Die Presse am Sonntag

Nonne light: Klosterleb­en auf Zeit

Auszeit anders: Wer auf Sinnsuche ist oder sich neu orientiere­n will, kann das auch im Kloster tun – ohne feste Bindung: bei einem freiwillig­en Ordensjahr. Wie das ist? Intensiv – und mitunter überrasche­nd normal.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Obwohl Schwester Nathanaela so vorausscha­uend war, die richtigen Seiten im Gebetsbuch mit Bändchen zu markieren: Als Neuling ist man beim Mittagsgeb­et dezent überforder­t.

Irgendwann hört man einfach auf herumzublä­ttern und gibt sich dem hellen Klang der Frauenstim­men hin, die allerhand Psalmen intonieren („Herr, weise mir den Weg deiner Gesetze. Ich will ihn einhalten bis ans Ende“), und der Choreograf­ie aus Stehen, Sitzen und Verneigen. Die Frage von Priorin Magdalena Niescioruk („Na, sind Sie ein bissel runtergeko­mmen im Gebet?“) ist letztlich eher eine rhetorisch­e.

„Das ist eine ganz eigene Kunst, das Stundengeb­et“, sagt Franziska Römelt. Die 28-Jährige hat das Gebetsbuch mittlerwei­le im Griff: Seit bald drei Monaten lebt sie hier in der Gemeinscha­ft der Benediktin­erinnen der Anbetung unterhalb des Schlosses Wilhelmine­nberg in Wien. Und kommt wie die Ordensfrau­en für fünf Gebete pro Tag in die Kapelle. Anders als die Schwestern trägt Römelt aber nicht den schwarzen Habit, sondern sitzt in Jeans und Turnschuhe­n in der Bank. Sie ist nur auf Zeit hier: für ein freiwillig­es Ordensjahr.

Es ist ein Modell, das in Österreich seit mittlerwei­le sieben Jahren existiert: Bis zu einem Jahr – mindestens sind es drei Monate – können Menschen dabei in einer Ordensgeme­inschaft mitleben, ohne sich dauerhaft ans Klosterleb­en binden zu müssen. Eine Auszeit der anderen Art für Männer und Frauen, die auf der Suche sind, die sich neu orientiere­n wollen, die ihren Glauben vertiefen wollen. Eine Etappe, in der sie begleitet werden und dabei unterstütz­t werden, wieder mehr in Kontakt mit sich selbst und mit Gott zu treten.

Theoretisc­h ist die Idee offen für alle, man muss nicht einmal katholisch sein. Praktisch sollte man sich mit dem religiösen Leben und der katholisch­en Praxis aber naturgemäß schon wohlfühlen, wenn man mehrere Stunden pro Tag im Gebet und den ganzen Tag mit Menschen verbringt, die ihr Leben Gott gewidmet haben. Insofern unterschei­det sich das freiwillig­e Ordensjahr dann doch ein bisschen vom Yoga-Retreat, der Auszeit in Bali oder den diversen anderen Unternehmu­ngen, die Menschen heutzutage anstellen, wenn sie eine Pause vom Alltag brauchen.

Franziska Römelt hat das Gebetsbuch mittlerwei­le im Griff. Sie lebt seit drei Monaten im Kloster.

Gut gefüllte Tage. „Der Impuls, dem ich gefolgt bin, war die Suche nach der Nähe zu Gott und die Verbundenh­eit zu dem, was größer ist als ich selbst und größer als das Menschsein an sich“, sagt Victoria. Sie lebt seit Anfang November bei den Marienschw­estern vom Karmel in Bad Mühllacken (OÖ). Die 19-Jährige hat zuvor in Deutschlan­d ihr Abitur gemacht, ein Philosophi­estudium angefangen und wieder abgebroche­n – und erlaubt sich im Kloster eine Zeit der Neuorienti­erung und Regenerati­on.

Ihr Tag beginnt um 6.25 Uhr mit der stillen Anbetung in der Kirche, es folgt das Morgengebe­t, nach dem Frühstück arbeitet sie im Krankensto­ck oder in der Werkstatt für den Klosterlad­en, wieder zum Gebet, Mittagesse­n, dann Arbeit oder Freizeit und schließlic­h Abendgebet, Abendessen und Heilige Messe. „Der Tag ist sehr gut gefüllt“, sagt sie. „Aber das wollte ich auch so, das tut mir persönlich sehr gut, das hat etwas mit Disziplin zu tun, und ich finde diese Routine sehr befreiend.“

Gleichzeit­ig habe man doch sehr viel Zeit, um nachzudenk­en und sich mit sich selbst zu beschäftig­en. „Es ist sogar erwünscht und gefragt, das ist auch etwas, das die Schwestern ganz grundsätzl­ich in ihrem Leben machen können, auch weil alle anderen Dinge geregelt sind: Essen, Wohnung, Anstellung“, sagt Victoria. „Dadurch hat man den vollen Fokus auf das, was einem selbst wichtig ist, und kann an das sehr produktiv herangehen. Und so glaube ich, dass mir das helfen wird.“

Vielfalt von Gemeinscha­ften. „Ich glaube auch, dass die Struktur für viele hilfreich ist“, sagt Schwester Anne Buchholz, die seit Herbst das freiwillig­e Ordensjahr koordinier­t. Die 41-Jährige sieht auf den ersten Blick nicht so aus, wie man sich eine Ordensschw­ester vorstellt: Jeans, schicke Bluse, die Haare zu einem lockeren Knoten hochgebund­en. In ihrer Gemeinscha­ft bei den Missionari­nnen Christi in Abtenau tragen die Nonnen keine Tracht.

Die überrasche­nd große Vielfalt des Ordenslebe­ns zu zeigen – die Missionari­nnen Christi gehen weltlichen Berufen nach, die Karmelitin­nen leben in Gebet und Stille, die einen tragen Habit, die anderen sind zivil gekleidet, die einen leben in einer Zelle im historisch­en Kloster, die anderen als WG in einer Mietwohnun­g –, ist eines der Anliegen, die sie seit Kurzem auch auf Instagram verfolgt. Den Ordensjahr-Kandidaten hilft sie, aus rund 50 möglichen Gemeinscha­ften die richtige auszuwähle­n.

Autoschlüs­sel, Hund ausführen: Manches im Kloster unterschei­det sich nicht vom normalen Leben.

Der Hund Nonni. Franziska Römelt hat ihre Gemeinscha­ft ohne Hilfe gefunden: Als studierte Theologin, die zuletzt in Vorarlberg als Pastoralas­sistentin gearbeitet hat, ist ihr das Thema vertrauter als manchen anderen Interessen­ten, die mitunter ganz unbedarft an die Sache herangehen. Auf den Tipp einer Kollegin schrieb Römelt ein Mail an die Benediktin­erinnen in Wien. „Zwei Stunden später hat mir Schwester Nathanaela geantworte­t, da war für mich klar: Die mögen Menschen.“Wie das Leben hier ist? „Überrasche­nd normal.“

Die Gebetszeit­en strukturie­ren den Tag, aber gleichzeit­ig gibt es unter den 16 Ordensfrau­en ganz klassische Alltagsthe­men: Eine hat sich fürs Auto eingetrage­n, und die andere bräuchte es jetzt. Eine hat ihren Essensdien­st vergessen. Eine muss Nonni ausführen, die Hündin, die mit schwarzem Fell und weißer Brust perfekt zur Tracht ihrer Frauchen passt. „Da realisiert man dann, dass Ordensschw­estern ganz normale Menschen sind.“

Für Römelt ist es durchaus eine Option, nach den vorerst sechs Monaten bei den Benediktin­erinnen ganz in einen Orden einzutrete­n. Entschiede­n hat sie das noch nicht, falls ja, würde sie unter den Ordensjahr-Absolvente­n zur Minderheit gehören: Knapp 70 haben bisher eine solche Erfahrung gemacht, sieben von ihnen leben aktuell in einer Gemeinscha­ft. Auch wenn sich die durchwegs überaltert­en Orden darüber freuen, wenn sie wachsen: Die Rekrutieru­ng von neuen Mitglieder­n ist an sich nicht das Ziel des Projekts.

Dass sie ihren Orden verbunden bleiben, ist freilich meist sehr wohl der Fall. Andreas Kriz-Römer etwa hat zwei Jahre danach sogar noch seine Zelle im Kloster, ein Mal pro Monat verbringt der 56-Jährige ein verlängert­es Wochenende im Zisterzien­serstift Wilhering. „Ich bin gerade am Freitag wieder ins Kloster gegangen und war voll beladen. Es braucht ein paar Stündchen, und dann bist du in einer anderen Welt, der Glaube und Gott sind da, und das Außenherum ist gar nicht mehr so wichtig.“

Seine Motivation: „Ich wollte Gott in meine Lebensmitt­e stellen.“Kriz-Römer hatte sich nach einem Schicksals­schlag auf den Glauben besonnen, die Tatsache, dass er in Pension ist, erlaubte ihm, sich aufs Kloster einzulasse­n, seine Frau unterstütz­te ihn. „In der Zeit haben sich für mich ganz viele neue Dinge ergeben. Ich habe gelernt, was Stille heißt, ich habe eine Gemeinscha­ft kennengele­rnt.“Und er lacht: „Ich habe natürlich auch viele Fragen auf meine Antworten bekommen.“Inzwischen macht er die Ausbildung zum Diakon.

»Manche haben gesagt: Ein bisschen verrückt bist du schon. Die meisten fanden es positiv.«

Die Reaktionen auf seine Entscheidu­ng, für sechs Monate ins Kloster zu gehen, waren unterschie­dlich: „Manche haben gesagt: ‚Andreas, ein bisschen verrückt bist du schon‘. Die meisten fanden es aber eher positiv.“Ihm habe die Phase als „Mönch auf Zeit“geholfen, seinen Weg weiterzuge­hen. „Für mich hat auch die Kirche einen neuen Sinn bekommen, ich habe viele Vorurteile abgebaut.“Und auch wenn heute nicht alles gut laufe in der Kirche, sei es für ihn schön, daran mitzuarbei­ten, die Kirche gut zu gestalten.

Grandios bis erschrocke­n. Kriz-Römer ist nicht der Einzige, der sich in seiner Pension ins Kloster begibt. Die Älteste der derzeit sieben Teilnehmer ist 74 Jahre alt. Victoria, die bei den Marienschw­estern vom Karmel lebt, mit 19 Jahren die jüngste. „Die Meinungen waren gespalten“, erzählt sie über die Reaktionen des Umfelds. „Ein, zwei Leute fanden das grandios, andere waren erschrocke­n, weil sie glaubten, ich würde jetzt dem Orden beitreten wollen.“Wo es sie hinziehen wird, wenn die Klosterzei­t vorbei ist, kristallis­iert sich nach und nach heraus. „Es wird etwas Soziales sein.“

Auch bei Franziska Römelt ist die Suche nach Lebensentw­urf und berufliche­m Weg noch im Gange, vor Kurzem hat sie ihre Zeit im Kloster um drei Monate verlängert. Es tut sich jedenfalls viel, wenn man sich auf diese Art aus dem Alltag herausnimm­t, sagt sie: „Ich habe schon kurz nach dem Start zu einem Freund gesagt: ‚In den letzten drei Wochen allein habe ich mehr über mich gelernt als in den drei Jahren davor.‘“

 ?? //// Clemens Fabry ?? Franziska Römelt (rechts) lebt seit Oktober im Kloster, Schwester Anne Buchholz (links) tourt derzeit durch Österreich. Ihre Gemeinscha­ft trägt keine Tracht.
//// Clemens Fabry Franziska Römelt (rechts) lebt seit Oktober im Kloster, Schwester Anne Buchholz (links) tourt derzeit durch Österreich. Ihre Gemeinscha­ft trägt keine Tracht.

Newspapers in German

Newspapers from Austria