»Jeder macht sich etwas vor«
Natalie Portman über ihr neues Netflix-Melodrama »May December«, über die Dreharbeiten als Meta-Erlebnis, über die Grenzen zwischen Fiktion und Realität auch im echten Leben und über Filmsets als unsichere Arbeitsorte.
May December: Im Englischen steht dieser Ausdruck für Paare mit großem Altersunterschied. Und um ein solches geht es im gleichnamigen Film: In diesem spielt Natalie Portman eine Schauspielerin, die sich mit der Frau (Julianne Moore) trifft, die sie in einem Film über deren skandalbehaftete Beziehung 20 Jahre zuvor darstellen soll. Der Film wurde heuer bei den Filmfestspielen in Cannes uraufgeführt und ist seit 1. Dezember auf Netflix zu sehen.
Ms. Portman, ist es ein Kinderspiel, als Schauspielerin eine Schauspielerin zu spielen, wie Sie es nun in „May December“tun?
Natalie Portman: In diesem Fall war das jedenfalls eine echte Meta-Angelegenheit. Ich als Schauspielerin spiele eine Schauspielerin, die wiederum eine andere Person spielen möchte. Diese Rolle hatte allerlei Facetten, von denen mir einige natürlich vertraut waren. In gewisser Weise hatte ich jahrzehntelang Zeit für Recherche und Vorbereitung. Aber man muss dann natürlich auch immer aufpassen, dass man nicht bloß eine Parodie dessen abliefert, was man aus eigener Erfahrung kennt. Wobei die Gefahr bei diesem nuancierten Drehbuch und einem Regisseur wie Todd Haynes nicht allzu groß war.
Der Film spielt damit, wie die Grenzen zwischen Fiktion und Realität, zwischen Performance und dem Selbst verschwimmen.
Absolut, das ist das Spannende an dieser Geschichte und vor allem natürlich meiner Figur. Man fragt sich immer: In welchen Momenten spielt sie eigentlich keine Rolle? Wann ist sie mal wirklich sie selbst? Und was kann man ihr glauben? Wobei ich für mich selbst dann meistens zu dem Schluss kam, dass ihre wahrhaftigsten Momente vermutlich gerade die sind, in denen sie als Schauspielerin jemand anderen verkörpert. Im wahren Leben dagegen trägt sie meistens eine Maske, selbst wenn sie gar kein Publikum hat.
Kennen Sie das so ähnlich von sich selbst?
Auf jeden Fall merke ich immer wieder, wie sehr mich diese Fragen beschäftigen. Auch in meiner Arbeit kehre ich dahin immer wieder zurück, oft gar nicht bewusst. In der Retrospektive erkenne ich da definitiv einen roten Faden. Ganz generell würde ich denken, dass jeder Mensch in gewisser Weise damit zu tun hat, schließlich gibt es im Leben so viele Situationen, in denen wir nur einen Teil von uns selbst präsentieren oder sogar vorgeben, ganz anders zu sein. Und manchmal macht man sich ja auch selbst etwas vor, weil man der Wahrheit nicht ins Auge sehen will. Als Schauspielerin bin ich da womöglich, zumindest in meiner Arbeit, ehrlicher als andere, schließlich weiß jeder, dass ich eine Rolle spiele.
Stimmt es, dass Sie diesen Stoff zunächst als Produzentin im Blick hatten und damit persönlich bei Todd Haynes vorstellig wurden?
Jessica Elbaum, die Produktionspartnerin von Will Ferrell, hatte das Drehbuch der Autorin Samy Burch und holte mich dafür mit meiner Firma, aber auch als Darstellerin ins Boot. Ich habe es dann Todd Haynes geschickt, weil er einer meiner Lieblingsregisseure ist. Als er tatsächlich interessiert war, hat sich ein Traum erfüllt. Und ich wurde nicht enttäuscht. Ich habe selten einen Film gedreht, bei dem ich mich so sicher und gut aufgehoben gefühlt habe.
Was macht Haynes denn so besonders?
Er ist ein Meister im Inszenieren von Schauspielerinnen und Schauspielern.
Ich glaube außerdem, dass kaum jemand im amerikanischen Kino einen so unverwechselbaren Blick auf kleinbürgerliches Vorstadtleben und dessen dunkle Abgründe hat wie er. Und was Frauen angeht, die sich nicht wirklich von ihren inneren Zwängen und Beschränkungen frei machen können, ist er ohnehin Experte. Bei ihm sind die Frauenfiguren immer echte Menschen, mit mehr als nur einer Dimension oder Funktion. Was leider seltener ist, als man meinen würde.
Sie haben auch selbst schon Regie geführt. Hat das Ihren Blick verändert?
Das sind zwei sehr unterschiedliche Berufe. Als Schauspielerin stelle ich mich komplett in den Dienst der Vision meines Regisseurs oder meiner Regisseurin. Aber seit ich auch hinter der Kamera Platz genommen habe, weiß ich noch besser, wie ich das als Schauspielerin tun kann. Früher habe ich mich auf eine Art und Weise konzentriert, wie ich eine Rolle spielen wollte, und habe dann von Aufnahme zu Aufnahme versucht, das noch perfekter hinzubekommen. Heute versuche ich, bei jedem Take etwas anderes zu machen, damit der Regisseur oder die Regisseurin im Schneideraum möglichst viel Auswahl hat. Mein Verständnis für das Inszenieren eines Films ist gewachsen.
Darüber hinaus widmen Sie sich längst auch anderen Projekten, haben etwa ein Fabelbuch für Kinder geschrieben oder sind Mit-Besitzerin eines Fußballvereins. Wird Ihnen die Filmbranche zu langweilig?
Kein bisschen. Aber mich interessieren auch noch andere Dinge, und es reizt mich sehr, in neue Welten abzutauchen. Vielleicht ist das kein Wunder, wenn man über so viele Jahre das Gleiche macht. Meinen ersten Film habe ich schließlich vor 30 Jahren gedreht. Hin und wieder will ich Neues lernen, auch neue Seiten am mir entdecken. Deswegen brauche ich manchmal eine neue Herausforderung. Als Investorin in Los Angeles den Fußballverein Angel City FC mitgegründet zu haben, ist eine besonders aufregende Sache. Darüber haben wir für den Sender HBO sogar eine Doku-Reihe gedreht.
Sie sagten, Sie hätten sich am Set von „May December“ungewohnt sicher gefühlt. Das war in Ihren 30 Jahren vor der Kamera nicht immer der Fall?
Die Aussage bezog sich erst einmal speziell auf Todd, ich wollte das nicht in einen Gegensatz zu anderen Erfahrungen setzen. Aber sagen wir einmal so: Die Fragen, wie man an einem Filmset mit Schauspielern und vor allem Schauspielerinnen umgeht und wie man sie schützen kann, wurden kaum gestellt, als ich anfing. Das war traditionell nicht wirklich ein sicheres Arbeitsumfeld – und ist es ehrlich gesagt bis heute nicht unbedingt. Allerdings hat sich viel getan, das Thema ist mittlerweile eines, über das gesprochen wird und an dem gearbeitet wird. Menschen, die früher nicht gehört wurden, haben sich in den vergangenen paar Jahren Gehör verschafft. Doch es gehört immer noch viel Mut dazu, nicht alles hinzunehmen und für sich selbst einzustehen. Sich vor Hunderte Leute hinzustellen und zu sagen: Ich fühle mich unwohl in dieser Situation, wir müssen etwas ändern – das macht man nicht mal eben so.