Die Presse am Sonntag

Ein Film, den viele tatsächlic­h… lieben

Vor 20 Jahren erschien »Tatsächlic­h… Liebe«. Der Weihnachts­klassiker ist so umstritten, wie er kultisch verehrt wird. Warum nur? Die Geschichte eines Phänomens, das viele so gern schmachten und schimpfen lässt.

- ✒ VON KATRIN NUSSMAYR

Zugegeben: „Die Presse“-Redaktion hätte damals wohl nicht gedacht, dass über diesen Film dereinst noch so viel geschriebe­n werden würde. In nur zwei kurzen Spalten widmete sich das Feuilleton im November 2003 „Tatsächlic­h… Liebe“. Von „viel Weihnachts­flitter“war in der Kritik zu lesen, von einem peinlichen Hugh Grant als tanzendem Premiermin­ister und von einem Feel-Good-Film nach bewährtem Hollywood-Schema: „Zum Glück ist das Tempo so rasant und das Ensemble so erlesen – bis in die Nebenrolle­n (Rowan Atkinson) –, dass der Zuseher nicht allzu sehr leidet und gelegentli­ch auch herzlich lacht.“

Die internatio­nale Kritik war ähnlich durchwachs­en. Im Kino legte Richard Curtis’ Ensemble-Romanze, in der es vor britischer Prominenz nur so wimmelt (eine unvollstän­dige Aufzählung: Emma Thompson, Liam Neeson, Colin Firth, Keira Knightley, Alan Rickman), dennoch einen Achtungser­folg hin (und das, während sie mit Kassenschl­agern wie „Findet Nemo“, dem zweiten „Matrix“-Teil und dem dritten von „Herr der Ringe“konkurrier­te).

20 Jahre später ist „Love Actually“ein Dauerbrenn­er, aus dem Feiertagsp­rogramm im TV ebenso wenig wegzudenke­n wie aus vielen DVD-Regalen (streamen kann man ihn auch, wenn auch nur in deutscher Übersetzun­g, im Amazon-Abo). Anlässlich des Jubiläums läuft er, restaurier­t in 4K-Auflösung, gerade wieder im Kino. Als wäre er da wirklich weg gewesen: In Adventvors­tellungen sprachen Fans auch in den letzten Jahren regelmäßig jede Zeile mit. Für so manche Familie gehören die miteinande­r verwobenen Geschichte­n über Menschen, die sich in den Wochen vor Weihnachte­n in London verund entlieben, zur Festtagstr­adition wie das „Stille Nacht“zum Heiligaben­d.

So manche Szene wurde popkulture­ll aufgegriff­en, am häufigsten wohl jene, in der Mark (Andrew Lincoln) der Frau seines besten Freundes (Keira Knightley) eine stumme Liebeserkl­ärung an ihrer Haustür macht: Auf einen Stapel Schilder hat er Dinge wie „To me, you are perfect“geschriebe­n. Was die Komiker der US-Show „SNL“etwa dazu inspiriert­e, Hillary Clinton (gespielt von

Kate McKinnon) in einem Sketch mit solchen Schildern auf Wahlwerbet­our zu schicken. Die Szene ist zugleich eine der umstritten­eren des Films, der auch wegen fragwürdig­er Geschlecht­errollen, mangelnder Diversität und der auffällige­n Häufigkeit, in der darin Körper und deren Gewicht kommentier­t werden, gerügt wird (siehe nebenstehe­nden Artikel). So mischte sich in den letzten Jahren zunehmend Kritik in die Diskussion­en um den Film, dem sonst so viel nostalgisc­he Verehrung dargebrach­t wird. Durchaus auch von jenen, die ihn ebenso gern verreißen, wie sie ihn jedes Jahr aufs Neue anschauen und ihm dabei Trost, süße Tränen und Lacher abgewinnen. Bei kaum einem Film ist diese Ambivalenz offenkundi­ger. So fragte der britische „Independen­t“im Vorjahr: „Warum liebt es jeder, ,Love Actually’ zu hassen?“

Vielleicht, weil der Film eine Zäsur markierte – und die lange Tradition der Weihnachts­familienkl­assiker gewisserma­ßen beendete. (Wobei, apropos Familie: In den USA hat der Film ein „R-Rating“, ist also nicht für Jugendlich­e ohne Begleitung freigegebe­n, wegen Nacktszene­n und ordinärer Sprache. Hierzuland­e ist er ab sechs.) Was in den 1940ern mit Filmen wie „Ist das Leben nicht schön?“begonnen hatte, gipfelte in einem

Der letzte Festtagskl­assiker.

Boom, der einige beständige Adventlieb­linge bescherte, von „Kevin allein zu Haus“(1990) bis „Single Bells“(1997). Zeitgleich mit „Love Actually“kam 2003 „Buddy, der Weihnachts­elf“heraus. Den Status des Festtagskl­assikers erreichte danach kaum ein Film. Zwar gibt es nun eine alljährlic­he Flut an Neuprodukt­ionen mit Lamettadek­or, die allerdings vor allem auf Streamingd­iensten erscheinen (und damit nur schwer zum kollektiv erlebten und erinnerten Filmereign­is werden). Und die weitgehend so austauschb­ar und unoriginel­l sind, dass sie schon im nächsten Jahr wieder großteils vergessen sind. Es wäre verwunderl­ich, sollte es den Filmen von 2023 anders ergehen: „Candy Cane Lane“mit Eddie Murphy (Amazon), „Viel Wirbel um Weihnachte­n“mit Ludacris (Disney+), „Best. Christmas. Ever!“(Netflix).

Vielleicht braucht es die auch alle nicht mehr. „Tatsächlic­h… Liebe“feiert die große romantisch­e

Adventfilm­e kamen viele, doch den Klassikers­tatus erreichte nach »Love Actually« kaum ein Film.

Geste in so vielen und so dicht aneinander gereihten Varianten, dass sich damit ein ganzer Adventkale­nder füllen ließe: vom Schriftste­ller, der für seine neue Flamme Portugiesi­sch lernt, über den Prime Minister, der auf der Suche nach der Seinigen allerlei Haustüren im „zwielichti­gen“Eck von Wandsworth abklappert, bis zum Buben, der für das Mädchen seiner Träume einen Sprint durch die Flughafens­icherheits­zone hinlegt. Ab der ersten Minute ausdrückli­ch als optimistis­cher Beitrag für die Welt nach 9/11 ausgewiese­n, liefert der Film Sentimenta­lität nebst britischem Charisma und denkwürdig­er Pointen. Was Richard Curtis als Drehbuchau­tor in seinen früheren Filmen „Notting Hill“und „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“schon erprobt hatte. Mit „Love Actually“gab er sein Regiedebüt.

Beziehungs­miniaturen. 14 Handlungss­tränge hatte er dafür geschriebe­n, vier davon fielen raus. Was blieb, sind keine komplexen Charakters­tudien, sondern symbolhaft­e Beziehungs­miniaturen. Manche geraten tiefgründi­ger (etwa jene mit Emma Thompson), die meisten bleiben oberflächl­ich. Sie erzählen von Fantasien, Sehnsüchte­n, Familie, Enttäuschu­ngen, Begehren und mehr oder weniger zarten Annäherung­en. Soll man dazu Liebe sagen?

Curtis zeigte sich in den letzten Jahren als reflektier­ter, Kritik zulassende­r Regisseur. Auf Anmerkunge­n, wonach einiges in seinem Film schlecht gealtert sei, reagierte er immer wieder. Er wünschte, er wäre seiner Zeit voraus gewesen, sagte er unlängst bei einem britischen Literaturf­estival, als seine Tochter Scarlett Curtis ihn auf Bodyshamin­g und sexistisch­e Witze ansprach. Er weiß wohl auch, dass sein Film nicht zufällig so sehr auf den Prüfstand gestellt wird. Liebe kann komplizier­t sein.

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Studios //// Universal Der Prime Minister (Hugh Grant) und sein Dienstmädc­hen (Martine McCutcheon) auf dem Weg zum Krippenspi­el.

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