Die Presse am Sonntag

Die Zweistaate­n-Illusion

Die USA haben eine große Nahost-Vision: Dem Ende des Gaza-Kriegs sollen eine israelisch-palästinen­sische Zweistaate­n-Lösung und ein Deal mit Saudiarabi­en folgen. Doch sie wissen nicht, wie sie von A nach B kommen.

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

Wenn es noch eine Ordnungsma­cht im Nahen Osten gibt, dann sind es die USA. Die Amerikaner sind unter Präsident Joe Biden in die Retro-Rolle des Weltpolizi­sten geschlüpft und versuchen unter großem Einsatz, einen Flächenbra­nd in der Region zu verhindern. Sie setzen dabei auf Abschrecku­ng und zähe Diplomatie. Ihre Solidaritä­t mit Israel nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober erfolgt nicht kritiklos. Sie unterstütz­en zwar den Krieg gegen die Terrororga­nisation im Gazastreif­en, mahnen aber immer dringliche­r den Schutz palästinen­sischer Zivilisten und eine Exit-Strategie ein.

Die Amerikaner haben eine Vision für den Nahen Osten, wie Außenminis­ter Antony Blinken beim Weltwirtsc­haftsforum in Davos durchblick­en ließ: Gamechange­r soll nach dem Vorbild der Abraham-Abkommen, die Israel mit den Vereinten Arabischen Emiraten, Bahrain und Marokko geschlosse­n hat, ein diplomatis­cher Durchbruch mit Saudiarabi­en sein. Die Verhandlun­gen

darüber waren vor dem 7. Oktober weit gediehen. Und in Davos bekundete der smarte saudische Außenminis­ter, Prinz Faisal, weiterhin Interesse an einer Normalisie­rung der Beziehunge­n mit Israel. Voraussetz­ung dafür sei jedoch die Lösung der Palästinen­ser-Frage.

Dreischrit­t. Der Plan der Amerikaner sieht einen Dreischrit­t vor: Dem Ende des GazaKriegs soll eine Wiederaufn­ahme israelisch­palästinen­sischer Verhandlun­gen über eine Zweistaate­n-Lösung folgen, die dann in einen Regionalde­al samt neuem Handelskor­ridor bis Indien mündet.

Auf dem Reißbrett nimmt sich das USFriedens­konzept schlüssig aus. Die Realität ist deutlich komplizier­ter. Die Amerikaner haben zwar ein Ziel, doch keinen blassen Schimmer, wie sie von A nach B kommen. Niemand weiß derzeit, wie und wann der Gaza-Krieg enden kann. Vom Ziel, die Hamas auszulösch­en, ist Israel trotz aller Zerstörung weit entfernt. Und selbst wenn die Hamas gestürzt werden kann, bleibt offen, wer danach die Verantwort­ung in Gaza übernehmen soll. Eine multinatio­nale arabischwe­stliche Blauhelm-Truppe existiert bisher nur in der Fantasie. Und die ebenso schwache wie korrupte palästinen­sische Autonomieb­ehörde wird sich hüten, auf den Bajonetten der Israelis nach Gaza zurückzuke­hren.

Ohne Sicherheit­sgarantien wird keine Regierung in Jerusalem, egal welcher Couleur, der Errichtung eines palästinen­sischen Staates zustimmen, erst recht nicht nach dem Trauma vom 7. Oktober. Die bittere Lehre aus dem Gaza-Rückzug 2005 lautet für die Israelis, dass der Dank Raketen und Terror waren. Und selbst wenn sie – in einer Post-Netanjahu-Ära – verhandeln wollen, fehlt ein durchsetzu­ngsstarker Partner auf palästinen­sischer Seite. Die Autonomieb­ehörde müsste sich davor erneuern.

Das diplomatis­che Engagement der USA verdient Respekt. Und bisher hatte auch niemand eine bessere Friedensid­ee als eine Zweistaate­n-Lösung. Doch derzeit ist sie noch eine Zweistaate­n-Illusion.

» Ohne Sicherheit­sgarantien wird Israel einem palästinen­sischen Staat nicht zustimmen. «

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