Was Österreichs Parteien in Brüssel wollen
Die Kandidaten für die EU-Wahl am 9. Juni sind fix: Vier Männer und eine Frau werden von den Parlamentsparteien ins Rennen geschickt. Inhaltlich aber ist noch vieles unklar. Konkrete Antworten auf sicherheitspolitische Fragen haben bislang nur die Neos.
Am 9. Juni steht die vermutlich bislang folgenschwerste EUWahl der Geschichte an. Sie findet im Schatten kriegerischer Auseinandersetzungen in der unmittelbaren Nachbarschaft statt – und muss sich plötzlich mit völlig neuen Fragen zur gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik beschäftigen. Zudem könnte sie zum ersten Mal eine Mehrheit der EU-kritischen Fraktionen im EU-Parlament hervorbringen.
Die mit dem Green Deal eingeleitete energiepolitische Transformation bleibt als enorme Herausforderung unterdessen bestehen, die neben der ungelösten Frage der Asylpolitik gestemmt werden muss. In Österreich schicken alle Parlamentsfraktionen Spitzenkandidaten für die EU-Wahl ins Rennen. Wie viel von diesen großen, geopolitischen Fragen werden auch Antworten in den Wahlprogrammen der österreichischen Parteien finden, die nun ihre Kandidaten in den EU-Wahlkampf schicken?
Türkiser
Für die ÖVP könnte die EU-Wahl, sollte sie vor der Nationalratswahl stattfinden, eine recht düstere Angelegenheit werden. Nicht zufällig sind die Gerüchte in der ÖVP, sie mit der EU-Wahl am 9. Juni stattfinden zu lassen. Denn der Kanzlerpartei stehen herbe Verluste ins Haus. 2019 erreichte man mit Spitzenkandidat Othmar Karas den ersten Platz (34,6 Prozent) – und lag damit fast elf Prozentpunkte vor der SPÖ. Im Dezember lag man bei etwa 23 Prozent. Karas hat sich zudem von seiner Partei im Streit abgewandt. Er könnte für 9. Juni mit einer eigenen Liste antreten und die ÖVP weitere Stimmen kosten.
Als Spitzenkandidat wurde nun Reinhold Lopatka auserkoren. Im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“zeigt sich, dass sich der außenpolitische Sprecher im ÖVP-Klub zu seinen Mitstreitern schon recht detailreich Gedanken um das Wahlprogramm gemacht hat, das aber wie bei den anderen gerade erst ausgearbeitet wird. Lopatka fokussiert
Wirtschaftsfokus.
sich auf Forderungen rund um Wirtschaftsstandort, Migration und das EU-Budget. Er spricht sich für eine Rückbesinnung auf die EU als starken Industrie- und Wirtschaftsstandort aus, für den er einen „Kampf gegen Überregulierung“führen wolle. Ebenso führt Lopatka die „nicht gelöste“Migrationsfrage an. Er plädiert dafür, alle Verfahren an der Außengrenze oder in Drittstaaten durchzuführen. Erst dann könne über eine „faire Verteilung“von Flüchtlingen gesprochen werden. Der dafür nötige Grenzschutz, für den bereits die Mittel aufgestockt wurden, werde aber „nie lückenlos gelingen“. Umgekehrt will der ÖVP-Spitzenkandidat die „geordnete Migration in unserem Interesse“forcieren, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Lopatka will „glaubwürdig für die europäische Leitkultur“eintreten und allen, „die zu uns kommen, abverlangen, sie zu akzeptieren. Sich auf ein Religionsbekenntnis zu berufen darf nicht die österreichische Verfassung und unsere Gesetze aushebeln“, sagt er. Als ehemaliger ÖVP-Finanzstaatssekretär mahnt er auch zu mehr Budgetdisziplin. „Ein sparsames Haushalten ist mein klarer Kompass“.
Grüner Aktivismus. Die Partei, die 2019 ihr Comeback mit Spitzenkandidat Werner Kogler gefeiert hat, lässt inhaltlich noch nicht besonders tief blicken. Zwar präsentierte man diese Woche nach langem Zögern nun doch die Klimaaktivistin Lena Schiling als Spitzenkandidatin. Programmatisch bleibt es bislang aber recht allgemein: Auf Nachfrage spricht man von einer „richtungsentscheidenden Wahl“, die man nicht den Rechtspopulisten überlassen wolle. Man kämpfe für ein „geeintes Europa“, für das Klima, die Umwelt und den Green Deal. Verwiesen wird explizit auch auf das Tierwohl-Engagement des EU-Abgeordneten Thomas Waitz. Schilling selbst sprach sich wie Justizministerin Alma Zadić in der „Presse“zuletzt für ein Lieferkettengesetz und das Nature Restauration Law aus. Für Ersteres warb nun auch Justizministerin Zadić am Rand eines Treffens am Freitag in Brüssel.
Details sollen aber noch erarbeitet werden, heißt es auf Nachfrage in der Bundespartei.
Steuergerechtigkeit in Rot.
Inhaltlich hat der Parteitag im November mit einem Leitantrag erste Weichen gestellt, das Wahlprogramm befindet sich aber erst in Ausarbeitung, wie Spitzenkandidat Andreas Schieder auf Nachfrage erklärt. Darin einfließen werden auch Inputs, die die Partei aktuell auf Länderebene bei „Debattencamps“sammelt. Als größte Herausforderung nennt Schieder den drohenden „Rechtsruck, der zur realen Gefahr für Europa wird“. Davon abgesehen will er sich, der 2019 mit 23,9 Prozent auf Platz zwei gelandet ist, der großen Unzufriedenheit der Bevölkerung widmen. Im Unterschied zur FPÖ aber nicht damit, die EU als solche infrage zu stellen. Gelingen soll das mit einem „Gerechtigkeitsschub“durch mehr Steuergerechtigkeit. Dafür will Schieder die digitalen Großkonzerne an die Zügel nehmen. Die bevorstehende Klimatransformation dürfe außerdem „nicht auf dem Rücken“der unteren Einkommen stattfinden. Neben einer Stärkung von Frauen und dem Ausbau der Kinderbetreuung spricht sich Schieder für mehr Investitionen in Infrastruktur und Forschung aus – anders als das die ÖVP praktiziere, wie er betont: „Nehammer ist ein Standorthindernis.“
Blaue Attacke. Als einzige klar EU-kritische Partei geht die FPÖ ins Rennen – erneut mit Spitzenkandidat Harald Vilimsky. Die 17,2 Prozent, die er 2019 erreicht hat, könnten sich dieses Mal fast verdoppeln: In Umfragen winken bei der ersten bundesweiten Wahl seit Corona und dem Ukraine-Krieg der erste Platz und rund 30 Prozent. Das weiß Vilimsky natürlich: „Wir wollen diese Wahl zu einer Volksabstimmung der Österreicher machen“, heißt es aus seinem Büro auf Nachfrage. Konkret will die FPÖ eine EU-Reform, die Kompetenzen von Brüssel zurück an die Mitgliedstaaten holt. Das EU-Budget solle verkleinert, Kommission und Parlament personell halbiert, die gemeinsame Schuldenpolitik beendet und das Einstimmigkeitsprinzip beibehalten werden. Vilimsky spricht sich angesichts der hohen Asylanträge für eine „Festung Europa“aus, die sich an der „No Way“-Politik Australiens orientiert. Ebenso will die FPÖ den Green Deal beenden. Und nicht nur den: Auch die Sanktionen gegen Russland sollen beendet werden, dafür ein Waffenstillstand und Friedensverhandlungen in der Ukraine stattfinden.
Pinker Idealismus. Am Samstag wurde Helmut Brandstätter auf der Mitgliederversammlung in Rankweil offiziell zum Spitzenkandidaten gewählt. Er soll das Ergebnis 2019 (8,4 Prozent) verteidigen. Das Programm der betont proeuropäischen Partei wurde bei einer Mitgliederversammlung am Samstag fixiert. Auf Nachfrage wird betont, dass es wie in der Vergangenheit im Zeichen der zentralen Forderung nach „Vereinigte Staaten von Europa“stehen soll.
In neun Kapiteln werden von den Pinken, die im EU-Parlament in der Fraktion der Liberalen sitzen, Visionen für eine „souveräne, entscheidungs-, handlungs- und zukunftsfähigen Union“gezeichnet. Konkrete Forderungen: ein stärkeres EU-Parlament mit nur einem Standort in Brüssel. Die EU-Kommission soll wiederum verkleinert werden. Für diese soll der Präsident künftig direkt gewählt werden. Für die gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik fordern die Neos als einzige österreichische Partei eine EU-Armee. Durch Bürokratieabbau und gezielte Investitionen soll die „Energie-Union“effizienter und der Industriestandort gestärkt werden. In der Migrationspolitik bekennt man sich „zu einem gemeinsamen Grenzschutz und einer raschen Umsetzung eines europäischen Asylsystems mit konsequenten Rückführungen“. Gleichzeitig aber betont man die nötige gemeinsamen Einwanderungsstrategie „für dringend benötigte Arbeitskräfte“. Dafür fordern die Neos eine Reform der EU-Blue-Card.