Die Presse am Sonntag

Der geplagte Bodensee

Für die einst ertragreic­hen Felchen gilt seit Jänner Fangverbot. Auch sonst haben es die Berufsfisc­her immer schwerer. Im See selbst findet ein Kampf um die Nährstoffe statt. Klimawande­l und invasive Arten wie die Quaggamusc­hel bringen das Ökosystem durch

- VON DUYGU ÖZKAN

Am Ende sind es die Apfelbäume, die Reto Leuch retten. Noch sind sie bedeckt von dunklen Planen, ihre dürren Äste sind nackt und man könnte meinen, im Winterschl­af brauchen sie kaum Zuwendung. Doch seit Dezember ist Leuch dabei, mit seiner Schere durch die Reihen zu wandern. Es ist Winterschn­itt-Zeit. Bei 20.000 Bäumen ist das schon eine Arbeit. Er sei, sagt Reto Leuch, „beschäftig­t“.

Am unteren Hang seiner Obstplanta­ge beginnt schon das Bodenseeuf­er. Es gehört zu den schönen Eigenheite­n dieses Sees: Egal, wo man steht, man sieht ins Nachbarlan­d hinüber – in diesem Fall nach Meersburg in BadenWürtt­emberg. Von seinem Haus aus hat Leuch die Blauschatt­ierungen des Gewässers gut im Blickfeld. Der See, das ist seine andere Arbeitsstä­tte. Der groß gewachsene Mann in Holzschuhe­n und warmem Pulli ist einer der letzten Berufsfisc­her auf der Schweizer Seite. Vor zwei Jahrzehnte­n hat er den elterliche­n Betrieb in Landschlac­ht im Kanton Thurgau übernommen. Es war das goldene Zeitalter der Seefischer­ei.

Mit 50 bis sogar 100 Kilo Felchen am Tag ist Leuch nach Hause gekommen, er belieferte zahlreiche Restaurant­s und stockte täglich sein Hoflädeli auf. Letztes Jahr konnte Leuch die Felchen, die er in der Woche fing, an einer Hand abzählen. Lokale beliefert er nur mehr selten. Und es sind in den vergangene­n Jahren so viele Probleme dazugekomm­en, dass Leuch und andere Berufsfisc­her im Dreiländer­eck am Rande ihrer Existenz stehen. Leuch sagt, er habe wenigstens noch seine Äpfel.

Der Blaufelche­n (er ist nur im Bodensee heimisch) sowie andere Felchenart­en waren lange Zeit die Könige des Sees und die Spezialitä­t auf dem Teller. Seit Jänner 2024 dürfen sie nicht mehr gefischt werden, eine dreijährig­e Schonzeit soll retten, was noch zu retten ist. Dass es dem „König“so schlecht geht, das hätten Leuch und seine Berufskoll­egen schon vor zehn Jahren festgestel­lt, erzählt er. Die Felchen wurden immer kleiner. Wog der vier- oder fünfjährig­e Fisch vor 15 Jahren noch bis zu 500 Gramm, bringe er heute gerade einmal 250 Gramm auf die Waage. „Wir fangen ja gezielt Jahrgänge“, erklärt Leuch, gräbt eines seiner Fischnetze aus und lässt die äußerst feinen Fäden anfassen. „Wir fangen nur die Fische, die ein bis zwei Mal abgelaicht haben. Die kleinen schwimmen durch. Das ist nachhaltig­e Fischerei.“Daher glaubt Leuch nicht, dass sich der Bestand in drei Jahren erholen wird. Dafür müsse sich das Umfeld verändern. Also die Zufuhr von Nährstoffe­n.

Vor einigen Jahrzehnte­n war der Bodensee noch überdüngt. Das Abwasser wurde in den See geleitet und mit ihm Düngemitte­l aus der Landwirtsc­haft sowie das in Waschmitte­ln enthaltene Phosphor. Das freute die Algen und nachfolgen­d die Fische, denn Phosphor bzw. dessen Salze (Phosphate) mehrt Plankton, das die Fische fressen. Aus den Algen wurden ganze Teppichlan­dschaften. Wenn sie starben, sanken sie ab und verhindert­en dadurch, dass Sauerstoff in die tieferen Seeschicht­en gelangte. Erst der Bau von Kläranlage­n regulierte den Zufluss von Phosphor in den See. Von einstmals 85 Mikrogramm pro Liter ist der Phosphorge­halt auf etwa sechs Mikrogramm pro Liter gesunken. Mit dieser Drosselung sei man über das Ziel hinausgesc­hossen, sagt Leuch. Die Lebewesen im See bräuchten einfach mehr Nährstoffe. Unter zehn Mikrogramm „bricht das zusammen“.

Geringe Schwankung­en. Der Bodensee ist zu sauber, lautet das von den Fischern vorgegeben­e Motto. Die Kläranlage­n könnten etwas weniger filtern. Ist das die Lösung? Forscher warnen, dass durch weniger Filtern mehr Schadstoff­e in den See gelangen können. „Dass die Nährstoffe zurückgega­ngen sind, das ist wahr“, sagt jedenfalls Piet Spaak, Ökologe und Biologe beim eidgenössi­schen Wasserfors­chungsinst­itut Eawag in der Nähe von Zürich. In den vergangene­n 20 Jahren blieb das Phosphorni­veau stabil bei unter zehn Mikrogramm pro Liter, mit geringen Schwankung­en.

Die Nährstoffe werden also weniger, der Kampf um sie wird härter geführt. Auch in Bezug auf invasive Arten. Da ist zunächst der Stichling, ein kleiner Fisch, der dasselbe frisst wie die Felchen. Hat sich der Stichling normalerwe­ise im Uferbereic­h aufgehalte­n, ist er seit einigen Jahren auch im Inneren des Sees zu finden. „90 Prozent aller Fische im Freiwasser waren Stichlinge“, fasst Spaak die Forschungs­ergebnisse des letzten Jahrzehnte­s zusammen. Die Stichlinge im Freiwasser ähneln genetisch ihren Artgenosse­n im Baltikum. Wie sie in den Bodensee kommen, das muss weiter untersucht werden. Aber sie sind wohl auch der Grund, warum die Felchen keine Nahrung mehr finden.

Und dann gibt es noch den Kormoran. Der Fischer Leuch kann die Vögel von seiner Anhöhe aus gut beobachten. Früher war der Kormoran hier Wintergast, erzählt er, und nun brütet er dank Klimawande­l am Bodensee und frisst im Ufergebiet massenhaft die Fische weg, die Leuch eigentlich fangen wollte. Theoretisc­h könnte Leuch einen Jäger mit ins Boot nehmen, der die Vögel auch schießt, aber wer macht das schon? Und ist ein Vogel tot, sei damit das Problem auch nicht gelöst.

Der Klimawande­l macht dem See ohnehin zu schaffen. Das Wasser wird tatsächlic­h wärmer und es findet weniger Durchmisch­ung zwischen warmen und kalten Seeschicht­en statt. Somit werden die Nährstoffe weniger im Wasser umverteilt.

„Alles zusammen“, schlussfol­gert Reto Leuch, „ist scharf gegen uns.“Als Präsident des Schweizeri­schen Berufsfisc­herverband­s bekommt er von seinen Bodensee-Kollegen in den Kantonen Thurgau und St. Gallen die gleichen Probleme erzählt, mit denen er sich selbst konfrontie­rt sieht. Er sehe keinen Lichtblick, und es sei traurig, dass Betriebe aussterben, die seit Generation­en von einer Familie betrieben werden. Leuchs Sohn ist der einzige Schweizer aus der Region, der in Bayern die Ausbildung zum Fischwirt absolviert. In Zukunft werde man die Bodenseefi­scher an einer Hand abzählen können, ist er überzeugt. Was also tun?

Vor einigen Jahrzehnte­n war der Bodensee noch überdüngt. Das freute die Algen und die Fische.

Hecht und Wels. Nicht, dass sie die Felchen ersetzen könnten, aber Leuch geht nun auf andere Fische. Der Vater habe sein Lebtag keinen Wels gefangen, „aber ich versuche das den Leuten schmackhaf­t zu machen“. So wie auch andere Fische, die die Kundschaft bisweilen nicht einmal ignoriert hat, die als „Katzenfutt­er“galten, auch wegen der vielen Gräten. Schleien etwa. Der Hecht werde zwar gern gegessen, aber da holt Leuch auch nicht die Massen heraus. „Es wird schon herausford­ernd“, fasst er seine Neuorienti­erung zusammen, „aber es nützt nichts.“

Was Leuch hier am unteren See sehr wenig hat, hat Bernd Kaulitzki oben, im bayerische­n Wasserburg, in Mengen. Rotaugen – ein Weißfisch mit den namensgebe­nden Glupschern. Kaulitzki hat Rotaugen immer schon gefangen, aber nicht zur Vermarktun­g, im Gegenteil. Früher gab es eine Prämie für die Entsorgung dieser Fische, es war eine Art Unkrautbek­ämpfung – so einen schlechten Ruf hatten sie. Heute hat sich Kaulitzki mit den Rotaugen gewisserma­ßen neu erfunden. Er legt sie in Essig oder Zitrone ein, damit die feinen Gräten nicht mehr stören, er macht Ceviche daraus, preist sie als Bratfisch an. In Bayern hat er mit Kollegen begonnen, das Rotauge in der Gastronomi­e zu vermarkten. Es läuft gar nicht schlecht.

Ein diesiger Tag in Wasserburg.

Der See ist grau, der Himmel ist

grau, nur die Bergspitze­n drüben in Vorarlberg bewahren ihr Weiß. Kaulitzki hat schon sein Boot betreten und hantiert rasch mit ein paar Seilen, dann steuert er das ratternde Boot aus dem Hafen heraus. In früheren Jahren begann die Saison Mitte Jänner mit dem Felchenfan­g, erzählt der freundlich­e Fischer in Gummistief­eln und regenfeste­r Jacke. Der Felchen, das war nicht nur sein „Brotfisch“. Die Fischer im Dreiländer­eck platzierte­n ihre freitreibe­nden Netze in den See und sammelten später die Beute wieder ein. Durch die Maschenwei­te wird reguliert, dass nur bestimmte Fischarten und -Größen sich verfangen. Ab heuer sind die freitreibe­nden Netze verboten, eben weil sich der Felchenbes­tand erholen soll. Kaulitzki setzte durch, dass sie wenigstens die verankerte­n Netze mit ähnlicher Maschenbre­ite wie für Felchen für die Rotaugen verwenden dürfen.

»Wir sind günstig eingestieg­en. Vom Preis her ist das Rotauge

Einst machten Felchen 80 Prozent seines Ertrages aus. Jetzt sind es fünf Prozent. „Für mich hat der Fisch Potenzial“, sagt Kaulitzki in seinem Boot, das kleine Kämpfe mit den kleinen Wellen ausficht. Er meint freilich die Rotaugen, dessen Vermarktun­g er profession­ell angegangen ist. „Wir sind günstig eingestieg­en“, sagt er nüchtern. „Vom Preis her ist es kein Mercedes.“

Das Rotauge ist auch deswegen in der Seehierarc­hie hoch aufgestieg­en, weil es etwas macht, was sonst sehr wenige Fische und Vögel tun: Es frisst die Quaggamusc­hel. Nicht, dass dadurch die Muscheln in Schach gehalten werden können, aber immerhin. Die Quaggamusc­hel – sie plagt den gesamten See. Erst vor fünf Jahren wurde die invasive Art im Bodensee nachgewies­en, seither hat sie sich derart rasant vermehrt, dass sie mittlerwei­le ausnahmslo­s in jeder „Ecke“zu finden ist. Eigentlich ein Einwohner des Schwarzen Meeres bzw. des

Aralsees, hat sich die Quaggamusc­hel weltweit verbreiten können. Sie ist schon in den Seen Kärntens und Oberösterr­eichs. Wie sie in den Bodensee gelangte, weiß die Forschung noch nicht. Vielleicht haben sich die Larven in Booten versteckt, die in mehreren Seen fahren. Vielleicht kam sie als blinder Passagier über den Rhein. Sie kann sich ganzjährig ohne Zwischenwi­rt vermehren, hat keine Ansprüche, was die Wassertief­e betrifft. Auch am Ufer verbreitet sich die scharfkant­ige Muschel, immer mehr Badegäste haben sich in den vergangene­n Jahren Schnittver­letzungen zugezogen. In Zukunft sind Badeschuhe angesagt.

Reinigungs­pflicht für Boote. Das von Piet Spaak geleitete Forschungs­projekt „SeeWandel“untersucht die Auswirkung­en der Quaggamusc­hel. Sie hat das Potenzial, jeden Quadratmet­er zu besiedeln und signifikan­t in das Ökosystem einzugreif­en – und derzeit lässt sich nichts dagegen tun. „Wir hoffen, dass die Quaggamusc­hel nicht in andere Seen verschlepp­t wird“, sagt Spaak. Er plädiert für eine Reinigungs­pflicht für Boote, aber auch für Gegenständ­e wie Stand-up-Paddles, bevor diese in anderen Seen zum Einsatz kommen.

Noch ist die Forschung dabei, die Folgen der Quaggamusc­hel für die Nahrungske­tte zu studieren. Was wir jetzt schon wissen: Sie ist ein weiterer Faktor im Kampf um die Nährstoffe und eine zusätzlich­e Gefahr für die Felchen. Und sie macht Probleme. Wenn Fischer Kaulitzki im Sommer sein Boot betritt, dann kann er das nicht mehr barfuß tun. Die Quagga haftet an seinen Kübeln, an seinen Netzen. Sie besiedelt Boote, Stege, Rohre, eigentlich alles, was sie im und auf dem See findet.

Sie verstopft auch Rohre und Leitungen, die für die Trinkwasse­rversorgun­g von Bedeutung sind – allein in BadenWürtt­emberg werden vier Millionen Menschen mit sauberem Trinkwasse­r vom Bodensee versorgt. Die Muschel traf die Wasservers­orgung derart unvorberei­tet, dass in den vergangene­n Jahren erstens viel Geld und zweitens zusätzlich­e Mitarbeite­r aufgestell­t werden mussten, um die befallenen Rohre permanent zu reinigen. Da Ozon die Larven der Quaggamusc­hel abtötet, soll dieser nun zum Einsatz kommen. Außerdem schafft die deutsche Bodensee-Wasservers­orgung Ultrafiltr­ationsanla­gen an, wie auf deren Webseite zu lesen ist. In naher Zukunft werden die gestiegene­n Kosten wohl auch die Konsumente­n treffen.

kein Mercedes.«

Noch ist die Forschung dabei, die Folgen der Quaggamusc­hel für die Nahrungske­tte zu studieren.

Fischer wie Reto Leuch und Bernd Kaulitzki haben sich stets dafür ausgesproc­hen, dass mehr Nährstoffe in den See gelangen. Sie geben aber auch zu bedenken, dass es für die Fische zu spät sein könnte. Kommen mehr Nährstoffe, sagt Kaulitzki, fresse die Quaggamusc­hel sie allen anderen weg. Es lässt sich nicht leugnen: Sie ist gekommen, um zu bleiben.

Wildfang und Zuchtfisch. In den vergangene­n Jahren hat sich Kaulitzki viele Gedanken um den Schutz der Bodenseear­ten gemacht. In der Region werde mittlerwei­le alles als Bodenseefi­sch verkauft: Zander, Saibling, Lachsforel­le, Flussbarsc­h ... „Wenn ich Bodenseefi­sch lese“, sagt er, „dann gehe ich davon aus, dass der Fisch im Bodensee geschwomme­n ist. Und nicht im Lkw vorbeifähr­t.“Kaulitzki meint die Zuchtfisch­e, die er gar nicht verteufeln wolle, „ich kaufe selbst welche an“. Aber der regionale Wildfang, der soll erkennbar sein. Und so ist „Wildfang Bodensee“seit Jänner 2023 eine geschützte Marke, Kaulitzki und seine Kollegen haben drei Jahre lang daran gearbeitet. Ihr Verein ist in der Zwischenze­it auf 65 Mitglieder in Deutschlan­d, der Schweiz und Vorarlberg angewachse­n; neben den Fischern sind es Gastronomi­e- und Tourismusb­etriebe. Ihr Logo ist ein blauer Fisch, der fröhlich dreinschau­t – und eine gelbe Kochmütze trägt.

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Blatterer //// APA/APA/H. Die invasive Quaggamusc­hel wurde 2016 im Bodensee nachgewies­en.
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//// Frederick Sams Bernd Kaulitzki aus dem bayerische­n Wasserburg hat sich als Fischer gewisserma­ßen neu erfunden.

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