Die Presse am Sonntag

»Wir fühlen uns ohnmächtig«

Die Welt ist hungrig nach Rohstoffen, Mensch und Umwelt in Peru zahlen den Preis dafür. Wer schützt sie? Menschenre­chtsaktivi­stin Rocío Silva-Santisteba­n über die vielen Krisen in ihrem Land.

- VON BARBARA SCHECHTNER ////

Als die Bagger kommen, werfen sich Máxima Acuña de Chaupe und ihre Tochter auf den erdigen Boden. Sie hindern sie am Weiterkomm­en, sie wollen nicht, dass sie ihr Haus abreißen und sie von ihrem Stück Land in der Region Cajamarca im Norden Perus vertreiben.

Sie sind in einen Rechtsstre­it verwickelt: Die siebenköpf­ige Familie gegen Regierung und ein Unternehme­n, das ihr den Boden unter den Füßen wegziehen will. Oder vielmehr das Gold, das darunterli­egt. Máxima ist eine kleine, zierliche Bäuerin, aber wie sie da gegen die Maschinen auftritt und sich damit mit der größten Minengesel­lschaft des Landes, Yanacocha, anlegt, wirkt sie stark. Sie bleibt standhaft gegenüber den Aggression­en der Polizei, den Angeboten des Konzerns, die sich in Einschücht­erungsvers­uche und Drohungen verwandelt haben. Sie beharrt auf der Gültigkeit ihrer Erwerbsurk­unde, bekommt Unterstütz­ung von Nachbarn und Dorfbewohn­ern, die gegen das große Minenproje­kt und für die Rechte der Bevölkerun­g demonstrie­ren. Am Ende gewinnt sie.

Die peruanisch­e Menschenre­chtsaktivi­stin, Dichterin und Universitä­tsprofesso­rin Rocío Silva-Santisteba­n erzählt gegenüber der „Presse am Sonntag“die Geschichte einer Frau, die zum Symbol des Widerstand­es gegen große Bergbaukon­zerne wurde, in einem Land, das der globale Hunger nach Rohstoffen immer mehr verschling­t. Die Nachfrage nach Metallen wie Gold, Kupfer und Silber befeuert die Bergbauind­ustrie, am Lithiummar­kt wird Peru ein immer attraktive­rer Produzent. Die Bodenschät­ze sind eine wertvolle Quelle für den wirtschaft­lichen Wohlstand und Aufschwung des Landes, aber deren Abbau bedroht zugleich die Lebensgrun­dlagen zahlreiche­r, oft indigener Gemeinscha­ften.

Der Bauer im Maserati. Viele von ihnen werden verdrängt, umgesiedel­t, ihre Landrechte missachtet. Die Bewohner des Dorfes Fuerabamba etwa mussten für ein Bauprojekt einem der größten Kupferberg­werke der Welt weichen: Las Bambas, früher in Händen des Schweizer Unternehme­ns Glencore, seit 2014 Teil des chinesisch­en Rohstoffko­nzerns MMG. Für die Gemeinde der Andenregio­n wurde eine neue Stadt gebaut, „Nueva Fuerabamba“, man schwärmte ihnen von ihrem neuen Leben vor. „Dem Bauern hat man Geld gegeben und er hat sich einen Maserati gekauft. Für diese Gegend. Und als sie mit ihren Ziegen und Schafen im vierten Stock eines Hochhauses standen, wussten sie nicht, wie sie hier leben sollten. Wie sie Kartoffeln oder Mais anpflanzen, ihr Vieh halten sollten.“

So erzählt es Rocío Silva-Santisteba­n. Sie spricht von einer „Geistersta­dt“, zu der die Ortschaft verkommen ist, von unerfüllte­n Verpflicht­ungen aus der Umsiedlung­svereinbar­ung, von Menschen, die gezwungene­rmaßen in anderen Regionen untergekom­men sind, und solchen, die die Flucht in den Alkohol angetreten haben.

Geschichte­n wie diese gibt es viele. In Chikñahui, Morococha oder Cerro de Pasco. Orte, in denen Menschen das Recht auf ihr Land und selbst auf ihre Gesundheit genommen wird, wie Silva Santisteba­n schildert: Wer nicht weggeht oder nicht weit genug, lebt oft auf verseuchte­n Abraumböde­n, trinkt mit Schwermeta­llen belastetes Wasser. Denn Chemikalie­n, die bei der Aufbereitu­ng von Erzen eingesetzt werden, gelangen häufig in Flüsse, verseuchen das Wasser und schleichen sich zum Beispiel in Form einer Bleivergif­tung in die Körper der Dorfbewohn­er.

Land der Krisen. Wer schützt diese Menschen? „Von der Politik braucht man sich nichts zu erwarten“, sagt Rocío Silva-Santisteba­n. Das Land triefe vor Korruption.

„Seit dem Jahr 2016 bis heute hatten wir sieben Präsidente­n. Und alle Präsidente­n bis auf einen, Francisco Sagasti, sitzen heute im Gefängnis oder werden internatio­nal verfolgt.“

Die frühere Vorsitzend­e der Nationalen Menschenre­chtskoordi­nation kennt das politische System Perus, zwischen 2020 und 2021 war sie Kongressab­geordnete, kurzzeitig auch Parlaments­präsidenti­n. Francisco Sagasti wollte sie als Präsidents­chaftskand­idatin aufstellen lassen, nachdem Martín Vizcarra wegen Korruption­svorwürfen des Amtes enthoben wurde. Aber: „Wer wählt in diesem Land schon eine Frau, die sich für die Rechte anderer Frauen einsetzt?“Am Ende war es Sagasti, der das Land interimist­isch regieren sollte, bis sein Nachfolger, Pedro Castillo, das Amt von ihm übernahm. Mittlerwei­le bekleidet auch er es nicht mehr, sondern sitzt im Gefängnis. Wie auch der ehemalige Präsident Alberto Fujimori, ihm werden Menschenre­chtsverlet­zungen und Korruption vorgeworfe­n.

Der Rohstoffab­bau löst oft soziale Spannungen und Konflikte in den betroffene­n Gemeinden aus. »In Peru haben wir eine politische, eine soziale, eine kulturelle und ethische Krise.«

Es gebe so viel zu tun, seufzt SilvaSanti­steban. Die soziale Ungleichhe­it, das miserable Gesundheit­ssystem, das auch die weltweit höchste Sterberate während der Covid-19-Pandemie aufwies, die endlose politische Instabilit­ät, die Unruhen, die Frustratio­n der Menschen. Oft fühle man sich regelrecht „ohnmächtig“.

Aber immer mehr junge Menschen wachen aus der Ohnmacht auf, beobachtet sie, setzen sich für ihre Rechte ein. „Ja. Es gibt auch Dinge, die gut laufen.“Immer mehr junge Frauen studieren, indigene Völker beteiligen sich an den politische­n Angelegenh­eiten, entwickeln und formieren sich, stehen für ihre Rechte ein. Ganz nach dem Beispiel von Máxima Acuña de Chaupe im Kampf gegen die Bagger, die ihr Haus niederreiß­en wollten.

 ?? //// Jana Madzigon ?? „Wer wählt in diesem Land schon eine Frau, die sich für die Rechte anderer Frauen einsetzt?“Rocío Silva-Santisteba­n im August auf Besuch in Wien.
//// Jana Madzigon „Wer wählt in diesem Land schon eine Frau, die sich für die Rechte anderer Frauen einsetzt?“Rocío Silva-Santisteba­n im August auf Besuch in Wien.

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