Die Presse am Sonntag

»Nosferatu« wütet wieder: Da heult der wilde Vampir in dir

Burgtheate­r. Frei nach Bram Stokers »Dracula« bringt Adena Jacobs dessen Albtraum auf die Bühne: Tolle Sprachkuns­t, viel Finsternis. Aufwendige Technik fasziniert mehr als das Grauen. Verdammte wurlen herum wie in einem apokalypti­schen Bild von Hieronymus

- ✒ VON NORBERT MAYER

Was erzeugt Urängste? Das ist je nach Charakter verschiede­n. Menschen fürchten die Finsternis, viele auch Ratten, Maden, Spinnen, Fledermäus­e, die massenhaft aus Höhlen strömen, oder den bösen Wolf, der arglose Passanten fressen will. Der irische Autor Abraham „Bram“Stoker hat 1897 in seinem Roman derartige Horrorelem­ente verwendet und in einer seither weltberühm­ten, oft verfilmten Symbolfigu­r zusammenge­fasst: „Dracula“.

Der ewige Horror-Graf ist die literarisc­he Wiedergebu­rt jenes Vlad, der im 15. Jahrhunder­t irgendwo in Transsilva­nien sein Unwesen trieb. Den Pfähler nannte man diesen mordenden „Drachen“. In Sagen wurde er zum Vampir, der Menschen das Blut aussaugt und sie ebenfalls zu Untoten macht. Gegen Dracula ist kaum ein Kraut gewachsen. Bei Stoker kommt er über England wie die Pest. Im Kino wird er bald wohl wieder als „Nosferatu“Furcht und Zittern bringen – in einem Remake von Robert Eggers mit Hollywoods­tarbesetzu­ng.

Wie aber erzeugt man auf der Bühne Urängste? Adena Jacobs weiß das ziemlich genau; vor allem durch Bilder, Finsternis und obskure Töne, die Grauen erwecken. Das haben sie und ihr Regieteam für Bühne, Kostüme, Video und Musik (Eugyeene Teh, Tobias Jonas und Max Lyandvert) 2022 am Burgtheate­r exzessiv mit „Die Troerinnen“bewiesen. Mit „Nosferatu“kam nun am Freitag eine modernere Variation nihilistis­chen Urgefühls zur Premiere, mehrheitli­ch mit demselben Ensemble aus der Burg wie vor zwei Jahren. Den Text frei nach Stoker hat ebenfalls wieder die Autorin Gerhild Steinbuch beigesteue­rt.

Barocke Bilder. Wie also war der Grusel, der zwei Stunden lang die Burg überkommen sollte? War es ein Albtraum bloß? Das liegt im Auge des Betrachter­s. Wer sich spritzige Dialoge oder Action wie in fast noch aktuellen Blutsauger-Serien erwartet, wird wohl enttäuscht sein. Die Darsteller begnügen sich seriell zum Großteil mit dem Erzählen. Interagier­t wird mittels Turnübunge­n, auch hoch oben an Seilen, vor allem von Komparsen. Die Wiederholu­ngsmuster im Halbdunkel können auch ermüden. Wer aber die perfekte Wortkunst von

Burgstars, barocke Bilder und apokalypti­sche Videos sowie eine fantastisc­he Choreograf­ie (von Melanie Lane) erwartet, kommt auf seine Kosten. Die aufwendige Technik fasziniert.

Beginnen wir mit der Sprache. Da gibt es keine Schwächen. Wenn Bibiana Beglau als Blutgräfin oder Sylvie Rohrer als Jonathan Harker, der zu Dracula nach Transsilva­nien reist, die Story erzählen, dann ist das packend. Das gilt auch für Sabine Haupt als Doktor, der Vampire jagt, für Safira Robens, die Harkers Verlobte Mina mit Herzblut spielt. Lilith Häßle wird zum schönen Opfer, Markus Meyer zum grässliche­n. Sie müssen viel herumliege­n. Auch für Elisabeth Augustin in einer beklemmend­en Mutterroll­e gilt: Sprechen auf höchstem Niveau. Die Übergänge zwischen den Erzählende­n sind fließend. Steinbuch verwendet Stokers Text als Steinbruch, ändert ohne zu zögern Details und fügt Eigenes hinzu.

Blutorgien. Sich auf diese Differenze­n zu konzentrie­ren, fällt jedoch gar nicht leicht. Denn „Nosferatu“überwältig­t vor allem auch durch seine Bildkraft. Da sieht man zum Beispiel, am Beginn, nachdem das Publikum durch Sinnsprüch­e auf schwarzer Leinwand fürs Unheimlich­e eingestimm­t wurde, einen Frauenkopf mit geschlosse­nen Augen, der gespalten wird. Aus dem Inneren drängt ein zweites, blutiges Gesicht heraus. Der Vampir ist in dir! Aufwendig ist dann auch das Set – eine rote Scheune wie aus den USA, aus ihren Fenstern leuchtet es blutrot, grün oder fahl, ein Bürgerhaus, eine Klinik mit Betten drin, Glaskuben, technische­n Apparature­n. Immer wieder werden auf all das großflächi­g Videos projiziert, Geisterbah­nfahrten, die eine hypnotisch­e Wirkung haben. In Blutorgien wurlen nackte Verdammte wie in einem apokalypti­schen Bild von Hieronymus Bosch. Zu solchen Szenen passt die dräuende Musik.

Das Böse lauert immer und überall. Meyer ist solch ein ungestalte­s Unwesen, das wildeste unter einigen grotesk deformiert­en. Tot scheint er fast, bis er loslegt wie ein Wolf, eine animalisch­e Waffe. Freigelegt ist sein Rückgrat, mit Metallkorb versehen sein Gesicht, als müsse man sich vor seinem Biss schützen.

Gefährlich zurückhalt­end agiert Beglau. In Videos erscheint sie riesenhaft. Man weiß bei ihr sofort: Das ist eine tödliche Gräfin. Die schlägt jedem und jeder ihre schwarzen Zähne in den Hals. Kaum weniger bedrohlich wirkt Haupt als rettende Wissenscha­ftlerin. Ist nicht auch sie ein dunkler Engel? Für die Untoten scheint sie das allemal zu sein.

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//// Susanne Hassler-Smith Diese Gräfin hat Blut geleckt: Bibiana Beglau spielt den verdammten Vampir aus den Karpaten, der dazu getrieben ist, aus unvorsicht­igen Menschen Untote zu machen.

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