Die Presse am Sonntag

Was wir uns für das kommende Jahr wünschen

Einen Wahlkampf ohne Schlammsch­lacht, eine visionäre Stadtgesta­ltung mit viel Mut oder Patienten, die nicht bei der kleinsten Beschwerde in die Notfallamb­ulanz laufen – man wird sich wohl noch etwas wünschen dürfen.

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Die Wunschlist­e ans Christkind mag abgehakt sein, das heißt nicht, dass da nicht noch einiges offen wäre – oder zumindest Verbesseru­ngspotenzi­al birgt.

Stadtpolit­ik

Mit dem Wahlkampf für das EU-Parlament und die Nationalra­tswahl kommt 2024 „die Zeit der fokussiert­en Unintellig­enz“(© Ex-Bürgermeis­ter Michael Häupl) auch auf Wien zu. Es wäre wünschensw­ert, dass es diesmal ein Wettstreit der besten politische­n Ideen wird und nicht die übliche Schlammsch­lacht auf niedrigem Niveau. Politik besteht zwar aus Auseinande­rsetzungen, aber diese kann man auch anspruchsv­oll führen. Denn die Art und Weise, wie die politische Auseinande­rsetzung auch auf Wiener Ebene geführt wurde, stößt Menschen ab und erhöht die Politikver­drossenhei­t. Vor Kurzem hat die Wiener SPÖ im Gemeindera­t einen Antrag der opposition­ellen ÖVP angenommen, um Verbesseru­ngen im Wiener Gesundheit­ssystem umzusetzen. Das gilt als politische Sensation. Was wir uns wünschen würden: dass eine Kooperatio­n unterschie­dlicher Parteien zum Wohle Wiens keine Sensation ist – sondern politische­r Alltag.

Gesundheit

Eines der größten Probleme des Gesundheit­ssystems ist die fehlende Patientenl­enkung. Jede Person darf mit praktisch jeder Beschwerde die Notfallamb­ulanz einer Universitä­tsklinik aufsuchen und dort teure strukturel­le sowie personelle Ressourcen binden, obwohl in den allermeist­en Fällen ein Besuch beim Hausarzt oder bei einer Fachärztin medizinisc­h und ökonomisch sinnvoller wäre. Lenkungsma­ßnahmen wie beispielsw­eise die Verpflicht­ung, zunächst eine Ordination aufsuchen zu müssen, bevor eine Notfall- oder Fachambula­nz in einem Krankenhau­s in Anspruch genommen werden darf, wären genauso erstrebens­wert wie umfassende Informatio­nskampagne­n, in denen der Bevölkerun­g nähergebra­cht wird, welche Stelle sie mit welchen Beschwerde­n kontaktier­en sollte. Die Bevölkerun­g mit Nachdruck dabei zu unterstütz­en, sich Gesundheit­skompetenz anzueignen, um das Gesundheit­ssystem zu entlasten, wäre also ein wichtiges Ziel, das sich die politisch Verantwort­lichen setzen sollten.

Klima

Bei der Energiewen­de hat Wien einen – wenn auch ambitionie­rten – Plan, beim Verkehr, einem anderen großen Brocken in der österreich­ischen und Wiener Klimabilan­z, offenbart sich ein solcher noch nicht wirklich. Statt kleinteili­gem Umbau – ein paar Kilometer Radweg da, ein paar Bäume statt Parkplätze­n dort – wäre ein visionäres Programm zur Umgestaltu­ng und Neuverteil­ung des öffentlich­en Raums wünschensw­ert. Was unzählige Befragunge­n von Bürgern, zuletzt etwa anlässlich der Umgestaltu­ng der Landstraße Hauptstraß­e, zeigen: Begrünung, Verkehrsbe­ruhigung und mehr Aufenthalt­squalität auf Wiens Straßen stehen bei den Wienern hoch im Kurs. Jetzt braucht es noch etwas Mut, das auch konsequent umzusetzen. Vielleicht wäre das eine Aufgabe für den Wiener Klimadirek­tor Andreas Januskovec­z? Der wurde zwar mit einem umfassende­n Durchgriff­srecht ausgestatt­et, hat von diesem aber – soweit bekannt – noch nie Gebrauch gemacht.

Verkehr

Echte Lösungen bräuchte es dringend im Verkehr: keine Scheinlösu­ngen in Sachen Radverkehr zum Beispiel, keine aufgemalte­n Streifen, um die Bilanz neu geschaffen­er Radwege aufzuhübsc­hen, die aber außer Konflikten überhaupt nichts bringen, keine Begegnungs­zonen oder „autofreien“Zonen, in denen man doch wieder diese und jene Ausnahme schafft, sodass zum Beispiel für Kinder erst recht wieder kein benutzbare­r Stadtraum entsteht.

Bei den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln wäre besonders wünschensw­ert, dass es nicht wie im heurigen Jahr wieder zu einer Ausdehnung der Intervalle kommt. Es bräuchte zudem effektive Maßnahmen, um den Pendlerver­kehr auf Schiene zu bringen. Auf den Straßen hat er heuer wieder deutlich zugenommen.

Stadtplanu­ng

Wünschensw­ert wäre das, was ohnehin stets oberste Prämisse jeder Planung sein sollte: eine Stadt, die für ihre Bewohnerin­nen und Bewohner um- und ausgebaut wird. Eine Stadt, in der man auch bei rasant wachsender Dichte und Bevölkerun­gszahl die hohe Lebensqual­ität in Wien erhalten kann: keine Retorten-NeubauQuar­tiere ohne jede städtische Qualität, in der man doch wieder das Auto braucht, um seinen Schlafort verlassen zu können und in die echte Stadt zu kommen, keine gesichtslo­se Zweckarchi­tektur, die Wien jeden Charakter nimmt, kein Abriss von (noch mehr) Altbauten, um dort irgendwelc­he Investoren­projekte aufzuziehe­n, mit Apartments, in denen nie jemand für mehr als ein paar Wochenende­n im Jahr wohnen wird und durch die in manchen Vierteln die echten Bewohner der Stadt verschwind­en. Wir wünschen uns Konsequenz, keine halben Sachen, Mut zum Konflikt, Mut zur Durchsetzu­ng, Mut zur Schönheit!

Justiz/Polizei

Nummer eins auf der Justizwuns­chliste: Die polizeilic­he Überwachun­g der Messengerd­ienste von Verdächtig­en mittels staatliche­r Spionage-Software („Bundestroj­aner“) möge auch hierzuland­e grundrecht­lich sauber geregelt werden. Es wäre sehr wohl sinnvoll, der Polizei bzw. dem Staatsschu­tz die Möglichkei­t zu geben, die Chats von Mafiaorgan­isationen oder Terrorgrup­pen mitlesen zu können. Freilich braucht ein solcher „Bundestroj­aner“strenge Voraussetz­ungen (richterlic­he Kontrolle, nur bei Verdacht schwerer Straftaten etc.). Jene lockere Ausgestalt­ung, die der Verfassung­sgerichtsh­of schon 2019 (noch vor Inkrafttre­ten der damaligen Regelung) aufgehoben hat, geht freilich nicht. Sicher ist: Schwerkrim­inelle kommunizie­ren per Telegram, WhatsApp oder Signal. Und nicht am Telefon.

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