Wer keine Häuser baut, braucht auch keine Möbel
Pleiten, Inflation und hohe Zinsen – die Einrichtungsbranche legt eine formidable Talfahrt hin. Die Häuslbauer-Flaute verschärft die Krise im Möbelhandel. Eine Erholung scheint nicht in Sicht. Davon unbeeindruckt setzt ein heimisches Möbelhaus zum globale
Wohnst du noch oder lebst du schon? So lautete einst der eher sinnbefreite, aber doch irgendwie ikonische Slogan, der über viele Jahre die Werbespots des Möbelriesen Ikea zierte. Das schwedische Einrichtungshaus vermittelt damit eine simple, wenngleich eindringliche Botschaft: Ein Zuhause ist weit mehr als eine Wohnung. Das Eigenheim soll ein Wohlfühlort sein. Im Idealfall ausgestattet mit minimalistischem skandinavischen Mobiliar aus dem Hause Ikea – so zumindest hätte es das blau-gelbe Möbelhaus wohl gern.
Zwar präsentierte der schwedische Möbelbauer im Herbst noch ganz herzeigbare Geschäftszahlen, doch der Schein trügt. Die Möbelbranche stürzte im vergangenen Jahr in eine tiefe Krise. Unterschiedliche Erhebungen attestieren den Einrichtungshäusern einen Umsatzrückgang zwischen 15 und 30 Prozent. Und der Boden scheint noch lang nicht erreicht, warnen Fachleute.
Dabei ist es noch gar nicht so lang her, dass der Möbelhandel eine der florierenden Branchen war. Während Corona, als das Land mitsamt all seinen Vergnügungen weitgehend stillstand, sorgte eine Verlagerung der privaten Ausgaben für einen Boom bei den Möbelhändlern.
Der Häuslbauer-Blues. Als sich das postpandemische Leben allmählich wieder einpendelte, traf die Branche naturgemäß ein Rebound-Effekt. Die Ausgaben verlagerten sich wieder in den schnellen Konsum. Das allein hätten die Möbelhändler locker wegstecken können. Infolge der hohen Inflation und steigender Zinsen braute sich aber allmählich ein toxisches Gemisch zusammen – für die gesamte Wirtschaft freilich, aber die Einrichtungshäuser sollten das besonders zu spüren bekommen.
Hauptverantwortlich dafür ist der totale Einbruch des privaten Wohnbaus. Die hohen Zinsen, strenge Kreditvergaberegeln und der durch Engpässe bedingte massive Anstieg der Materialkosten ließen den privaten Hausbau implodieren. Wo nichts gebaut wird, wird in der Regel auch nichts neu eingerichtet. Die schlimmste Phase stehe der Branche aber erst bevor, sagt Marktexperte Andreas Kreutzer: „Die sinkenden Baubewilligungen der letzten Jahre werden erst im nächsten und übernächsten Jahr so richtig aufschlagen.
Seitens der Bauwirtschaft wird es also kaum Wachstumsimpulse geben.“
Wie andere Branchen auch hoffen die Möbelhäuser also einen spürbaren Effekt der jüngsten KollektivvertragsAnpassungen. Kräftige Zuwächse beim Realeinkommen sollten dann auch wieder in langhaltende Konsumgüter gesteckt werden. Dennoch werde es heuer „vor allem im mittelständischen Möbelhandel“viele Insolvenzen geben, glaubt Hubert Kastinger. Er betreibt ein Einrichtungsstudio in Schärding und ist Branchensprecher für den Einrichtungsfachhandel in der Wirtschaftskammer. „Die Häuslbauer sind verunsichert, das spürt die gesamte Einrichtungsbranche. Für 2024 schaut es leider noch düsterer aus als 2023“, sagt Kastinger. Für seinen eigenen Betrieb hätte er dieses Jahr mit 15 Prozent niedrigeren Umsätzen budgetiert.
Nicht nur für die Möbelhändler wird es schwieriger, auch für deren Produzenten. Viele kleinere Erzeuger mussten wegen rückläufiger Aufträge ihre Produktionen herunterfahren. Andere, wie der steirische Möbelbauer Ada, verlegten ihre Produktion wegen des steigenden Kostendrucks ins Ausland.
Die rückläufigen Baubewilligungen wird man erst in ein, zwei Jahren so richtig am Markt spüren.
Markt bereinigt sich selbst.
Viele Möbelhändler kämpfen nun ums nackte Überleben. Erst diese Woche beantragte die niederösterreichische Möbelhauskette Interio am Landesgericht Wiener Neustadt ein Sanierungsverfahren. Bereits im Jahresabschluss mit Stichtag Juni 2022 war von „wesentlichen Unsicherheiten in Bezug auf die Unternehmensfortführung“die Rede. Die Pleite kam also nicht ganz überraschend. Der Möbelhändler, dessen Marktanteile zuletzt bei weniger als einem Prozent herumgrundelten, schlitterte bereits vor mehreren Jahren in rote Zahlen. Die Zahl der Filialen wurde auf zuletzt sieben halbiert, auch der lang erhoffte OnlineBoom blieb aus.
Die Interio-Insolvenz jucke bis auf die 78 betroffenen Angestellten und 110 Gläubiger aber eigentlich niemanden so recht in der Branche, sagt ein MarktInsider. Mit der Pleite der Kette dürfte nun aber einer von rund 600 größeren wie kleineren Möbelhändlern wegfallen, die um einen immer kleineren Kuchen kämpfen.
Im Wesentlichen war der Markt in den vergangenen 20 Jahren von drei großen Playern geprägt: Ikea, Kika/Leiner und XXXLutz, zu dessen wachsendem Imperium auch Möbelix und Mömax zählen. Während zuletzt vor allem die günstigeren Anbieter Marktanteile gewinnen konnten, mussten die Unternehmensschwestern Kika und Leiner nach und nach Verkaufsflächen wie Marktanteile abgeben. Von 2015 bis 2022 sank der Marktanteil der beiden
Ketten von über 30 auf unter 20 Prozent, wie Auswertungen des Marktforschungsinstitutes Standort+Markt zeigen. Damit wurde die zuletzt chronisch defizitäre Kette vom schwedischen Möbelgiganten Ikea überholt (25,2 Prozent). Ein halbes Jahr nach der Kika/ Leiner-Insolvenz liegen die Marktanteile Ende 2023 bei nur noch acht (Kika) bzw. vier Prozent (Leiner).
Dass die anderen Einrichtungshäuser von dieser Rekordinsolvenz im Möbelhandel kaum profitieren können, zeigt, wie prekär die Situation in der Branche ist. „Es ist schon erstaunlich, dass hier niemand die aufgegangene Lücke füllen kann“, sagt Branchensprecher Kastinger. „Diese Umsätze sind einfach verschwunden. Und auch die mehr als 1500 Gekündigten sind der Branche weitgehend abhandengekommen.“
Generell müsse sich der Einrichtungshandel „etwas einfallen
lassen“, sagt Handelsexperte Kreutzer. Er beobachtet seit 15 Jahren, dass die Haushaltseinkommen verstärkt „ins Heute fließen“. Damit meint er den schnelllebigen Konsum, Gastronomie oder Urlaub. Im Gegensatz würde immer weniger in langfristige Anschaffungen – in „Heim und Haus“– investiert. „Vor allem junge Menschen haben weniger Zukunftshoffnungen. Viele sehen gar keine Chance, sich langfristig etwas aufzubauen und dafür zu sparen. Lieber geben sie ihr Geld gleich wieder aus“, so Kreutzer.
In der aktuellen Situation käme dazu, dass viele Menschen tatsächlich sparen müssen. Der Teuerungsindex zeigt, dass Möbel und Einrichtungsgegenstände heute durchschnittlich gut 20 Prozent mehr kosten als vor drei Jahren. Unabhängig von steigenden Reallöhnen spekulieren aktuell viele Konsumentinnen und Konsumenten auf wieder fallende Preise und schieben geplante Käufe auf, erzählt man sich in der Branche. Dem will etwa Ikea entgegentreten, indem man ab kommender Woche die Preise auf 1300 Produkte senkt. Das soll helfen, um „die Menschen wieder in die Geschäfte zu locken“, sagte Ikea-Chef Jesper Brodin kürzlich.
Wirtschaftskammer-Funktionär Hubert Kastinger hält das für eine „positive Stimmungsmache“. Aus Branche höre man aber, „dass auch bei den großen Anbietern gerade eine Krisensitzung auf die andere folgt“.
XXXL-Expansionskurs. Mit Ausnahme eines kleinen Ausschlages nach oben während der Coronajahre stagnieren die Umsätze der Möbelhändler seit mehr als zehn Jahren bei rund fünf Milliarden Euro pro Jahr. Rechnet man den inflationsbedingten Wertverlust ab, ist der Markt seit 2015 um ein Viertel eingebrochen.
Ausgerechnet in diesem Zeitraum hat ein heimischer Händler von Wels aus zum großen Wurf ausgeholt. Vor Corona löste XXXLutz Kika/Leiner als heimischen Marktführer ab. Heute kontrolliert das Familienunternehmen mit der verhaltensoriginellen Werbefamilie Putz bereits ein Drittel des Marktes. Mit den hauseigenen Diskonter-Märkten Möbelix und Mömax sind es fast 50 Prozent.
Mit seinem Expansionskurs stieg XXXLutz hinter Ikea zur Nummer zwei auf.
Gründe für den Erfolg von XXXLutz gibt es viele: Die Eigentümer-Familie Seifert – die auch die operativen Geschäfte führt, öffentlich aber gar nicht in Erscheinung tritt – steht voll hinter der Marke. Im Gegensatz zu anderen Marktteilnehmern sind die Eigentümer tatsächlich am Möbelhandel und nicht in erster Linie an dessen Immobilien interessiert. Dazu kommt, dass die LutzGruppe in den vergangenen Jahren ihr Einkaufsvolumen deutlich erhöhte, wodurch man bei Produzenten günstiger einkaufen und höhere Margen erzielen konnte.
Zwar ging die Konsumzurückhaltung auch an der Lutz-Gruppe nicht spurlos vorüber, in einigen Regionen hätte man aber merklich von der Kika/ Leiner-Pleite profitiert, sagt Unternehmenssprecher Thomas Salinger. Spekulationen, wonach XXXLutz ehemalige Filialen des Konkurrenten übernehmen werde, erteilt er eine Absage: „Wir haben in Österreich bereits das perfekte Filialnetz.“
In anderen Ländern ist die LutzGruppe aber seit Jahren auf Expansionskurs. Das Unternehmen nutzte etwa geschickt die Restrukturierung der Steinhoff Gruppe, um sich Einrichtungsgesellschaften in ganz Europa einzuverleiben. Neben dem ehemaligen Osteuropa-Geschäft von Kika/Leiner hat man etwa auch das Schweizer Traditionsmöbelhaus Pfister übernommen. Anfang 2023 kaufte Lutz den deutschen Onlinehändler Home24, der das Onlinegeschäft des Möbelimperiums kräftig anstoßen soll.
Die Einkaufstour hat das Welser Unternehmen hinter Ikea zum zweitgrößten Möbelhändler der Welt gemacht. Bei Lutz hat man erkannt : Gerade wenn der Gesamtkuchen kleiner wird, muss man hungrig bleiben, um nicht auf der Strecke zu bleiben.