Taiwan-Wahl als Rückschlag für Peking
Mit deutlichem Vorsprung haben die Taiwaner den bisherigen Vizepräsidenten William Lai zum neuen Staatschef gewählt und damit den China-kritischen Kurs der vergangenen Jahre bestätigt.
Als William Lai kurz nach seinem Wahlsieg am Samstag vor die Presse tritt, hat er eine klare Botschaft an Peking parat: „Wir haben der Welt gezeigt, wie sehr wir unsere Demokratie wertschätzen“, sagt der 64-jährige bisherige Vizepräsident mit breitem Siegerlächeln. Und legt einen Seitenhieb nach: Die Taiwaner hätten bewiesen, dass sie den Einflussversuchen von außen standhalten würden. Nur die 23 Millionen Bewohner der Insel vor der Küste Chinas selbst könnten über die Zukunft ihres Landes entscheiden – und niemand sonst.
Draußen vor dem Medienzelt jubelten Zehntausende ihrem neuen Präsidenten zu, darunter auch der 34-jährige Roderik Tseng. „Ich bin sehr glücklich über das Resultat, denn Lai macht das Richtige für Taiwan. Er bringt Taiwan näher an die internationale Gemeinschaft“, sagt der gelernte Bäcker.
Dreimal in Folge. Mit gut 40 Prozent Zustimmung konnte William Lai (eigentlich: Lai Ching-te) von der amtierenden Demokratischen Fortschrittspartei DPP einen doch deutlichen Sieg einfahren. Sein wichtigster Kontrahent, Hou Yu-ih von der Peking-freundlichen Kuomintang-Partei KMT, kam hingegen auf nur ca. 33,5 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei immerhin knapp 72 Prozent. In der noch jungen Demokratie (bis Ende der 1990er herrschte die wesentlich vom Militär gestützte Einheitspartei Kuomintang, die Demokratisierung hatte aber Ende der 1980er begonnen) stellt nun erstmals dieselbe Partei drei Legislaturperioden hintereinander den Präsidenten. Die aktuelle Präsidentin Tsai Ing-wen konnte nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten.
„Als Präsident habe ich eine große Verantwortung, Frieden und Stabilität in der Taiwanstraße aufrechtzuerhalten“, sagt Lai, der einst eine medizinische Ausbildung gemacht und als Therapeut gearbeitet hat. Man sei jedoch gleichzeitig fest entschlossen, Taiwan gegen die Drohungen aus China zu verteidigen: „Taiwan hat sich nicht an irgendwelchen provokativen Handlungen beteiligt. Wir wollen nur unseren demokratischen Lebensstil behalten.“
Ärger in Peking. Für Peking ist der Wahlausgang ein herber Rückschlag. Es wertet den ehemaligen Harvard-Studenten als „hartnäckigen Verfechter der Unabhängigkeit Taiwans“, der „separatistische Aktivitäten“fördere. Sämtliche Gesprächsversuche hat die Volksrepublik China kategorisch abgelehnt. Am Samstag hieß es aus Peking, man werde die Beziehungen zu Taiwan weiter verfolgen, doch eine Unabhängigkeit keinesfalls anerkennen. Taiwan gehöre China, die Wahlergebnisse seien „nicht repräsentativ“für die herrschende Meinung. Aus Moskau kam übrigens die Meldung, Taiwan sei Teil Festlandchinas.
Wer am Wahlwochenende durch Taipeh streift, dem wird klar, warum der kleine Inselstaat mit 23 Millionen Einwohnern für Chinas Staatschef Xi Jinping eine Bedrohung darstellt. Denn Taiwan hält den Chinesen das Spiegelbild einer alternativen Realität vor: ein kulturell chinesisch geprägtes Land, das eine lebhafte Zivilgesellschaft beheimatet, freie Medien und eine politisch interessierte Bevölkerung.
In über 18.000 Wahllokalen konnte man sein demokratisches Recht einlösen, auch bei der Parlamentswahl, deren Ausgang vorerst unklar war. May Yeh flog dafür um die halbe Welt: „Ich möchte, dass Taiwan frei bleibt“, erklärt die in Kalifornien lebende Seniorin ihr Wahlanliegen: „China soll nicht zu uns kommen.“Deshalb habe sie ihre Stimme DPP-Kandidat William Lai gegeben.
„China ist zu aggressiv geworden“, meint auch ihre Bekannte Alice Chow, ebenfalls aus den USA angereist. Über das System in Peking hat sie längst keine Illusionen: Eine Freundin ihrer Tochter, chinesische Staatsbürgerin, sei eines Tages verschwunden – ohne Erklärung oder gerichtlichen Prozess. Möglicherweise, so die Vermutung, sei ihr die Arbeit bei der US-Beratungsfirma McKinsey zum Verhängnis geworden. Denn bereits Marktrecherchen können in China unter Xi Jinping schnell als Verstoß gegen die nationale Sicherheit ausgelegt werden.
»Taiwan und China sind ganz einfach separate Länder«, ruft der Pensionist mit Leidenschaft.
Zweifelsohne haben die Repressionen unter Xi Jinping das Bild vieler Taiwaner gegenüber ihrem großen Nachbarn im Norden geprägt. Regelmäßig wiederholt der mächtige 70-jährige Staatschef seine Pläne einer Wiedervereinigung mit der „abtrünnigen Provinz“, notfalls auch mit militärischem Zwang. Die allermeisten Taiwaner wollen von solchen Avancen nichts wissen, ja hegen sogar Hass gegen die kommunistische Staatsführung Chinas.
Doch der 68-jährige Huang Hsuangung wünscht sich mehr Austausch mit dem nördlichen Nachbarn. Am Samstag ist er zum Markt beim LongshanTempel gekommen, wo sich vorwiegend Pensionisten bei chinesischem Schach und geselligem Tratsch die Zeit vertreiben. Doch trotz der angenehmen Nachmittagssonne und der prächtigen Palmbäume trügt das Idyll. Unter der Oberfläche treffen höchst unterschiedliche Vorstellungen aufeinander.
Kulturdebatte unter Pensionisten.
Herr Huang etwa identifiziert sich kulturell klar als Chinese, doch bedauert, dass die Jugend den Zugang zu ihren Wurzeln verliere. „Die Jungen sind den Kulturen aus aller Welt ausgesetzt. Taiwan jedoch ist ein Teil von China“, sagt er. Sofort fällt ihm ein anderer ins Wort. „Taiwan und China sind separate Länder“, sagt Lim Wei-chieh mit leidenschaftlichem Temperament. Die Insel wurde mehrfach kolonialisiert – von den Niederlanden, Spanien, Japan, China. „Aber deswegen sind wir kein Teil von China“, meint der 70-Jährige.