Restauratorin der Wiener Küch E
Die Köchin und Kochbuchautorin Andrea Karrer wurde von ihrer Mutter und ihrem Vater in die Feinheiten der Wiener Küche eingeführt. Das Kochen war anfangs aber nicht der berufliche Weg, den sie einschlagen wollte.
Ich spreche eigentlich nie Frauen in Fitnesscentern an.“Es begab sich vor etwa eineinhalb Jahrzehnten, dass Andrea Karrer mit diesem Satz eben doch im Fitnesscenter angesprochen wurde. Der das sagte, war Hanno Pöschl, gelernter Zuckerbäcker, Schauspieler und Wirt. Er fuhr fort: „Ich habe gesehen, dass Sie Kochzeitschriften lesen. Ich suche eine Köchin für mein Gasthaus.“Andrea Karrer antwortete mit einem dezidierten Nein.
Aus gastronomischem Umfeld stammend, hatte sie nie vorgehabt, den Beruf der Köchin zu ergreifen. Charmebolzen Pöschl ließ nicht locker. Man traf sich zu Spaziergängen und Gesprächen über Essen und alte österreichische Rezepte. Und einige Zeit später fand sich Andrea Karrer am Herd in der Küche des Immervoll in der Weihburggasse im ersten Wiener Bezirk wieder, das später zu Pöschl umgetauft wurde, und kochte es zum einzigen wirklich guten Wirtshaus in der Innenstadt hoch. Das Wirtshaus gibt es immer noch, allerdings sind Karrer und Pöschl vor ein paar Jahren von Bord gegangen.
Ein Wirtshauskind. Das Talent zum Kochen hat Andrea Karrer von ihrer Mutter, die einst aus dem Burgenland nach Wien gekommen ist, um da ihren Vater kennenzulernen, mit dem sie erfolgreich ein Wirtshaus und später ein Kaffeehaus geführt hat. „Meine Mama hatte davor bei den Esterhazys gearbeitet, sie hatte hohe Ansprüche ans Kochen und ans Ambiente, und als sie – im Alter von neunzehn – im Wirtshaus meines Vaters auftauchte, vermittelt von einer Tante, die im Astoria die Patisserie machte, sagte sie nach einer Woche, das entspräche nicht ihren Vorstellungen. Mein Vater musste alle Mühe aufwenden, sie zum Bleiben zu überreden.“
Andrea Karrer ist ein Wirtshauskind. Der Vater war selbst ein begnadeter Esser, mit einer Vorliebe etwa für Zwetschkenknödel. „Weil die Mutter ihm – seiner Gesundheit willen – die Knödel verweigerte, ließ er die Knödelbestellungen bonieren, als würden die Bestellungen von anderen Gästen kommen“, erzählt sie heute. „Er aß sie in der Ecke und aufgeflogen ist er, weil er vor allem den Knödelteig aß und die Zwetschken zurückschickte.“
Die beste Eierspeis der Stadt. Die vermutlich beste Eierspeis Wiens gibt es im Kleinen Café am Franziskanerplatz, dessen Angebot von Andrea Karrer kuratiert wird. Karrers Coaching der kleinen Mannschaft ist streng und fokussiert wie die kleine Karte, in der das Frühstück eine dominante Rolle einnimmt: „Ein Kaffee, dazu gehört das Wiener Gebäck, die Marmelade, das Schinkenbrot, die Eierspeise.“Letztere ist eine Perfektion in Dottergelb, alles in Butter, mit dem Gespür für das optimale Timing gebraten, mit einer perfekten Kruste unten und wolkig-kompakter Oberfläche. Viel braucht es nicht zu dieser Delikatesse, die alle InnenstadtFrühstücke in den Schatten stellt, als ein Butterbrot. So geschmiert, dass man die Oberfläche des Brots nicht sieht, in Streifen geschnitten als würde jemand eine architektonische Skizze anfertigen.
Perfektion bis ins Detail, das hat die Köchin und Kochbuchautorin Andrea Karrer immer schon angetrieben. „Die Eier müssen bio sein, mindestens, man schmeckt sofort, ob die Eier aus einer guten Haltung kommen. Die Butter muss ebenso gut sein, und sie darf nicht zu heiß sein, aber muss kurz schäumen. Ich quirle die Eier, dann gebe ich sie zur heißen, schäumenden Butter in die Pfanne und warte.“Und wenn die Eier langsam fest werden, wird mit einer Gabel von der Außenseite der Pfanne zur Mitte wie beim Falten einer Rose gearbeitet.
Lehre mit vierzig. „Zuerst überprüfte ich die Lieferanten, vom Brotbäcker bis zum Gemüsegärtner“, sagt Karrer über die Anfänge als Köchin. Evi Bach, die sonst nur die Wiener Oberliga wie das
Steirereck im Stadtpark beliefert, reihte sich zu den Partnern des Gasthauses Pöschl ein. Dann implementierte sie ihr Wissen, das sie sich als Autorin und Radiojournalistin über das Essen angeeignet hatte, peu à peu in der Küche. Die Lehre hatte sie erst mit vierzig gemacht. Mayonnaise-Ei, Reisfleisch, ein einfaches Kalbsnaturschnitzel, sonntags unter der Haut gefülltes Brathendl, Mohr im Hemd und gebackene Mäuse konnte man ums Eck vom wunderschönen Franziskanerplatz bekommen.
Das Pöschl gehört auch heute noch zu den schönsten Lokalen der Stadt, einst vom Architekten Hermann Czech mit dem Charakter der Zeitlosigkeit ausgestattet, der mit funktionaler Eleganz deutlich früher dran war als die Geistesverwandten in Skandinavien.
„Mein großes Vorbild beim Eierspeismachen war Reinhard Gerer. Er hat seine Eierspeis lang geübt und perfektioniert“, so Karrer und sie fügt hinzu: „Eierspeis ist Wiener Kulturgut, wer sagt, er könne keine Eierspeis, macht sich verdächtig.“Schon vor mehr als hundert Jahren, als in den Kaffeehäusern Wiens noch kein Betrieb herrschte wie in Restaurants, wie es heute der Fall ist und was dem Bedürfnis nach Umsatz geschuldet ist, gab es vornehmlich Eierspeisen und belegte Brote für die Gäste, die eigentlich nicht wegen des Essens gekommen waren, sondern wegen des Betretens einer Kapsel, in der man sich vom Alltag absentieren und den Schmäh und die eigene Wichtigkeit zelebrieren konnte.
Weder das Essen noch der mittelmäßig zubereitete Kaffee waren in den Kaffeehäusern Wiens, die sich so hartnäckig gehalten haben wie das Gerücht ihres Verschwindens, jemals das vordringliche Geschäftsmodell. Im Kleinen Café aber haust der Spirit des Anspruchs. „Brotmaschine haben wir keine, die Mitarbeiter lasse ich das Brotschneiden so lang üben, bis sie es können. Idealerweise bleibt die Brotscheibe nach dem Schneiden aufrecht stehen. Die Butter muss so gestrichen werden, dass sie jede einzelne Pore des Brots mit einem dünnen Butterfilm bedeckt. Auch beim Liptauerbrot gibt es eine Grundschicht Butter.“
IKONEN DER ÖSTERREICHISCHEN KÜCHE: »Mein großes Vorbild beim Eierspeis-Machen war Reinhard Gerer, er hat das perfektioniert.«
Royales Brot.
Der Begriff „Restaurant“kommt von Restauration, der Wiederherstellung eines erwünschten Zustands. „Davon leitet sich auch das Restaurati
onsbrot ab, ein belegtes Brot, das dem Gast zur Stärkung dient.“Die nachfolgende Restauration ist dem Gast vor allem in den Zeiten der Weihnachtszusammenkünfte und Faschingspartys ein lebensrettendes Anliegen. Im Kleinen Café sagt man dann aber nicht Restaurationsbrot und auch nicht spießig Appetitbrot, es heißt „Royal Brot“. Innerstädtisches Selbstbewusstsein. Auf der mit dem Vermessungsgerät eines Ingenieurs akkurat geschnittenen und mit Butter bestrichenen Brotscheibe finden sich ungereifter Camembert (passt hervorragend), Schinken, Tomaten
(im Sommer von der Gärtnerin Evi Bach), Salatgurken, Schnittlauch, aber kein Ei.
Mayonnaise-Ei oder Bruckfleisch, das gebe es kaum noch. Die Wiener Küche, immerhin die einzige Küche, die nach einer Stadt bekannt ist, sei dem Zeitgeist entgegengesetzt, so Karrer. „Es ist eine Küche mit Mehl, Fett, Milch und Fleisch“, sagt sie. Alles das hat heute ein Rechtfertigungsproblem. Wiener Gemüseküche? „Eh auch.“Da fallen ihr spontan Einbrennte Hund ein, am besten mit einem Erdäpfelsalat vom Vortag. Die Erdäpfel werden mit Wasser gewaschen (die Essigsäure in den Erdäpfeln bleibt erhalten), dann wird eine Einbrenn zubereitet – das Um und Auf der Wiener Küche –, mit Rindsuppe aufgegossen, schließlich kommen die Erdäpfel dazu, Essiggurkerln und nochmal Essig, der von den Essiggurkerln. „Meine Mama aß das ohne Beilagen.“Zu den Einbrennten Hund passen gekochtes Rindfleisch, gebratene Augsburger oder gebratener Zander, so hat es Reinhard Gerer serviert, den die Köchin und Feinschmeckerin Karrer als den wichtigsten Koch der Wiener Küche einstuft. Gerer war gern Gast bei Pöschl.
»Die Innenstadtgastronomie wird immer weniger und immer eintöniger. Wie soll das gehen?«
Wenig optimistisch. „Es wird immer weniger und immer eintöniger.“Die Zukunft der Innenstadtgastronomie beurteilt Karrer wenig optimistisch. „Wie soll das gehen? Hohe Mieten, schwierige Behördengänge, hohe Auflagen, dazu kommen – einmal abgesehen von der Lage – die Personalkosten. Ich verstehe nicht, warum man fürs 13. und 14. Gehalt Krankenversicherung bezahlen muss.“Vielleicht hat sie auch, um der Erinnerung um Esskultur und der Freude daran, dieses Buch geschrieben: „Karrers köstliche Küche“(erschienen im Oktober im Trauner Verlag). Allein der Zubereitung von Mayonnaisen und damit verbundenen Saucen sind in ihrem Buch ein Dutzend Seiten gewidmet. Und natürlich dem Thema Suppe und Suppeneinlage oder den Sommerspaghetti, die man gut vorbereiten kann, um danach den Tag im Schwimmbad statt in der Küche zu verbringen.
„Essen ist nicht nur Genuss, ohne den das Leben nicht lebenswert wäre“, sagt Andrea Karrer. „Essen ist auch Teil der Identität, eine Gesellschaft bleibt am Leben, solang sie zubereitet und isst, was immer schon zu ihrer Kultur gehört hat.“Die Wiener Küche ist ein Sammelsurium aus Jahrhunderten wechselnder Herrschaften, Armut und Wohlstand, Zuwanderung und Wechselspiel, als essbare Menschheitsgeschichte. Es beginnt mit einer Eierspeis und einem belegten Brot.