Ein Film, den viele tatsächlich… lieben
Vor 20 Jahren erschien »Tatsächlich… Liebe«. Der Weihnachtsklassiker ist so umstritten, wie er kultisch verehrt wird. Warum nur? Die Geschichte eines Phänomens, das viele so gern schmachten und schimpfen lässt.
Zugegeben: „Die Presse“-Redaktion hätte damals wohl nicht gedacht, dass über diesen Film dereinst noch so viel geschrieben werden würde. In nur zwei kurzen Spalten widmete sich das Feuilleton im November 2003 „Tatsächlich… Liebe“. Von „viel Weihnachtsflitter“war in der Kritik zu lesen, von einem peinlichen Hugh Grant als tanzendem Premierminister und von einem Feel-Good-Film nach bewährtem Hollywood-Schema: „Zum Glück ist das Tempo so rasant und das Ensemble so erlesen – bis in die Nebenrollen (Rowan Atkinson) –, dass der Zuseher nicht allzu sehr leidet und gelegentlich auch herzlich lacht.“
Die internationale Kritik war ähnlich durchwachsen. Im Kino legte Richard Curtis’ Ensemble-Romanze, in der es vor britischer Prominenz nur so wimmelt (eine unvollständige Aufzählung: Emma Thompson, Liam Neeson, Colin Firth, Keira Knightley, Alan Rickman), dennoch einen Achtungserfolg hin (und das, während sie mit Kassenschlagern wie „Findet Nemo“, dem zweiten „Matrix“-Teil und dem dritten von „Herr der Ringe“konkurrierte).
20 Jahre später ist „Love Actually“ein Dauerbrenner, aus dem Feiertagsprogramm im TV ebenso wenig wegzudenken wie aus vielen DVD-Regalen (streamen kann man ihn auch, wenn auch nur in deutscher Übersetzung, im Amazon-Abo). Anlässlich des Jubiläums läuft er, restauriert in 4K-Auflösung, gerade wieder im Kino. Als wäre er da wirklich weg gewesen: In Adventvorstellungen sprachen Fans auch in den letzten Jahren regelmäßig jede Zeile mit. Für so manche Familie gehören die miteinander verwobenen Geschichten über Menschen, die sich in den Wochen vor Weihnachten in London verund entlieben, zur Festtagstradition wie das „Stille Nacht“zum Heiligabend.
So manche Szene wurde popkulturell aufgegriffen, am häufigsten wohl jene, in der Mark (Andrew Lincoln) der Frau seines besten Freundes (Keira Knightley) eine stumme Liebeserklärung an ihrer Haustür macht: Auf einen Stapel Schilder hat er Dinge wie „To me, you are perfect“geschrieben. Was die Komiker der US-Show „SNL“etwa dazu inspirierte, Hillary Clinton (gespielt von
Kate McKinnon) in einem Sketch mit solchen Schildern auf Wahlwerbetour zu schicken. Die Szene ist zugleich eine der umstritteneren des Films, der auch wegen fragwürdiger Geschlechterrollen, mangelnder Diversität und der auffälligen Häufigkeit, in der darin Körper und deren Gewicht kommentiert werden, gerügt wird (siehe nebenstehenden Artikel). So mischte sich in den letzten Jahren zunehmend Kritik in die Diskussionen um den Film, dem sonst so viel nostalgische Verehrung dargebracht wird. Durchaus auch von jenen, die ihn ebenso gern verreißen, wie sie ihn jedes Jahr aufs Neue anschauen und ihm dabei Trost, süße Tränen und Lacher abgewinnen. Bei kaum einem Film ist diese Ambivalenz offenkundiger. So fragte der britische „Independent“im Vorjahr: „Warum liebt es jeder, ,Love Actually’ zu hassen?“
Vielleicht, weil der Film eine Zäsur markierte – und die lange Tradition der Weihnachtsfamilienklassiker gewissermaßen beendete. (Wobei, apropos Familie: In den USA hat der Film ein „R-Rating“, ist also nicht für Jugendliche ohne Begleitung freigegeben, wegen Nacktszenen und ordinärer Sprache. Hierzulande ist er ab sechs.) Was in den 1940ern mit Filmen wie „Ist das Leben nicht schön?“begonnen hatte, gipfelte in einem
Der letzte Festtagsklassiker.
Boom, der einige beständige Adventlieblinge bescherte, von „Kevin allein zu Haus“(1990) bis „Single Bells“(1997). Zeitgleich mit „Love Actually“kam 2003 „Buddy, der Weihnachtself“heraus. Den Status des Festtagsklassikers erreichte danach kaum ein Film. Zwar gibt es nun eine alljährliche Flut an Neuproduktionen mit Lamettadekor, die allerdings vor allem auf Streamingdiensten erscheinen (und damit nur schwer zum kollektiv erlebten und erinnerten Filmereignis werden). Und die weitgehend so austauschbar und unoriginell sind, dass sie schon im nächsten Jahr wieder großteils vergessen sind. Es wäre verwunderlich, sollte es den Filmen von 2023 anders ergehen: „Candy Cane Lane“mit Eddie Murphy (Amazon), „Viel Wirbel um Weihnachten“mit Ludacris (Disney+), „Best. Christmas. Ever!“(Netflix).
Vielleicht braucht es die auch alle nicht mehr. „Tatsächlich… Liebe“feiert die große romantische
Adventfilme kamen viele, doch den Klassikerstatus erreichte nach »Love Actually« kaum ein Film.
Geste in so vielen und so dicht aneinander gereihten Varianten, dass sich damit ein ganzer Adventkalender füllen ließe: vom Schriftsteller, der für seine neue Flamme Portugiesisch lernt, über den Prime Minister, der auf der Suche nach der Seinigen allerlei Haustüren im „zwielichtigen“Eck von Wandsworth abklappert, bis zum Buben, der für das Mädchen seiner Träume einen Sprint durch die Flughafensicherheitszone hinlegt. Ab der ersten Minute ausdrücklich als optimistischer Beitrag für die Welt nach 9/11 ausgewiesen, liefert der Film Sentimentalität nebst britischem Charisma und denkwürdiger Pointen. Was Richard Curtis als Drehbuchautor in seinen früheren Filmen „Notting Hill“und „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“schon erprobt hatte. Mit „Love Actually“gab er sein Regiedebüt.
Beziehungsminiaturen. 14 Handlungsstränge hatte er dafür geschrieben, vier davon fielen raus. Was blieb, sind keine komplexen Charakterstudien, sondern symbolhafte Beziehungsminiaturen. Manche geraten tiefgründiger (etwa jene mit Emma Thompson), die meisten bleiben oberflächlich. Sie erzählen von Fantasien, Sehnsüchten, Familie, Enttäuschungen, Begehren und mehr oder weniger zarten Annäherungen. Soll man dazu Liebe sagen?
Curtis zeigte sich in den letzten Jahren als reflektierter, Kritik zulassender Regisseur. Auf Anmerkungen, wonach einiges in seinem Film schlecht gealtert sei, reagierte er immer wieder. Er wünschte, er wäre seiner Zeit voraus gewesen, sagte er unlängst bei einem britischen Literaturfestival, als seine Tochter Scarlett Curtis ihn auf Bodyshaming und sexistische Witze ansprach. Er weiß wohl auch, dass sein Film nicht zufällig so sehr auf den Prüfstand gestellt wird. Liebe kann kompliziert sein.