Father Christmas bringt Fußball
Die englische Premier League kennt keine Weihnachtsruhe. Warum der Fußball auf der Insel an den Feiertagen boomt, Jürgen Klopp und Pep Guardiola aber dennoch lieber pausieren würden.
Die Ursprünge des Feiertagsfußballs in England reichen vermutlich noch weiter in die Geschichte zurück als das diesjährige Motto, mit dem die Premier League die Spiele um Weihnachten und Neujahr angekündigt hat.
„The gift that keeps on giving“heißt der Werbespruch: Das Geschenk, das immer wieder Freude macht. Der Slogan soll zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts erstmals in Reklamen für Phonografen aufgetaucht sein. Denn sie ließen sich, im Gegensatz zu anderen Präsenten der damaligen Zeit, fortwährend benutzen. Und das trifft, wenn es nach der Premier League geht, in gewisser Weise ebenfalls auf die Tradition von Fußballspielen am Jahresende in England zu – weil sie jeden Tag und alle Jahre wieder stattfinden.
In dieser Saison sind es drei Spieltage innerhalb von zwei Wochen, zwischen dem 21. Dezember und dem 2. Januar stehen fast rund um die Uhr Erstligapartien auf dem Programm. Sogar heute, am 24. Dezember, wird diesmal gekickt, erstmals seit 28 Jahren. Wolverhampton empfängt Chelsea, trotz Skepsis der Chelsea-Anhängerschaft, deren Anfahrt von London nach Birmingham durch die eingeschränkten öffentlichen Transportmöglichkeiten an diesem Tag beschwerlich ist.
Der Verein kündigte zur Beschwichtigung an, die Reisekosten der eigenen Fans zu übernehmen, die ein Ticket für das Spiel haben. Nur für den 25. Dezember, den wichtigsten Weihnachtstag im United Kingdom, an dem bis 1957 hauptsächlich gespielt wurde, sowie den 29. Dezember sind keine Matches angesetzt. Der Dauerballbetrieb zwischen den Jahren gleicht einer Fußballtournee. Die Klubs ziehen von Spielort zu Spielort in kurzer Abfolge. Der Rahmenplan beinhaltet überwiegend regionale Duelle, darunter zahlreiche Derbys, um die Entfernungen für die Stadionbesucher möglichst gering zu halten. Das bietet vor allem umgezogenen Menschen die Möglichkeit, ein Spiel ihrer Heimatklubs im Zuge eines eventuellen Familienbesuchs zu sehen. Fast alle Stadien sind ausverkauft, auch und gerade für Touristen stellen die Matches am 26. Dezember, dem sogenannten Boxing Day, eine Attraktion dar. Dies darf durchaus auch im Sinne der Tradition verstanden werden: Der Boxing Day galt der Überlieferung nach vor langer Zeit als arbeitsfreier Tag für die Bediensteten, die von ihren Vorgesetzten zu Weihnachten oft eine spezielle Geschenkbox erhielten.
Fußballthriller. Die Gabe der Premier League in diesem Jahr ist eine der bisher spannendsten Saisonen überhaupt. Der Dauermeister Manchester City schwächelt, und die Verfolger haben aufgeholt, sodass sich gerade gleich mehrere Klubs Hoffnungen auf den Ligatitel machen können. Deshalb ist es nicht weiter von Belang, dass es am Boxing Day gemeinhin, auch diesmal, kaum Topspiele gibt. Der vermeintliche Grund: Die Liga weiß, dass die Partien wegen ihrer Historie ohnehin Anklang beim Publikum finden.
Die Popularität des Weihnachtsfußballs beruht neben dem Brauchtum überwiegend darauf, dass alle anderen Sportwettbewerbe in Europa pausieren. Die monopolartige Position nutzt die Premier League zur eigenen Vermarktung aus. Je öfter der Ball rollt, desto mehr Geld lässt sich verdienen, so lautet das Kalkül. Die Liga schrieb für die Spielzeiten von 2019 bis 2022 sogar erstmals ein TV-Paket auf dem Heimatmarkt aus, das lediglich zwei Spieltage im Dezember umfasste, darunter den Boxing Day. Seinerzeit erhielt Amazon Prime den Zuschlag. Die Videosparte des Online-Versandriesen wollte mit dem Rechteerwerb den eigenen Abonnentenstamm in der Weihnachtszeit erweitern – und dieser Plan ging dem Vernehmen
nach auf. Denn die Matches erfreuen sich bei den TV-Zusehern ebenfalls großer Beliebtheit, sei es daheim in den Wohnzimmern oder in den Pubs des Landes.
Klopps Kritik. Der englische Fußballwahnsinn trifft aber nicht den Geschmack von jedem. Einige prominente Vertreter der Premier League würden die Christmas Season wohl eher als entrückt bezeichnen. Seit geraumer Zeit beklagen sich Spieler und Trainer über die immer höhere Belastung durch die enge Spieltaktung. Zu den Kritikern gehören unter anderem Jürgen Klopp und Pep Guardiola, die beiden bekanntesten Coaches der Premier League.
Alles sei in Ordnung, bis es auf Weihnachten zugehe, tat Klopp seinen Unmut vor Jahren kund. Es sei nicht richtig, innerhalb weniger Tage so oft zu spielen, aber es sei eben Tradition, meinte er. Ähnlich äußerte sich Guardiola, der den herausfordernden Rhythmus sogar als Desaster einstufte.
Wolverhampton gegen Chelsea am 24. Dezember um 13 Uhr Ortszeit. Mehr Fußball geht nicht.
Der Boxing Day hat Tradition – und bringt Geld. Für die Liga scheint er unverzichtbar zu sein.
Doch sowohl für die Premier League als auch für die Fans scheint der Boxing Day aufgrund des Reibachs und des historischen Vermächtnisses unverhandelbar zu sein. Durch die bisher immerzu ansteigenden Gehaltsforderungen der Profimannschaften sind die Vereine einerseits indirekt gezwungen, jede Einnahmemöglichkeit auszuschöpfen. Und andersherum nährt das verdiente Geld wiederum die Ansprüche der kickenden Belegschaften.
Als Zugeständnis an die Erholung der Spieler führte die Premier League kürzlich eine Art Winterpause ein: So wird versucht, dass jeder Klub nach dem weihnachtlichen Halligalli eine zweiwöchige Spielpause im Januar erhält. Auch das könnte sich auf Strecke als ein Geschenk erweisen, das immer wieder Freude bereitet.