Wort der Woche
BEGRIFFE DER WISSENSCHAFT Dank akribischer Forschung und moderner Medien werden Werke vieler Komponistinnen, die samt und sonders verdrängt und vergessen waren, nun wieder erlebbar.
Im Konzertbetrieb gibt es eine große Fehlstelle: Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind Werke von Komponistinnen so gut wie nie zu hören – aufsehenerregende Gegenbeispiele wie etwa das Brucknerfest Linz im Vorjahr bestätigen die Regel. Dabei gab es zu allen Zeiten komponierende Frauen. Aber nur ein paar Handvoll Künstlerinnen wie etwa Hildegard von Bingen, Barbara Strozzi, Fanny Hensel (geb. Mendelssohn), Clara Schumann oder Ethel Smyth, heute u. a. auch Olga Neuwirth oder Sofia Gubaidulina etablierten sich in den Spielplänen der Veranstalter. Der Rest wurde ignoriert, behindert, ja gar beschimpft – kreative Frauen passen nicht in ein patriarchales Weltbild.
Welch ungeheure Schaffenskraft dadurch dem Vergessen anheimfiel, dokumentierte der deutsche Musiker und Publizist Arno Lücker in seinem wunderbaren Buch „250 Komponistinnen. Frauen schreiben Musikgeschichte“(648 S., Die Andere Bibliothek, 60,50 €). Basierend auf Kolumnen im „VAN Magazin“(van-magazin.de) spannte er einen weiten Bogen von musikschaffenden Nonnen im Mittelalter über Pianistinnen, Sängerinnen, die ab dem 18. Jahrhundert auch eigene Werke vortrugen, bis hin zu Komponistinnen, die den Schwung der Frauenbewegungen im 20. Jahrhundert nutzten.
Lücker konnte sein Werk freilich nicht im luftleeren Raum schaffen: Bereits in den 1970er-Jahren begann die Wissenschaft, Lebensläufe und Werke vergessener Frauen aus dem Dunkel der Archive zu holen. Ein höchstlöbliches Beispiel ist das österreichische Frauenlexikon „biografiA“, an dem in jahrzehntelanger Arbeit mehr als 150 Forscherinnen und Forscher rund 20.000 (!) Biografien zusammengetragen haben, darunter viele Künstlerinnen und Komponistinnen (www.biografia.at). In diesem Umfeld entstand zur Millenniumswende das schwergewichtige Lexikon „210 österreichische Komponistinnen“(Eva Marx und Gerlinde Haas, 576 S., Residenz-Verlag, antiquarisch ca. 50 €). Die Wissenschaft ist in diesem Bereich nimmermüde, so zeigt etwa die Nationalbibliothek noch bis Ende März die multimediale Onlineausstellung „Die übersehenen Komponistinnen“(www.onb.ac.at).
Auch Lücker nutzt moderne Technologie: Per QR-Code kommt man zu Soundfiles der Musik aller 250 dargestellten Komponistinnen. Man höre und staune! Für heutige Musikfreunde hat das jahrhundertelange Ignorieren und Verhindern nun einen positiven Nebeneffekt: Hier tut sich die Möglichkeit auf, völlig neue Musik kennenzulernen.