Eine Autorin auf Winterfrische
Literaten schwärmten immer gern ins Salzkammergut. Erstmals hat Bad Ischl eine Stadtschreiberin: Poetry-Slam-Pionierin Mieze Medusa über »eine Region, die nicht immer viel von außen hören will«.
Fast alle waren sie irgendwann da, die großen österreichischen Literaten auf Sommerfrische im Salzkammergut. Sehr viele jedenfalls: Arthur Schnitzler und Johann Nestroy, Karl Kraus und Marie von Ebner-Eschenbach, Stefan Zweig, Adalbert Stifter, Franz Grillparzer, Felix Salten, Friedrich Torberg, Hugo von Hofmannsthal . . . Zwischen Gmunden und Altaussee, Bad Ischl und St. Wolfgang entflohen sie der Hitze der Stadt, genossen die Nähe zur mitunter kaiserlichen Gesellschaft und tankten Inspirationen in der Landschaft, die wettermäßig freilich ziemlich garstig sein konnte: „Seit vierzehn Tagen unablässig bist du so gehässig und regennässig“, schrieb Nikolaus Lenau 1838 über den Bad Ischler Himmel. Unter dem sich die schreibende Zunft dennoch gern versammelte, bisweilen für die Ewigkeit: Leo Perutz und Hilde Spiel etwa starben im Salzkammergut und ruhen seither auf dem Bad Ischler Friedhof.
Das Grab letzterer Schriftstellerin, in deren Sommerhaus am Wolfgangsee auch Heimito von Doderer und Thomas Bernhard gern zum literarischen Salon vorbeischauten, muss man aber erst einmal finden, weiß Doris Mitterbacher aka Mieze Medusa, die es letztlich geschafft hat : In den Grabstein eingraviert ist nämlich der Name, den Spiel nach ihrer zweiten Heirat trug, Hilde Maria Flesch-Brunningen. „Das ist auch eine Warnung an alle Autorinnen“, sagt Mitterbacher lachend. „Ich muss mir überlegen, ob ich Mieze Medusa auf meinen Grabstein schreiben lasse. Aber da habe ich hoffentlich noch Zeit.“
»Hier gibt es eine Szene, die man in den Neunzigern Underground genannt hätte.«
Einstweilen ist die Autorin, die unter ihrem Künstlernamen nicht nur einige Romane veröffentlicht hat, sondern vor allem als Pionierin der österreichischen Poetry-Slam-Szene bekannt wurde, die erste Stadtschreiberin Bad Ischls. Die Stadt, die sich gern als die „Metropole“der Salzkammergutgemeinden begreift, holt sich für ihren Auftritt als Europäische Kulturhauptstadt damit quasi eine literarische Begleitung. Seit Dezember und noch bis Ende April wird Mitterbacher die Stadt – und deren „Aufwachen“– beobachten und ihre Eindrücke literarisch verwerten.
Alpiner Eigensinn. Winter-Exil statt Sommerfrische? „Die Seen sind verführerisch schön auch im Winter, das nehme ich lächelnd zur Kenntnis“, sagt Mitterbacher. Wie nimmt sie die Gegend sonst wahr? „Die Stadt hat gern Besuch“, sagt sie. Und attestiert Bad Ischl sowohl eine Offenheit als auch eine „gewisse alpine Eigensinnigkeit“. Die geplanten Kulturveranstaltungen würden in den Kaffeehäusern ausgiebig und kontrovers diskutiert, wie sehr neue Impulse hier erwünscht seien, werde sich wohl noch zeigen. Jedenfalls sei das Salzkammergut, so beschreibt Mitterbacher ihre Eindrücke, „eine Region, die sich besonders gut selbst kennt, aber nicht immer sehr viel von außen hören will“.
Die Region habe auch eine starke „Selbsterzählung“. Was der Autorin nicht nur durch die vielen Gedenktafeln und Schilder aufgefallen sei, die an berühmte, hier weilende kulturelle Persönlichkeiten erinnern. „Es gibt nahe der Esplanade eine Art Lehrpfad für kognitives Training, zur Alzheimer-Prävention. Da habe ich beim Spazierengehen geschaut, ob mein Gehirn noch funktioniert. Die Fragen waren durchaus kulturell: Interessant, was hier als Allgemeinbildung vorausgesetzt wird!“
Spannend finde sie auch die vielen kleineren, feinen Kulturinitiativen der
Gegend. „Hier gibt es eine vernetzte Szene, die man in den 1990ern Underground genannt hätte.“Wobei die Veranstaltungen hier – im Vergleich zu Wien, wo Mieze Medusa seit Jahrzehnten wohnt – besonders generationsübergreifend seien, handle es sich nun um das Kino Ebensee oder die Kurdirektion Bad Ischl, eigentlich eine Buchhandlung, die aber auch zu Events lädt. Doris Mitterbacher war dort bei einem Punk-Konzert: „Pogo in einer Buchhandlung, das war sehr lustig.“
Sprachlich passiert die Annäherung langsamer. Wenngleich sie in Oberösterreich, in Gallneukirchen, aufgewachsen ist: „In meiner Jugend bin ich nicht mit dem Dialekt warm geworden. Ich empfand ihn oft als Werkzeug zur Ausgrenzung, das hat bei mir Sturheit hervorgerufen.“Das Salzkammergut begreife sich sprachlich als stabile Einheit, meint sie. Es sei wohl etwas dran, wenn Zugezogene berichten, dass man hier gut leben könne, solange man akzeptiert, dass man willkommen, nie aber „von hier“sein werde. Ein wenig Anpassung beobachte sie aber auch schon an sich selbst. Zwei Lieblingswörter hat sie im Kaffeehaus aufgeschnappt : „umeteifeln“und „Rotzpipn“.
Nicht immer reimen! Die schafften es auch in den ersten ihrer geplanten Salzkammergut-Texte – bei der Eröffnung der Kulturhauptstadt am Samstag trug sie ihn mit Rap- und Poesie-Partnerin Yasmo vor. In ihren fünften Roman, an dem sie gerade arbeitet und in dem es auch darum gehen werde, wie über Geld geredet wird, werde das Salzkammergut wohl nur in Spuren hineinfinden. Zum Stadtschreiber-Vertrag gehören daneben noch Schulbesuche, bei denen sie hofft, Jugendliche für Literatur begeistern zu können. Zumal die Lehrpläne und Leselisten da nicht gerade anregend seien. „Meine eigene Sprachbegeisterung hätte auch einen schlechten Deutschlehrer überlebt“, sagt Mitterbacher. So manchem heutigen Schüler könnte sie aber vielleicht eine Tür aufmachen.
»Ich muss mir überlegen, ob ich Mieze Medusa auf meinen Grabstein schreiben lasse.«
Was sie auch ganz abseits ihrer Profession für wichtig hält: „Wir sind eine extrem sprachdefinierte Gesellschaft, wir werden über unsere Sprachkompetenz wahrgenommen. Zu lernen, wie man Dinge formuliert und das vor Leuten rauslässt, ist auch hilfreich, wenn man beruflich nichts mit Schreiben machen möchte. Was mich antreibt: Ich wünsche mir, dass die Leute, wenn sie jemandem zum Geburtstag ein Gedicht schreiben möchten, wissen, dass es mehr Strukturmittel in der literarischen Sprache gibt als den Reim. Es gibt unendlich viele Stilmittel. Rhythmus und Wortwahl machen viel aus. Und das sage ich mit großem Respekt vor dem Reim: Ich bin ja durch Rap geprägt!“