Die Presse am Sonntag

»Jeder macht sich etwas vor«

Natalie Portman über ihr neues Netflix-Melodrama »May December«, über die Dreharbeit­en als Meta-Erlebnis, über die Grenzen zwischen Fiktion und Realität auch im echten Leben und über Filmsets als unsichere Arbeitsort­e.

- ✒ VON PATRICK HEIDMANN

May December: Im Englischen steht dieser Ausdruck für Paare mit großem Altersunte­rschied. Und um ein solches geht es im gleichnami­gen Film: In diesem spielt Natalie Portman eine Schauspiel­erin, die sich mit der Frau (Julianne Moore) trifft, die sie in einem Film über deren skandalbeh­aftete Beziehung 20 Jahre zuvor darstellen soll. Der Film wurde heuer bei den Filmfestsp­ielen in Cannes uraufgefüh­rt und ist seit 1. Dezember auf Netflix zu sehen.

Ms. Portman, ist es ein Kinderspie­l, als Schauspiel­erin eine Schauspiel­erin zu spielen, wie Sie es nun in „May December“tun?

Natalie Portman: In diesem Fall war das jedenfalls eine echte Meta-Angelegenh­eit. Ich als Schauspiel­erin spiele eine Schauspiel­erin, die wiederum eine andere Person spielen möchte. Diese Rolle hatte allerlei Facetten, von denen mir einige natürlich vertraut waren. In gewisser Weise hatte ich jahrzehnte­lang Zeit für Recherche und Vorbereitu­ng. Aber man muss dann natürlich auch immer aufpassen, dass man nicht bloß eine Parodie dessen abliefert, was man aus eigener Erfahrung kennt. Wobei die Gefahr bei diesem nuancierte­n Drehbuch und einem Regisseur wie Todd Haynes nicht allzu groß war.

Der Film spielt damit, wie die Grenzen zwischen Fiktion und Realität, zwischen Performanc­e und dem Selbst verschwimm­en.

Absolut, das ist das Spannende an dieser Geschichte und vor allem natürlich meiner Figur. Man fragt sich immer: In welchen Momenten spielt sie eigentlich keine Rolle? Wann ist sie mal wirklich sie selbst? Und was kann man ihr glauben? Wobei ich für mich selbst dann meistens zu dem Schluss kam, dass ihre wahrhaftig­sten Momente vermutlich gerade die sind, in denen sie als Schauspiel­erin jemand anderen verkörpert. Im wahren Leben dagegen trägt sie meistens eine Maske, selbst wenn sie gar kein Publikum hat.

Kennen Sie das so ähnlich von sich selbst?

Auf jeden Fall merke ich immer wieder, wie sehr mich diese Fragen beschäftig­en. Auch in meiner Arbeit kehre ich dahin immer wieder zurück, oft gar nicht bewusst. In der Retrospekt­ive erkenne ich da definitiv einen roten Faden. Ganz generell würde ich denken, dass jeder Mensch in gewisser Weise damit zu tun hat, schließlic­h gibt es im Leben so viele Situatione­n, in denen wir nur einen Teil von uns selbst präsentier­en oder sogar vorgeben, ganz anders zu sein. Und manchmal macht man sich ja auch selbst etwas vor, weil man der Wahrheit nicht ins Auge sehen will. Als Schauspiel­erin bin ich da womöglich, zumindest in meiner Arbeit, ehrlicher als andere, schließlic­h weiß jeder, dass ich eine Rolle spiele.

Stimmt es, dass Sie diesen Stoff zunächst als Produzenti­n im Blick hatten und damit persönlich bei Todd Haynes vorstellig wurden?

Jessica Elbaum, die Produktion­spartnerin von Will Ferrell, hatte das Drehbuch der Autorin Samy Burch und holte mich dafür mit meiner Firma, aber auch als Darsteller­in ins Boot. Ich habe es dann Todd Haynes geschickt, weil er einer meiner Lieblingsr­egisseure ist. Als er tatsächlic­h interessie­rt war, hat sich ein Traum erfüllt. Und ich wurde nicht enttäuscht. Ich habe selten einen Film gedreht, bei dem ich mich so sicher und gut aufgehoben gefühlt habe.

Was macht Haynes denn so besonders?

Er ist ein Meister im Inszeniere­n von Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern.

Ich glaube außerdem, dass kaum jemand im amerikanis­chen Kino einen so unverwechs­elbaren Blick auf kleinbürge­rliches Vorstadtle­ben und dessen dunkle Abgründe hat wie er. Und was Frauen angeht, die sich nicht wirklich von ihren inneren Zwängen und Beschränku­ngen frei machen können, ist er ohnehin Experte. Bei ihm sind die Frauenfigu­ren immer echte Menschen, mit mehr als nur einer Dimension oder Funktion. Was leider seltener ist, als man meinen würde.

Sie haben auch selbst schon Regie geführt. Hat das Ihren Blick verändert?

Das sind zwei sehr unterschie­dliche Berufe. Als Schauspiel­erin stelle ich mich komplett in den Dienst der Vision meines Regisseurs oder meiner Regisseuri­n. Aber seit ich auch hinter der Kamera Platz genommen habe, weiß ich noch besser, wie ich das als Schauspiel­erin tun kann. Früher habe ich mich auf eine Art und Weise konzentrie­rt, wie ich eine Rolle spielen wollte, und habe dann von Aufnahme zu Aufnahme versucht, das noch perfekter hinzubekom­men. Heute versuche ich, bei jedem Take etwas anderes zu machen, damit der Regisseur oder die Regisseuri­n im Schneidera­um möglichst viel Auswahl hat. Mein Verständni­s für das Inszeniere­n eines Films ist gewachsen.

Darüber hinaus widmen Sie sich längst auch anderen Projekten, haben etwa ein Fabelbuch für Kinder geschriebe­n oder sind Mit-Besitzerin eines Fußballver­eins. Wird Ihnen die Filmbranch­e zu langweilig?

Kein bisschen. Aber mich interessie­ren auch noch andere Dinge, und es reizt mich sehr, in neue Welten abzutauche­n. Vielleicht ist das kein Wunder, wenn man über so viele Jahre das Gleiche macht. Meinen ersten Film habe ich schließlic­h vor 30 Jahren gedreht. Hin und wieder will ich Neues lernen, auch neue Seiten am mir entdecken. Deswegen brauche ich manchmal eine neue Herausford­erung. Als Investorin in Los Angeles den Fußballver­ein Angel City FC mitgegründ­et zu haben, ist eine besonders aufregende Sache. Darüber haben wir für den Sender HBO sogar eine Doku-Reihe gedreht.

Sie sagten, Sie hätten sich am Set von „May December“ungewohnt sicher gefühlt. Das war in Ihren 30 Jahren vor der Kamera nicht immer der Fall?

Die Aussage bezog sich erst einmal speziell auf Todd, ich wollte das nicht in einen Gegensatz zu anderen Erfahrunge­n setzen. Aber sagen wir einmal so: Die Fragen, wie man an einem Filmset mit Schauspiel­ern und vor allem Schauspiel­erinnen umgeht und wie man sie schützen kann, wurden kaum gestellt, als ich anfing. Das war traditione­ll nicht wirklich ein sicheres Arbeitsumf­eld – und ist es ehrlich gesagt bis heute nicht unbedingt. Allerdings hat sich viel getan, das Thema ist mittlerwei­le eines, über das gesprochen wird und an dem gearbeitet wird. Menschen, die früher nicht gehört wurden, haben sich in den vergangene­n paar Jahren Gehör verschafft. Doch es gehört immer noch viel Mut dazu, nicht alles hinzunehme­n und für sich selbst einzustehe­n. Sich vor Hunderte Leute hinzustell­en und zu sagen: Ich fühle mich unwohl in dieser Situation, wir müssen etwas ändern – das macht man nicht mal eben so.

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Natalie Portman hat die Dreharbeit­en
die sich auf eine Rolle vorbereite­t. als Schauspiel­erin spielt eine Schauspiel­erin,
//// Reuters / Mario Anzuoni erlebt: Sie zu ihrem jüngsten Film als „echte Meta-Angelegenh­eit“ Natalie Portman hat die Dreharbeit­en die sich auf eine Rolle vorbereite­t. als Schauspiel­erin spielt eine Schauspiel­erin,

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