peru zahlen den Preis dafür. Wer schützt sie? Menschenrechtsaktivistin Rocío Silva-Santisteban über die vielen Krisen in ihrem Land.
Als die Bagger kommen, werfen sich Máxima Acuña de Chaupe und ihre Tochter auf den erdigen Boden. Sie hindern sie am Weiterkommen, sie wollen nicht, dass sie ihr Haus abreißen und sie von ihrem Stück Land in der Region Cajamarca im Norden Perus vertreiben.
Sie sind in einen Rechtsstreit verwickelt: Die siebenköpfige Familie gegen Regierung und ein Unternehmen, das ihr den Boden unter den Füßen wegziehen will. Oder vielmehr das Gold, das darunterliegt. Máxima ist eine kleine, zierliche Bäuerin, aber wie sie da gegen die Maschinen auftritt und sich damit mit der größten Minengesellschaft des Landes, Yanacocha, anlegt, wirkt sie stark. Sie bleibt standhaft gegenüber den Aggressionen der Polizei, den Angeboten des Konzerns, die sich in Einschüchterungsversuche und Drohungen verwandelt haben. Sie beharrt auf der Gültigkeit ihrer Erwerbsurkunde, bekommt Unterstützung von Nachbarn und Dorfbewohnern, die gegen das große Minenprojekt und für die Rechte der Bevölkerung demonstrieren. Am Ende gewinnt sie.
Die peruanische Menschenrechtsaktivistin, Dichterin und Universitätsprofessorin Rocío Silva-Santisteban erzählt gegenüber der „Presse am Sonntag“die Geschichte einer Frau, die zum Symbol des Widerstandes gegen große Bergbaukonzerne wurde, in einem Land, das der globale Hunger nach Rohstoffen immer mehr verschlingt. Die Nachfrage nach Metallen wie Gold, Kupfer und Silber befeuert die Bergbauindustrie, am Lithiummarkt wird Peru ein immer attraktiverer Produzent. Die Bodenschätze sind eine wertvolle Quelle für den wirtschaftlichen Wohlstand und Aufschwung des Landes, aber deren Abbau bedroht zugleich die Lebensgrundlagen zahlreicher, oft indigener Gemeinschaften.
Der Bauer im Maserati. Viele von ihnen werden verdrängt, umgesiedelt, ihre Landrechte missachtet. Die Bewohner des Dorfes Fuerabamba etwa mussten für ein Bauprojekt einem der größten Kupferbergwerke der Welt weichen: Las Bambas, früher in Händen des Schweizer Unternehmens Glencore, seit 2014 Teil des chinesischen Rohstoffkonzerns MMG. Für die Gemeinde der Andenregion wurde eine neue Stadt gebaut, „Nueva Fuerabamba“, man schwärmte ihnen von ihrem neuen Leben vor. „Dem Bauern hat man Geld gegeben und er hat sich einen Maserati gekauft. Für diese Gegend. Und als sie mit ihren Ziegen und Schafen im vierten Stock eines Hochhauses standen, wussten sie nicht, wie sie hier leben sollten. Wie sie Kartoffeln oder Mais anpflanzen, ihr Vieh halten sollten.“
So erzählt es Rocío Silva-Santisteban. Sie spricht von einer „Geisterstadt“, zu der die Ortschaft verkommen ist, von unerfüllten Verpflichtungen aus der Umsiedlungsvereinbarung, von Menschen, die gezwungenermaßen in anderen Regionen untergekommen sind, und solchen, die die Flucht in den Alkohol angetreten haben.
Geschichten wie diese gibt es viele. In Chikñahui, Morococha oder Cerro de Pasco. Orte, in denen Menschen das Recht auf ihr Land und selbst auf ihre Gesundheit genommen wird, wie Silva Santisteban schildert: Wer nicht weggeht oder nicht weit genug, lebt oft auf verseuchten Abraumböden, trinkt mit Schwermetallen belastetes Wasser. Denn Chemikalien, die bei der Aufbereitung von Erzen eingesetzt werden, gelangen häufig in Flüsse, verseuchen das Wasser und schleichen sich zum Beispiel in Form einer Bleivergiftung in die Körper der Dorfbewohner.
Land der Krisen. Wer schützt diese Menschen? „Von der Politik braucht man sich nichts zu erwarten“, sagt Rocío Silva-Santisteban. Das Land triefe vor Korruption.
„Seit dem Jahr 2016 bis heute hatten wir sieben Präsidenten. Und alle Präsidenten bis auf einen, Francisco Sagasti, sitzen heute im Gefängnis oder werden international verfolgt.“
Die frühere Vorsitzende der Nationalen Menschenrechtskoordination kennt das politische System Perus, zwischen 2020 und 2021 war sie Kongressabgeordnete, kurzzeitig auch Parlamentspräsidentin. Francisco Sagasti wollte sie als Präsidentschaftskandidatin aufstellen lassen, nachdem Martín Vizcarra wegen Korruptionsvorwürfen des Amtes enthoben wurde. Aber: „Wer wählt in diesem Land schon eine Frau, die sich für die Rechte anderer Frauen einsetzt?“Am Ende war es Sagasti, der das Land interimistisch regieren sollte, bis sein Nachfolger, Pedro Castillo, das Amt von ihm übernahm. Mittlerweile bekleidet auch er es nicht mehr, sondern sitzt im Gefängnis. Wie auch der ehemalige Präsident Alberto Fujimori, ihm werden Menschenrechtsverletzungen und Korruption vorgeworfen.
Der Rohstoffabbau löst oft soziale Spannungen und Konflikte in den betroffenen Gemeinden aus. »In Peru haben wir eine politische, eine soziale, eine kulturelle und ethische Krise.«
Es gebe so viel zu tun, seufzt SilvaSantisteban. Die soziale Ungleichheit, das miserable Gesundheitssystem, das auch die weltweit höchste Sterberate während der Covid-19-Pandemie aufwies, die endlose politische Instabilität, die Unruhen, die Frustration der Menschen. Oft fühle man sich regelrecht „ohnmächtig“.
Aber immer mehr junge Menschen wachen aus der Ohnmacht auf, beobachtet sie, setzen sich für ihre Rechte ein. „Ja. Es gibt auch Dinge, die gut laufen.“Immer mehr junge Frauen studieren, indigene Völker beteiligen sich an den politischen Angelegenheiten, entwickeln und formieren sich, stehen für ihre Rechte ein. Ganz nach dem Beispiel von Máxima Acuña de Chaupe im Kampf gegen die Bagger, die ihr Haus niederreißen wollten.