Die Echse aus der Pringles-Dose
Der illegale Handel mit Wildtieren ist ein milliardenschweres Geschäft. Kriminelle plündern Australiens einzigartige Fauna – und bedienen so die Begehrlichkeiten von Sammlern in aller Welt.
Neun Pakete nach Übersee waren in der Postzentrale in der australischen Metropole Sydney aufgefallen. Bei der routinemäßigen Röntgenkontrolle war am Bildschirm freilich nicht nur das zu sehen, was in den Kartons laut Zollpapieren hätte sein sollen: In einer exklusiv verpackten cremefarbenen Lederhandtasche befand sich ein heller Stoffbeutel, und in diesem Beutel war eine Echse versteckt. Ein weiteres Paket, das wie ein Geschenk für ein Kind aussehen sollte, war mit kleinen Plastikspielzeugtieren und Pringles-Dosen befüllt. In den Dosen waren anstatt Kartoffelchips aber kleine Blauzungenskinke (eine Echsenart). Bestimmungsort der Postsendungen: Hongkong.
In den neun Paketen fanden die australischen Zollbeamten insgesamt 59 Reptilien. Die Spur führte zu drei Männern und einer Frau in Sydney, die regelmäßig Post nach Hongkong geschickt hatten. Bei Razzien in ihren Wohnungen fand die Polizei in Plastikcontainern und in Stofftaschen insgesamt 272 Echsen, drei Schlangen und acht Eier – im Wert von umgerechnet mehr als 700.000 Euro. 25 Echsen waren tot, der Zustand vieler anderer Reptilien erbärmlich, sagte ein Polizeisprecher.
In Chipspackungen, Socken oder unter Spielzeug versteckt werden
Der illegale Handel mit Wildtieren aus aller Welt ist ein milliardenschweres Geschäft, in dem kriminelle Banden operieren. Die internationale Polizeiorganisation Interpol schätzt den Schwarzmarkt mit exotischen Arten und Wildtierprodukten wie etwa Elfenbein, Tigerkrallen, Rhinozeroshörner und seltene Pelze auf 20 Milliarden USDollar (21,8 Mrd. €). Für das Überleben vieler Arten stellt diese Form des Verbrechens eine riesige Bedrohung dar.
Jährlich führt Interpol die Operation Thunder gegen Wildtierkriminalität durch. Vorigen Oktober wurden dabei 500 Personen in 133 Ländern festgenommen. Neben Fleisch von Schuppentieren,
Körperteilen von Tigern und Löwen, 300 Kilogramm Elfenbein, Tausenden Schildkröteneiern und 15 lebenden Schuppentieren stellten die Ermittler auch etwa 7700 lebende Reptilien sicher.
In einschlägigen Onlinetierbörsen und geschlossenen Chatgruppen geben Sammler aus aller Welt ihre Wünsche auf. Es gibt kaum ein Tier, das nicht besorgt werden kann. Je seltener, desto begehrter und desto teurer. Kaum ist eine neue Spezies entdeckt oder wird der langen Liste der bedrohten Arten hinzugefügt, beginnt auch schon die Jagd auf diese Raritäten. In den jeweiligen Ländern zieht jemand los in die Natur, sammelt jene Tiere oder Pflanzen ein, die gerade gefragt sind. Danach werden sie verpackt – in Pringles-Dosen, Socken, Cornflakes-Verpackungen – und per Post in alle Welt verschickt.
Bisweilen versuchen Schmuggler, die Tiere durch den Zoll zu bringen: in der Unterwäsche versteckt, unter der Kleidung an die Haut geklebt. Sind die Tiere erst einmal im Ausland angekommen, haben die Kriminellen schon gewonnen. Für einen Blauzungenskink wie zuletzt in Australien können Preise von bis zu 5000 Euro erzielt werden.
Einzigartige Artenvielfalt. Australien gehört nicht nur zu den Ländern mit der größten Artenvielfalt weltweit: 93 Prozent der mindestens 1096 Reptilienarten dort sind endemisch. Australien hat auch seit mehr als 20 Jahren strenge Gesetze, die Flora und Fauna des Landes schützen. Kein Tier, keine Pflanze aus Australiens Wildnis darf für kommerzielle Zwecke exportiert werden. Das Washingtoner Artenschutzübereinkommen (kurz CITES) regelt grundsätzlich den internationalen Handel mit gefährdeten frei lebenden Tieren und Pflanzen. Je nach Status kann der Verkauf von CITES-gelisteten Arten auch unterbunden werden.
„In Australien gibt es keine legalen Wege, für den Exoten-Handel darf nicht ein Tier der Natur entnommen werden“, sagt Sandra Altherr von der in München ansässigen Organisation Pro Wildlife, die sich weltweit für den Schutz von Wildtieren einsetzt. „Doch das weckt Begehrlichkeiten.“Auch wenn Blauzungenskinke ein wenig langweilig aussehen würden (bis auf ihre Zunge), würden sie einen hohen Marktwert haben. Zudem sind Reptilien bei Schmugglern generell beliebt, sagt Altherr: „Reptilien sind zähe Burschen und halten viel aus. Sie machen auch keine Geräusche.“
Altherr beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Wildtierkriminalität in sämtlichen Facetten und hat etliche Berichte zu diesem Thema verfasst. Ein wichtiger Umschlagplatz für geschmuggelte Tiere ist Hongkong. Laut Studie wurden zwischen 2016 und 2021 vier Millionen lebende Tiere aus 84 Ländern in die chinesische Metropole importiert. „Aber“, sagt die Biologin Altherr, auch wenn Hongkong eine Drehscheibe sei, „die Europäer sind ordentlich dabei, wenn es um den legalen Handel aus illegalen Quellen geht.“Wie das geht? Ist es im Herkunftsland verboten, bestimmte Tiere einzusammeln, heißt das nämlich nicht, dass dieser Schutz international gilt. Ist der Exote erst einmal in einem EU-Land angekommen, darf er legal verkauft werden.
»Die Europäer sind ordentlich dabei,
Reptilien per Post verschickt. wenn es um legalen Handel aus illegalen Quellen geht.«
Die EU hat diese Gesetzeslücke zwar erkannt und die Erstellung eines Aktionsplanes beauftragt. Doch bis eine entsprechende Maßnahme umgesetzt ist, kann noch viel Zeit vergehen. Als Erfolgsmodell führen Experten immer wieder den sogenannten Lacey Act in den USA an, der schon seit mehr als 100 Jahren das Geschäft mit geplünderter Fauna und Flora regelt. Ist der Fang im Herkunftsland verboten, dann sind Einfuhr, Handel und Verkauf auch in den USA verboten.
Australien kann jedenfalls als Vorbild dienen. Im Herbst wurde innerhalb der Polizei eine Einsatztruppe gegen illegalen Wildtierhandel aufgestellt. Und beim Zoll kommen Miniröntgengeräte zum Einsatz. Mit diesen wird analysiert, ob ein Tier aus einer Zucht oder aus der freien Natur stammt. Derzeit wird an der Weiterentwicklung dieser Technik geforscht. Ziel: die Bestimmung der Region, wo das Tier gefangen worden ist. Um es dort wieder freizulassen.