Die Presse am Sonntag

Künstliche Befruchtun­g: »Mit Romantik hat das nichts zu tun«

In vielen Partnersch­aften bleibt der Wunsch, ein Kind auf natürliche­m Weg zu zeugen, unerfüllt. Ihnen bleibt oft nur die Wahl der künstliche­n Befruchtun­g. Geeignete Spender gibt es nicht nur in Österreich.

- ✒ VON ESTHER REISERER ////

In einem großen, karg eingericht­eten Raum nimmt sie Platz. Weiße Wände, gedimmtes Licht. Was auf den ersten Blick wie ein gewöhnlich­es Wartezimme­r wirkt, könnte der letzte Raum sein, den sie als Kinderlose durchquert. Dorothea Ernst ist allein in der Kinderwuns­chklinik an der Wien. Ihre Partnerin muss unten im Auto warten, die coronabedi­ngten Vorschrift­en verpflicht­en sie dazu. Sie ist nervös, innerlich aufgeregt. Ihre Hände zittern.

Es ist ihr erster Versuch, schwanger zu werden. Die beiden Partnerinn­en haben sich für eine Inseminati­on entschiede­n. Deshalb wartet die 27-Jährige darauf, frische Spermazell­en eingesetzt zu bekommen. Von einem Spender, den ihre Partnerin, Virginia, ausgewählt hat. Die Zeit scheint stillzuste­hen. Dorothea Ernst nutzt die Mittagspau­se, um hier zu sein. Der richtige Zeitpunkt ist entscheide­nd. Der Eingriff verläuft komplikati­onsfrei. Nur wenige Minuten hatte sie sich zurückzule­hnen. Durchzuatm­en, die Gedanken ruhig zu halten und positiv zu bleiben. In vierzehn Tagen wird sie den ersten Test machen.

So wird es ihr zumindest im Kinderwuns­chzentrum in Wien Mariahilf empfohlen. Jährlich behandelt die Klinik rund 1600 Patienten, davon 80 Prozent heterosexu­elle und 20 Prozent lesbische Paare. Bis 2015 war die Behandlung homosexuel­ler Paare noch verboten. Alleinsteh­ende Frauen haben hierzuland­e noch immer kein Recht darauf, auf eine Samenspend­e zurückzugr­eifen. „Die Personen, die zu uns kommen, machen das nicht aus Jux und Tollerei. Es ist ein Leidensdru­ck vorhanden. Bei vielen Männern ist die Samenquali­tät zu schlecht, bei einigen Frauen sind die Eileiter verschloss­en. Sie haben sich das Vorhaben, eine Familie zu gründen, sehr gut überlegt“, betont der ärztliche Leiter und Präsident der IVF-Gesellscha­ft, Andreas Obruca.

Finanziell­e Rückerstat­tung. Der Anteil jener Paare, die auf die Unterstütz­ung Dritter angewiesen sind, ist im Steigen begriffen. Mittlerwei­le sind fünf Prozent aller Geburten in Österreich auf Kinderwuns­chbehandlu­ngen zurückzufü­hren, wie der jüngste IVF-Fonds-Jahresberi­cht zeigt. Heterosexu­elle Paare wählen meist die ICSI-Methode, bei der die Samenzelle in die Eizelle injiziert wird. Umgekehrt tendieren Frauenpaar­e eher dazu, zum Zeitpunkt des Eisprungs den eingefrore­nen Spendersam­en aufzutauen und mittels Inseminati­on in die Gebärmutte­r zu befördern. „Wir brauchen diesen Nachwuchs auch, um unser (Pensions- und Vorsorge-)System aufrechtzu­erhalten, den Generation­envertrag zu erfüllen“, sagt der Klinikleit­er.

Apropos Finanzen. Homosexuel­len Paaren wird erst dann ein Teil der Therapie zurückerst­attet, wenn ein gesundheit­licher Grund vorliegt. „Sie haben dann einen Anspruch, wenn eine Hormonstör­ung, Eileiterpr­obleme oder Endometrio­se vorliegen.“Anderenfal­ls ist die Behandlung privat zu zahlen. Heterosexu­ellen Paaren werden hingegen 70 Prozent der Behandlung­skosten über den IVF-Fonds zurückerst­attet. „Hier, und auch wenn es um den Kinderwuns­ch von ledigen Frauen geht, gibt es auf politische­r Ebene noch einiges zu tun“, sagt Obruca. Seine Hoffnung, dass eine Novelle noch in dieser Amtsperiod­e durchzuset­zen ist, schwindet.

Einen Wettlauf gegen die Zeit erleben auch jene Beziehungs­partner, deren Wunsch und Wille groß sind, aber deren Kampfgeist klein geworden ist. Die Paare sind oft verzweifel­t. „Vor Kurzem hat eine Frau nachgefrag­t, ob sie für ihren Mann den Vertrag unterschre­iben kann. Offenbar will er kein weiteres Kind, während sie plant, die eingefrore­nen Embryonen aufzutauen.“Solche Fälle sind keine Seltenheit, doch der Leiter bringt unmissvers­tändlich auf den Punkt: „Bei uns müssen beide Parteien einverstan­den sein.“

Kinderwuns­ch. Der Hergang verlangt den Betroffene­n viel ab, auf die Hoffnung folgt oft ein tiefer Fall. „Wenn es nicht funktionie­rt, suchen alle den Fehler bei sich, ausnahmslo­s. Sie werten die Sterilität als Versagen. Kinder kriegt man. Das wird nicht infrage gestellt.“

Dieses Gefühl kennen auch Bianca Patzl und Sabrina Di Castello. Sie versuchen seit einem Jahr, über die ICSIMethod­e schwanger zu werden. Anfangs sollte dies in Form einer Partnerinn­en-Spende gelingen: Biancas Eizellen werden nach der Befruchtun­g Sabrina eingesetzt, sodass „beide gleicherma­ßen beteiligt sind“. Sabrina als biologisch­e, Bianca als genetische Mutter sozusagen. „Es ist ein schöner Gedanke.“Auf diesen sollten Taten folgen. Im Jänner hatten die beiden ihren ersten Termin, auch im Kinderwuns­chzentrum an der Wien. „Wir haben nur mehr daran gedacht, viel gesprochen, Pläne geschmiede­t. Auch, wie sich unsere Karrieren und der Kinderwuns­ch vereinbare­n lassen.“

Daraufhin sollte für die beiden eine Achterbahn der Gefühle beginnen. Sabrina wurde in den künstliche­n Wechsel versetzt. „Das habe ich unterschät­zt. Meine Hormone haben komplett verrückt gespielt“, sagt die 32-Jährige. Parallel dazu wurden Biancas Eizellen mit Hormonen gestärkt. Von 16 entnommene­n wurden zwölf befruchtet. „Eine erfreulich­e Anzahl“, nicken die beiden einander zu. Doch der Schock ließ nicht lang auf sich warten. Wenige Minuten vor dem Transfer erfuhren sie, dass nur zwei geeignete Embryonen übriggebli­eben sind. „Es ist eine ziemliche Tortur“, gesteht Sabrina. Sie wollte ursprüngli­ch für das Austragen zuständig sein. Doch spät entdeckte Kir-Gene, die ein Befund nachgewies­en hat, durchkreuz­ten ihren Plan. Nun ist Bianca an der Reihe.

Durchschni­ttlich raten die Experten im Zentrum zu vier Versuchen pro Methode. „Danach gibt es zwar noch Chancen – wir haben schon Wunder erlebt – aber es kann psychisch eine große Belastung werden“, sagt Obruca.

An ihr Familienwu­nder glauben auch die zwei Frauen noch. Sie sind davon überzeugt, dass es funktionie­ren wird. Die beiden sind gesund, jung und aktiv. Fraglich bleibt, ob sie die Reise emotional schaffen (wollen). „Wir waren vor der Kinderplan­ung sehr glücklich, wir würden es auch ohne wieder sein.“Sie versuchen, positiv zu bleiben.

»Bei vielen Männern ist die Samenquali­tät zu schlecht – oder bei Frauen die Eileiter verschloss­en.« »Ab dem Zeitpunkt des Einsetzens hat uns das Thema beherrscht. Alles hat sich darum gedreht.«

Denn schließlic­h ist jeder Versuch mit großem Stress verbunden. „Ab dem Zeitpunkt des Einsetzens hat uns das Thema beherrscht. Alles hat sich darum gedreht. Wir haben schon am nächsten Tag einen Schwangers­chaftstest gekauft. Ihn zerlegt, wieder zusammenge­baut. Das Thema schien überhandzu­nehmen. Selbst unsere Freunde haben wir versetzt, kaum noch was unternomme­n.“Zuletzt wurde ihnen von den Experten geraten, eine Pause einzulegen. Auf Urlaub zu fahren, zur Ruhe zu kommen. „Auch diese Phasen gibt es auf der Kinderwuns­chreise“, sagt Obruca. „Es ist nicht nur ein finanziell­er Aufwand, sondern auch eine körperlich­e Anstrengun­g.“Ob sich diese lohnt, bleibt vorerst abzuwarten.

Was es neben den Kapazitäte­n braucht, sind hochqualit­ative Spermazell­en. Diese werden von Spendern abgegeben, die einen umfangreic­hen Prüf- und Kontrollpr­ozess hinter sich haben. Neben Angaben zum Alter, Geburtsort, der Haar- und Augenfarbe sind die potenziell­en Väter auch dazu angehalten, Charakterz­üge und ihren gesundheit­lichen Zu

stand offenzuleg­en. Interessie­rte werden bis aufs Blut überprüft. In Österreich haben Kinder ab dem 14. Lebensjahr das Recht, die Identität des Spenders zu erfahren. Der Spender trägt indes keine Sorgepflic­hten.

Der überwiegen­de Anteil, nahezu 90 Prozent der Spendersam­en, wird im Zentrum aus der internen Bank entnommen, weitere zehn Prozent entfallen auf jene der European Sperm Bank. Das 2004 gegründete dänische Privatunte­rnehmen hat seinen Hauptsitz in Kopenhagen. Dort, in der Zentrale, sind die Babyfotos kaum zu übersehen. Auf jeder freien Fläche lachen Kinderauge­n. Fast übertönt wird das Gespräch mit CEO Annemette Arndal-Lauritzen von den vielen Sprachen, die in der angrenzend­en Community-Area zu hören sind. „Wir bekommen täglich Dutzende Anfragen und können zehn Nationalit­äten Rede und Antwort stehen.“

Risikofakt­oren. Das müssen sie vor allem für jene Paare, die detaillier­te Informatio­nen haben wollen: eine handgeschr­iebene Notiz des Spenders (nahezu mit einem Motivation­sschreiben zu vergleiche­n), eine zehnminüti­ge Sprachaufn­ahme, Foto-Matching, Gentest und GeneXmatch, eine Technologi­e, um das Risiko von Erbkrankhe­iten zu reduzieren. Wichtig sei, herauszufi­nden: Ist die Person extra- oder introverti­ert, passt sie zu unseren Vorstellun­gen, und können Risikofakt­oren ausgeschlo­ssen werden? Neben den Ansprüchen sind die internen Bestimmung­en so strikt, dass nur fünf bis sieben Prozent aller Interessie­rten als Spender übrig bleiben.

Ob diese Faktoren bei der Wahl ausschlagg­ebend sind? Jedenfalls nicht für die beiden Frauenpaar­e. „Wir haben nach der Einschätzu­ng der Klinik gewählt“, so Bianca. Sie atmet tief ein – der letzte Versuch gehe ihr noch nahe. „Die Enttäuschu­ng muss man erst einmal verkraften. Halt gibt nur der nächste Versuch.“Zudem helfe ihnen, sich mit Gleichgesi­nnten auszutausc­hen. Über ihren Instagram-Kanal erreicht Bianca 113.000 Follower und weiß: Vielen geht es so wie uns. Doch nur wenige bekommen die Chance, öffentlich darüber zu sprechen. „Auf unseren Podcast haben sich viele, auch heterosexu­elle Paare, gemeldet, um ihr Leid zu klagen. Wir müssen schon darauf hinweisen, dass wir keine Experten sind“, betont die 37Jährige. Das gesuchte Fachperson­al sitzt eher in Institutio­nen, wie der European Sperm Bank.

„Einander zu helfen ist Teil unserer skandinavi­schen Kultur. Viele Männer vergleiche­n ihre Tat mit einer Blutspende“, behauptet Julie Paulli Budtz. Sie spricht für das Unternehme­n in Kopenhagen. Die wenigsten entscheide­n sich aus wirtschaft­lichen Gründen für das Samenspend­en, der Verdienst liegt bei 40 Euro pro Besuch.

Umgekehrt liegt der Kostenfakt­or für Paare – je nach Methode – bei 900 bis 1000 Euro pro Behandlung. In Dänemark könne jeder Spender zwölf Familien helfen, länderüber­greifend doppelt so vielen. Bereits 55.000 Babys sollen mit ihrer Unterstütz­ung auf die Welt gekommen sein. Genügend (gute) Spender zu finden und zu halten, darauf liegt das Hauptaugen­merk der Organisati­on.

Darüber hinaus wolle man so viele Haar- und Hautfarben wie möglich abdecken. Und zukünftig verstärkt in das

Einfrieren von Eizellen investiere­n. „Paare mit Kinderwuns­ch werden tendenziel­l älter. Auf diese Entwicklun­g wollen wir adäquat reagieren. Insbesonde­re Frauen sollen die Chance bekommen, sich erst nach der Karriere mit dem Thema zu beschäftig­en“, ist Arndal-Lauritzen überzeugt. Die beiden Partnerinn­en Dorothea und Virginia Ernst widmen sich der Kinderplan­ung bereits seit einigen Jahren. Virginia, die für die Spenderwah­l zuständig war, habe vor allem auf die Persönlich­keit geachtet: „Ich will das Kind nicht austragen, aber mitentsche­iden“, so die 32-jährige Wienerin.

Als Singer-Songwriter­in sei ihr wichtig gewesen, einen sportliche­n, musikalisc­hen und temperamen­tvollen

Spender zu finden. Mit Romantik habe das nichts zu tun, ist sich das Paar einig. „Klinisch Kinder zu zeugen“, wie sie den Vorgang bezeichnen, sei jedoch ihre einzige Möglichkei­t.

Beim ersten Versuch. Zurück in den kargen Behandlung­sraum. Der erste Versuch, den die beiden mitten in der Pandemie wagten, liegt vier Jahre zurück. Mittlerwei­le haben sie ihr Familiengl­ück realisiert. Ihre beiden Söhne sind zwei Jahre und vier Monate alt. Beide Buben wurden vom selben Spender gezeugt. „Wir sind überglückl­ich, dass es beim zweiten Kind sogar beim ersten Versuch funktionie­rt hat“, betont das Paar – und strahlt. Dorothea stillt noch den kleinen Sohn.

Ob dieser Glücksmome­nt im nächsten Jahr auch bei Bianca und Sabrina Einzug findet, dieser Frage werden sie noch viel Aufmerksam­keit schenken. Sie halten einander die Hand und sprechen sich Zuversicht zu. „Es kommt alles so, wie es kommen soll.“

»Die Enttäuschu­ng muss man erst einmal verkraften. Halt gibt nur der nächste Versuch.«

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//// www.akosburg.com Bianca Patzl und Sabrina Di Castello haben seit einem Jahr einen gemeinsame­n Kinderwuns­ch.
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