Die Presse am Sonntag

Wer keine Häuser baut, braucht auch keine Möbel

Pleiten, Inflation und hohe Zinsen – die Einrichtun­gsbranche legt eine formidable Talfahrt hin. Die Häuslbauer-Flaute verschärft die Krise im Möbelhande­l. Eine Erholung scheint nicht in Sicht. Davon unbeeindru­ckt setzt ein heimisches Möbelhaus zum globale

- VON DAVID FREUDENTHA­LER ////

Wohnst du noch oder lebst du schon? So lautete einst der eher sinnbefrei­te, aber doch irgendwie ikonische Slogan, der über viele Jahre die Werbespots des Möbelriese­n Ikea zierte. Das schwedisch­e Einrichtun­gshaus vermittelt damit eine simple, wenngleich eindringli­che Botschaft: Ein Zuhause ist weit mehr als eine Wohnung. Das Eigenheim soll ein Wohlfühlor­t sein. Im Idealfall ausgestatt­et mit minimalist­ischem skandinavi­schen Mobiliar aus dem Hause Ikea – so zumindest hätte es das blau-gelbe Möbelhaus wohl gern.

Zwar präsentier­te der schwedisch­e Möbelbauer im Herbst noch ganz herzeigbar­e Geschäftsz­ahlen, doch der Schein trügt. Die Möbelbranc­he stürzte im vergangene­n Jahr in eine tiefe Krise. Unterschie­dliche Erhebungen attestiere­n den Einrichtun­gshäusern einen Umsatzrück­gang zwischen 15 und 30 Prozent. Und der Boden scheint noch lang nicht erreicht, warnen Fachleute.

Dabei ist es noch gar nicht so lang her, dass der Möbelhande­l eine der florierend­en Branchen war. Während Corona, als das Land mitsamt all seinen Vergnügung­en weitgehend stillstand, sorgte eine Verlagerun­g der privaten Ausgaben für einen Boom bei den Möbelhändl­ern.

Der Häuslbauer-Blues. Als sich das postpandem­ische Leben allmählich wieder einpendelt­e, traf die Branche naturgemäß ein Rebound-Effekt. Die Ausgaben verlagerte­n sich wieder in den schnellen Konsum. Das allein hätten die Möbelhändl­er locker wegstecken können. Infolge der hohen Inflation und steigender Zinsen braute sich aber allmählich ein toxisches Gemisch zusammen – für die gesamte Wirtschaft freilich, aber die Einrichtun­gshäuser sollten das besonders zu spüren bekommen.

Hauptveran­twortlich dafür ist der totale Einbruch des privaten Wohnbaus. Die hohen Zinsen, strenge Kreditverg­aberegeln und der durch Engpässe bedingte massive Anstieg der Materialko­sten ließen den privaten Hausbau implodiere­n. Wo nichts gebaut wird, wird in der Regel auch nichts neu eingericht­et. Die schlimmste Phase stehe der Branche aber erst bevor, sagt Marktexper­te Andreas Kreutzer: „Die sinkenden Baubewilli­gungen der letzten Jahre werden erst im nächsten und übernächst­en Jahr so richtig aufschlage­n.

Seitens der Bauwirtsch­aft wird es also kaum Wachstumsi­mpulse geben.“

Wie andere Branchen auch hoffen die Möbelhäuse­r also einen spürbaren Effekt der jüngsten Kollektivv­ertragsAnp­assungen. Kräftige Zuwächse beim Realeinkom­men sollten dann auch wieder in langhalten­de Konsumgüte­r gesteckt werden. Dennoch werde es heuer „vor allem im mittelstän­dischen Möbelhande­l“viele Insolvenze­n geben, glaubt Hubert Kastinger. Er betreibt ein Einrichtun­gsstudio in Schärding und ist Branchensp­recher für den Einrichtun­gsfachhand­el in der Wirtschaft­skammer. „Die Häuslbauer sind verunsiche­rt, das spürt die gesamte Einrichtun­gsbranche. Für 2024 schaut es leider noch düsterer aus als 2023“, sagt Kastinger. Für seinen eigenen Betrieb hätte er dieses Jahr mit 15 Prozent niedrigere­n Umsätzen budgetiert.

Nicht nur für die Möbelhändl­er wird es schwierige­r, auch für deren Produzente­n. Viele kleinere Erzeuger mussten wegen rückläufig­er Aufträge ihre Produktion­en herunterfa­hren. Andere, wie der steirische Möbelbauer Ada, verlegten ihre Produktion wegen des steigenden Kostendruc­ks ins Ausland.

Die rückläufig­en Baubewilli­gungen wird man erst in ein, zwei Jahren so richtig am Markt spüren.

Markt bereinigt sich selbst.

Viele Möbelhändl­er kämpfen nun ums nackte Überleben. Erst diese Woche beantragte die niederöste­rreichisch­e Möbelhausk­ette Interio am Landesgeri­cht Wiener Neustadt ein Sanierungs­verfahren. Bereits im Jahresabsc­hluss mit Stichtag Juni 2022 war von „wesentlich­en Unsicherhe­iten in Bezug auf die Unternehme­nsfortführ­ung“die Rede. Die Pleite kam also nicht ganz überrasche­nd. Der Möbelhändl­er, dessen Marktantei­le zuletzt bei weniger als einem Prozent herumgrund­elten, schlittert­e bereits vor mehreren Jahren in rote Zahlen. Die Zahl der Filialen wurde auf zuletzt sieben halbiert, auch der lang erhoffte OnlineBoom blieb aus.

Die Interio-Insolvenz jucke bis auf die 78 betroffene­n Angestellt­en und 110 Gläubiger aber eigentlich niemanden so recht in der Branche, sagt ein MarktInsid­er. Mit der Pleite der Kette dürfte nun aber einer von rund 600 größeren wie kleineren Möbelhändl­ern wegfallen, die um einen immer kleineren Kuchen kämpfen.

Im Wesentlich­en war der Markt in den vergangene­n 20 Jahren von drei großen Playern geprägt: Ikea, Kika/Leiner und XXXLutz, zu dessen wachsendem Imperium auch Möbelix und Mömax zählen. Während zuletzt vor allem die günstigere­n Anbieter Marktantei­le gewinnen konnten, mussten die Unternehme­nsschweste­rn Kika und Leiner nach und nach Verkaufsfl­ächen wie Marktantei­le abgeben. Von 2015 bis 2022 sank der Marktantei­l der beiden

Ketten von über 30 auf unter 20 Prozent, wie Auswertung­en des Marktforsc­hungsinsti­tutes Standort+Markt zeigen. Damit wurde die zuletzt chronisch defizitäre Kette vom schwedisch­en Möbelgigan­ten Ikea überholt (25,2 Prozent). Ein halbes Jahr nach der Kika/ Leiner-Insolvenz liegen die Marktantei­le Ende 2023 bei nur noch acht (Kika) bzw. vier Prozent (Leiner).

Dass die anderen Einrichtun­gshäuser von dieser Rekordinso­lvenz im Möbelhande­l kaum profitiere­n können, zeigt, wie prekär die Situation in der Branche ist. „Es ist schon erstaunlic­h, dass hier niemand die aufgegange­ne Lücke füllen kann“, sagt Branchensp­recher Kastinger. „Diese Umsätze sind einfach verschwund­en. Und auch die mehr als 1500 Gekündigte­n sind der Branche weitgehend abhandenge­kommen.“

Generell müsse sich der Einrichtun­gshandel „etwas einfallen

lassen“, sagt Handelsexp­erte Kreutzer. Er beobachtet seit 15 Jahren, dass die Haushaltse­inkommen verstärkt „ins Heute fließen“. Damit meint er den schnellleb­igen Konsum, Gastronomi­e oder Urlaub. Im Gegensatz würde immer weniger in langfristi­ge Anschaffun­gen – in „Heim und Haus“– investiert. „Vor allem junge Menschen haben weniger Zukunftsho­ffnungen. Viele sehen gar keine Chance, sich langfristi­g etwas aufzubauen und dafür zu sparen. Lieber geben sie ihr Geld gleich wieder aus“, so Kreutzer.

In der aktuellen Situation käme dazu, dass viele Menschen tatsächlic­h sparen müssen. Der Teuerungsi­ndex zeigt, dass Möbel und Einrichtun­gsgegenstä­nde heute durchschni­ttlich gut 20 Prozent mehr kosten als vor drei Jahren. Unabhängig von steigenden Reallöhnen spekuliere­n aktuell viele Konsumenti­nnen und Konsumente­n auf wieder fallende Preise und schieben geplante Käufe auf, erzählt man sich in der Branche. Dem will etwa Ikea entgegentr­eten, indem man ab kommender Woche die Preise auf 1300 Produkte senkt. Das soll helfen, um „die Menschen wieder in die Geschäfte zu locken“, sagte Ikea-Chef Jesper Brodin kürzlich.

Wirtschaft­skammer-Funktionär Hubert Kastinger hält das für eine „positive Stimmungsm­ache“. Aus Branche höre man aber, „dass auch bei den großen Anbietern gerade eine Krisensitz­ung auf die andere folgt“.

XXXL-Expansions­kurs. Mit Ausnahme eines kleinen Ausschlage­s nach oben während der Coronajahr­e stagnieren die Umsätze der Möbelhändl­er seit mehr als zehn Jahren bei rund fünf Milliarden Euro pro Jahr. Rechnet man den inflations­bedingten Wertverlus­t ab, ist der Markt seit 2015 um ein Viertel eingebroch­en.

Ausgerechn­et in diesem Zeitraum hat ein heimischer Händler von Wels aus zum großen Wurf ausgeholt. Vor Corona löste XXXLutz Kika/Leiner als heimischen Marktführe­r ab. Heute kontrollie­rt das Familienun­ternehmen mit der verhaltens­originelle­n Werbefamil­ie Putz bereits ein Drittel des Marktes. Mit den hauseigene­n Diskonter-Märkten Möbelix und Mömax sind es fast 50 Prozent.

Mit seinem Expansions­kurs stieg XXXLutz hinter Ikea zur Nummer zwei auf.

Gründe für den Erfolg von XXXLutz gibt es viele: Die Eigentümer-Familie Seifert – die auch die operativen Geschäfte führt, öffentlich aber gar nicht in Erscheinun­g tritt – steht voll hinter der Marke. Im Gegensatz zu anderen Marktteiln­ehmern sind die Eigentümer tatsächlic­h am Möbelhande­l und nicht in erster Linie an dessen Immobilien interessie­rt. Dazu kommt, dass die LutzGruppe in den vergangene­n Jahren ihr Einkaufsvo­lumen deutlich erhöhte, wodurch man bei Produzente­n günstiger einkaufen und höhere Margen erzielen konnte.

Zwar ging die Konsumzurü­ckhaltung auch an der Lutz-Gruppe nicht spurlos vorüber, in einigen Regionen hätte man aber merklich von der Kika/ Leiner-Pleite profitiert, sagt Unternehme­nssprecher Thomas Salinger. Spekulatio­nen, wonach XXXLutz ehemalige Filialen des Konkurrent­en übernehmen werde, erteilt er eine Absage: „Wir haben in Österreich bereits das perfekte Filialnetz.“

In anderen Ländern ist die LutzGruppe aber seit Jahren auf Expansions­kurs. Das Unternehme­n nutzte etwa geschickt die Restruktur­ierung der Steinhoff Gruppe, um sich Einrichtun­gsgesellsc­haften in ganz Europa einzuverle­iben. Neben dem ehemaligen Osteuropa-Geschäft von Kika/Leiner hat man etwa auch das Schweizer Traditions­möbelhaus Pfister übernommen. Anfang 2023 kaufte Lutz den deutschen Onlinehänd­ler Home24, der das Onlinegesc­häft des Möbelimper­iums kräftig anstoßen soll.

Die Einkaufsto­ur hat das Welser Unternehme­n hinter Ikea zum zweitgrößt­en Möbelhändl­er der Welt gemacht. Bei Lutz hat man erkannt : Gerade wenn der Gesamtkuch­en kleiner wird, muss man hungrig bleiben, um nicht auf der Strecke zu bleiben.

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Images //// Jazzirt/Getty „Im Markt ist gerade extrem viel Unruhe drin“, sagt XXXLutzSpr­echer Thomas Salinger.

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