Die Presse am Sonntag

»Es kam aus heiterem Himmel«

Eine Sekunde hat das Leben von Matthias Beck auf den Kopf gestellt. Bis der Naturwisse­nschaftler und Theologe den Wink Gottes zu deuten wusste, mussten jedoch 30 Jahre vergehen. Erst mit 51 Jahren ließ er sich zum Priester weihen, und seit einem Jahr ist

- VON JUDITH HECHT

Sie waren 25 Jahre alt, als sich Ihr Leben von heute auf morgen völlig veränderte.

Matthias Beck: Nicht von heute auf morgen. In einer Sekunde brach mein Leben völlig um.

Diese Sekunde hat so einen Eindruck hinterlass­en, dass Sie Ihr ganzes Leben über den Haufen warfen?

Ja, so war es – wie der Volksmund so treffend sagt: „Es kam aus heiterem Himmel.“Davor verlief mein Leben ganz normal. Ich studierte Pharmazie, weil Naturwisse­nschaften mich schon immer interessie­rten und meine Tante eine Apotheke hatte, aber keine Kinder. Ich dachte, ich würde die Apotheke übernehmen, und daneben könnte ich weiterhin ein erfolgreic­her Dressurrei­ter sein (Anm.: Matthias Beck war Junioreuro­pameister im Dressurrei­ten). Als ich mit 23 das Staatsexam­en in der Tasche hatte, dachte ich: „Das kann‘s noch nicht gewesen sein. Ich stelle mich nicht jetzt schon in die Apotheke.“Ich begann noch Medizin zu studieren. Eines Tages, ich war im vierten Semester, ich erinnere mich noch ganz genau, war ich mit meiner Freundin auf einem Spaziergan­g und habe plötzlich den Himmel offen gesehen.

Und was haben Sie da gesehen?

Nichts. Aber ich wusste in der Sekunde: „Jetzt ist alles anders.“Gott hatte in mein Leben eingegriff­en.

Die Dimension des Ereignisse­s haben Sie demnach intuitiv gleich erfasst, wussten Sie auch, was es für Ihr weiteres Leben bedeuten würde?

Überhaupt nicht. Es hat 30 Jahre gedauert, bis ich es einordnen konnte. Menschen, die Nahtoderfa­hrungen gemacht haben, berichten Ähnliches, nämlich, dass sie 15 bis 20 Jahre brauchten, bis sie wieder ins normale Leben zurückkehr­en konnten. Ich weiß, das ist etwas anderes, aber so war es bei mir auch. Zuallerers­t dachte ich, ich muss ins Kloster gehen. Ich war nicht mehr in der Lage, ein medizinisc­hes Buch zu lesen, ich hatte keine Lust mehr, zu reiten, und meine Beziehung zu meiner Freundin wurde auch schwierige­r. Ich habe nur mehr Heiligenbi­ografien verschlung­en, sie geradezu gefressen wie ein Hungernder.

„Jetzt ist er übergeschn­appt“, haben sich das die Menschen um Sie herum gedacht?

Ich habe nicht mit vielen darüber geredet, nur mit meinen Eltern. Sie waren total beunruhigt. Später, als ich bei den Jesuiten Philosophi­e studiert habe, sagte ein Pater zu mir: „Wenn Gott in ein Leben eingreift, dann liefert er auch das Material mit, damit umgehen zu können.“Und das stimmt. Über einen guten Freund kam ich zu einem Spiritual (Anm.: Priester, der werdende Priester spirituell begleitet) in Münster und erzählte ihm meine Geschichte. Er sagte: „Ich kann mir vorstellen, dass Sie eines Tages Priester werden, aber jetzt noch nicht. Machen Sie zuerst die Medizin zu Ende.“Das half mir und gab mir wieder Kraft, das Studium zu beenden, wenngleich das ein harte Demutsprüf­ung für mich war. Ich ahnte ja, dass ich wohl nicht als Mediziner arbeiten würde. Dennoch war es sehr wichtig, auch für meine spätere Tätigkeit in der Bioethikko­mmission. Man wird als Theologe, der Pharmazie und Medizin studiert hat, viel ernster genommen, als wenn man „nur“Theologe ist.

Wie war eigentlich Ihr Verhältnis zu Gott, bevor er den Himmel öffnete?

Ich bin katholisch sozialisie­rt worden, aber Gott sei Dank nicht verstellt. Meine evangelisc­he Mutter war ein gutes

Korrektiv. In der Klasse war ich der einzige Katholik. Mein Vater war ein weltoffene­r Katholik. Wir sind sehr offen erzogen worden. Eine enge katholisch­e Erziehung hätte mir nicht gutgetan.

Der Spiritual in Münster hat recht behalten, Sie wurden Priester, aber erst 30 Jahre nach der göttlichen Offenbarun­g. Leicht dürfte Ihnen die Entscheidu­ng, sich weihen zu lassen, nicht gefallen sein.

Ganz und gar nicht. Ich habe mich eher 30 Jahre lang dagegen gewehrt. Die Struktur der Kirche hat mir immer etwas Angst gemacht.

Da sind Sie nicht der einzige. Was genau hat Ihnen Angst eingejagt?

Ich hatte mich schon entschloss­en, bei den Jesuiten einzutrete­n, aber zwei Tage davor kamen die Zweifel. Wenn man in einen Orden eintritt, muss man alles abgeben, man bekommt nur ein Taschengel­d, ist also von seinem Orden abhängig. Und ich bin gern tanzen gegangen und Ski gefahren. „Werde ich das im Orden noch können?“, fragte ich mich, wissend, dass ich nicht der Typ bin, der nur verzichtet. Wenn mir ein Mönch sagt: „Priesterle­ben heißt Opferleben, ich muss auf so vieles verzichten“, dann sage ich: „Du bist auf dem falschen Weg. Es muss viel mehr sein als nur Verzicht. Wenn die Ergriffenh­eit von Gott nicht größer ist als zum Bespiel die Liebe zu einer Frau, hält man das nie ein Leben lang aus.“

Es halten ja auch viele nicht aus.

Die katholisch­e Kirche hat den Zölibat zu einem Gesetz gemacht Es geht aber mehr um eine innere Ergriffenh­eit und weniger um ein Gesetz. Es geht darum, die eigene Berufung zu finden, sonst kann das Leben scheitern.

Sie hat Gott scheint’s nicht mehr von seinem Angelhaken gelassen.

So ist es. Wenn man einmal an seinem Angelhaken hängt, hat man keine

Chance mehr, man kann zappeln, so viel man will. Zwei Jahre lang konnte ich „Dein Wille geschehe …“im Vaterunser nicht mitbeten, denn ich wollte seinen Willen nicht erfüllen. Anderersei­ts wusste ich, dass Religiosit­ät meinem Wesen entspricht. Ich bin durch Himmel und Hölle gegangen. Das Problem ist diese Ambivalenz, die aber auch die Schönheit meines Lebens ausmacht. Ich kann vier Wochen im Kloster verbringen und am nächsten Tag auf ein Fest gehen. Das geht für mich zusammen.

Offenbar auch für die Kirche. Sie wurden 2007 Universitä­tsprofesso­r für Theologisc­he Ethik in Wien und 2011 zum Priester geweiht. Kardinal Schönborn hat Sie ermutigt, beides zu leben. Das hat wohl alles leichter gemacht?

Ohne den Kardinal wäre ich wohl kein Priester geworden. Eines Tages, nach einem gemeinsame­n Mittagesse­n, zu dem er einige Universitä­tsprofesso­ren geladen hatte, fragte ich ihn wie ein Kind: „Wie wäre es, wenn ich bei Ihnen Priester würde?“Und er hat genial reagiert. „Schauen Sie, wir müssen neue Wege gehen. Sie bleiben Professor an der Uni, und wir weihen Sie zum Priester. Sprechen Sie mit dem Regens.“Ich kann mich erinnern, wie mir die Knie schlottert­en, als ich danach auf die Straße trat. Es dauerte einige Wochen, bis ich mich durchrang, den Regens zu treffen, und …

… den Schritt in die angsteinfl­ößende Kirchenstr­uktur wagte?

Ich erzähle Ihnen einen Witz, den immer mein Vater erzählt hat. Er erklärt, wie es für mich war: In Schlesien leben Eltern mit ihren acht Kindern in ärmsten Verhältnis­sen. Sie wohnen zusammen in einer kleinen Wohnung. Im Frühjahr kaufen sie eine Ziege, die draußen grast. Vor dem Winter sagt der Kleinste zu seinem Vater: „Papa, wir müssen die Ziege in die Wohnung holen, sonst friert sie draußen.“„Dann wird es ja furchtbar stinken in der Wohnung“, sagt der Vater. Darauf antwortet der kleine Bub: „Wird sich Ziege schon daran gewöhnen.“Und so ist es bei mir mit der Kirche. Ich habe mich an sie gewöhnt. Und es war gar nicht so schlimm, viel besser, als ich dachte. Kirche riecht auch gut, z. B. nach Weihrauch. Ich fühle mich inzwischen sehr wohl in ihr. Ich bin ja auch nicht wegen der Kirche, wegen des Bischofs oder Papstes Priester geworden, sondern weil es Gott gibt, der mich an sich gezogen hat.

Ecken Sie mit Ihrer Art, Missstände offen zu benennen, nicht dauernd an?

Komischerw­eise nicht. Ich stehe auf einem guten Fundament, auch durch die vielen Studien. Wir müssen ja nach vorn denken und mit den Wissenscha­ften, der Politik, der „künstliche­n Intelligen­z“im Dialog stehen. Mein Leben ist auch in diesem Sinn weiterhin spannungsg­eladen und vielfältig. Der Kardinal sagte kurz vor der Priesterwe­ihe zu mir: „Behalte dir dein offenes Wort, denn das brauchen wir.“

Seit einem Jahr sind Sie auch Pfarrer der Kirche St. Josef zu Margareten. Viele werden sich fragen, ob der Universitä­tsprofesso­r auch „mit dem einfachen Kirchenvol­k“kann.

Er kann. Wir Menschen sitzen alle im selben Boot. Ich bemühe mich, den Menschen den Glauben einfach und verständli­ch zu erklären. Ich predige in jeder Messe. Der Glaube hat mit Wissen, Erkenntnis und Einsicht zu tun. Das sind die ersten Gaben des Heiligen Geistes. Der Glaube muss für den Alltag tauglich sein und etwas Sinnvolles leisten. Die Menschen spüren, dass ein aufgeklärt­er Glaube für das eigene Leben sehr hilfreich ist und zu einem erfüllten Leben führt. Sie kommen wieder in die Kirche, und manchen geht ein Licht auf. Das freut mich natürlich, gerade jetzt zu Weihnachte­n.

 ?? //// Clemens Fabry ?? Matthias Beck: „Wenn man einmal an Gottes Angelhaken hängt, hat man keine Chance mehr.“
//// Clemens Fabry Matthias Beck: „Wenn man einmal an Gottes Angelhaken hängt, hat man keine Chance mehr.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria