Glas aus Holz
Der alte nachwachsende Rohstoff soll als Verbundmaterial ganz neue Eigenschaften erhalten, zentral ist die der Transparenz.
Weil der Forstbotaniker und Baumphysiologe Siegfried Fink (Freiburg) mit freiem Auge einen Blick ins Innere seiner Forschungsobjekte werfen wollte, entwickelte er 1992 ein Verfahren, Holz durchsichtig zu machen (Zeitschrift für Holzforschung 46, S. 403). Die Publikation in dem entlegenen Journal fiel allenfalls Fachkollegen auf, aber über zehn Jahre später kam sie einem schwedischen Materialforscher vor Augen, Lars Berglund (Stockholm). Der war auf Polymere spezialisiert und suchte eine Alternative zu transparentem Plastik, sie sollte robuster sein und ohne Erdöl auskommen. 2016 hatte er sie gefunden, sie orientierte sich an der Rezeptur von Fink (Biomacromolecules 17, S. 1358), machte erdweit Schlagzeilen – „Was könnte man aus extrem starkem Holz bauen, durch das man sehen kann?“, fragte etwa das „Wall Street Journal“–, löste aber auch Kopfschütteln aus. Schließlich gab es ja ein transparentes Material, das über Jahrtausende entwickelt worden war, Kopfstützen aus ihm waren Tutanchamun ins Grab mitgegeben worden, später hatte man Fenster daraus gefertigt, erst für Kirchen, noch später, 1851, wurde zur Weltausstellung in London das erste ganze Bauwerk aus Glas (und Stahl) hochgezogen, der Crystal Palace, heute ragen Glaspaläste erdweit in den Himmel. Das ist nur eine der unzähligen Verwendungen des Materials, warum es also ersetzen? Glas hat auch Nachteile, in seinen Materialeigenschaften – es bricht leicht und isoliert schlecht – und in seiner Herstellung, sie ist energieaufwendig, viel CO2 wird freigesetzt.
Holz hingegen baut es bzw. den Kohlenstoff darin ein, das ist das Verlockende an der nachwachsenden Alternative. Aber die muss erst einmal durchsichtig gemacht werden: Holz besteht vor allem aus Zellulose, Hemizellulose und Lignin, Erstere bilden Fasern (und aus ihnen Leitbahnen), Letztere leimt sie zusammen und stützt sie. Aber an Lignin bzw. in ihm eingelagerten Farbstoffen liegt es auch, dass Holz opak ist, deshalb muss zum Transparentwerden das Lignin bzw. seine Farbe entfernt werden. Fink verwendete dazu Natriumhypochlorit (NaClO), Berglund konnte damit den Ligningehalt von Balsaholz von 25 auf drei Prozent drücken (ChemSusChem 10, S. 3445).
Es bleibt das milchweiße Skelett der Leitbahnen, aber das ist immer noch opak, weil die Zellwände Licht anders beugen, als es die Luft im Inneren tut. Um die Brechungsindizes in Übereinstimmung zu bringen, wird die Luft deshalb durch Kunstharze wie Epoxy ersetzt, die machen das Holz nicht nur durchsichtig, sie verleihen ihm auch eine höhere Festigkeit als natürlichem Holz, auch als Plexiglas, auch als Glas. „Das ist schon erstaunlich“, erklärt im Knowable Magazine (7. 12.) Liangbing Hu, Materialkundler der University of Maryland, der etwa zeitgleich mit Berglund und unabhängig von ihm in der gleichen Richtung zu experimentieren begann, aber einen anderen Ausgangspunkt hatte.
Ihm ging es darum, wie das Material Holz – das vor allem zum Bauen/Tischlern und als Rohstoff für Papier verwendet wird – technisch noch nutzbar gemacht werden kann, er hat die Palette zusammengetragen, sie reicht vom Wärmespeichern und Isolieren von Fassaden bis zur Nutzung der Leitbahnen und der quer dazu liegenden Poren zum Filtern bzw. Klären von Wasser (Annual Reviews of Materials Research 53: 195), all das ist in Labors gelungen, aber der Weg zur Anwendung ist weit.
Umweltfreundlich. Zentral ist deshalb auch für Hu das transparente Holz. Das hat er insofern verbessert, als er eine umweltschonendere Produktion entwickelt hat, die das Lignin nicht mit harter Chemie und hohem Energieaufwand entfernt, sondern nur seiner Farbe beraubt, mit Wasserstoffperoxid und UVStrahlung bzw. Sonnenlicht (Science Advances 7, 7342). Berglund seinerseits hat sich einen Ersatz für erdölbasierte Kunstharze einfallen lassen, er füllt das delignifizierte Holz mit einem Acrylat aus Limonene, einem Terpen, das etwa in Schalen von Zitronen und Orangen vorkommt, die bisher von der Saftindustrie ungenutzt weggeworfen werden (Advanced Science 8, 21100559).
Heraus kam ein Material, das noch 50 Mal stärker ist als zuvor produziertes und doch so viel Licht durchlässt wie es, nach einem Millimeter sind um die 90
Prozent da. Dann allerdings sinkt die Durchlässigkeit stark, dickeres Holzglas ist milchig, auch dünnes ist transparent nur bei geringem Abstand zum Objekt. Das legt eine Verwendung für Displays und Touchscreens nahe, Handyhersteller und die Autoindustrie zeigen Interesse. Mit bzw. für Fensterglas sieht es hingegen trüb aus, ersetzen kann es in dieser Funktion nur Glasbausteine.
Holz ist durch Lignin opak, deshalb muss das entfernt oder entfärbt werden.
Transparent wie Glas wird Holz nur in dünnen Schichten, aber die Anwendungen wären vielfältig.
Trotzdem sehen die Proponenten vielfältige Einsatzmöglichkeiten bei Gebäuden. Weil Holz gut isoliert, könnte man mit dem Material die Außenhäute dämmen oder sie gleich daraus errichten, das brächte zudem Licht nach innen, würde aber neugierige Blicke fernhalten, auch lichdurchlässige Dächer wären möglich, gar mit integrierten Solarzellen, für die das Holz ein guter Träger wäre, weil es im Inneren viel Licht streut und die Energieausbeute erhöht. Auch exotischere Ideen gibt es, Berglund hat in den Verbundstoff Quantenpunkte eingelagert, die durch das Anliegen unterschiedlicher Spannung in verschiedenen Farben illuminieren, das könnte auch „smart windows“ergeben, deren Farbe je nach Sonneneinstrahlung geändert wird (ChemSusChem 11, S. 654), Hu denkt an mechanisch verfestigtes „Superholz“, das als Baumaterial Stahl in den Schatten stellt.
Aber Derartiges schlägt auf die Umweltbilanz, und die ist generell bei transparentem Holz verbesserungsbedürftig, das hat Orodayt Dhar (Indian Institute of Technology Varasi) in einer Bilanz der Lebenszyklen – vom Rohmaterial bis zu Entsorgung – gezeigt: Da schneidet transparentes Holz zwar besser ab als Plastik, aber schlechter als Glas (Science of the Total Environment 846 157301).
Dabei ist bisher noch gar nicht klar, wann bzw. wie der Lebenszyklus von transparentem Holz sich neigt: Zu den Vorteilen, die die Proponenten in Anschlag bringen, gehört die biologische Abbaubarkeit von Holz. Die könnte allerdings vor der Zeit einsetzen, Licht setzt dem Material zu, Nässe und Schädlinge tun es auch. Langzeitstudien gibt es nicht, erst die könnten transparentes Holz transparent machen.