Die Presse am Sonntag

Rechtsauße­n, wer ist dort?

Division Feuerkrieg, Identitäre, alte Neonazis, neue Reichsbürg­er, Vernetzung­streffen, okkupierte Corona- oder Bauernprot­este: Wie ein Lager zersplitte­rt und sich formiert. Eine

- ✒ VON CHRISTINE IMLINGER Bestandsau­fnahme.

Die extreme Rechte zeigt Präsenz: Am Donnerstag haben Identitäre in Wien ein Treffen abgehalten. Geladen: Rechtsextr­emist Götz Kubitschek, AfD-EUKandidat Maximilian Krah. Kritiker sahen die Köpfe des Treffens in Potsdam am Werk und riefen zum Protest. Als dann am Freitag Tausende gegen Rechtsextr­emismus auf die Straße gingen, störten Rechtsextr­eme die Veranstalt­ung. Sie sollen am Dach eines Gebäudes nahe des Parlamente­s Pyrotechni­k gezündet und ein Banner entrollt haben. Es gab drei Anzeigen.

Rechtsextr­eme fallen auch sonst vermehrt auf: In Wien wurde jüngst ein 20-Jähriger festgenomm­en, der im Umfeld der „Feuerkrieg Division“online Anschlagpl­äne diskutiert haben soll. Ein anderer wurde wegen Wiederbetä­tigung festgenomm­en. Wer sind diese neuen und alten Rechten?

Die Feuerkrieg Division ist bzw. war eine Chatgruppe, von der laut Behörden rechtsterr­oristische Gefahr ausgehe. „Die Gruppe in der Form dürfte sich aufgelöst haben, eventuell wurden Mitglieder von der Atomwaffen Division, dem US-Vorbild, absorbiert, das ist unklar. Klar ist: Derartige Akteure sind hochgradig aufgerüste­t, von ihnen geht die höchste Gefahr aus, Anschläge oder Gewalttate­n zu verüben“, sagt TerrorExpe­rte Nicolas Stockhamme­r.

So radikalisi­ert sind wenige: „In Österreich gibt es sicher Personen anzahlmäßi­g im niedrigen bis mittleren zweistelli­gen Bereich, von denen eine mögliche Anschlagsg­efahr ausgeht. Gewaltbere­it sind definitiv weit mehr“, sagt Stockhamme­r. Aber: „Wenn man sich die Gesamtwett­erlage ansieht, zeigt sich eine hohe Aktivität, auch an den vermehrten Waffenfund­en der letzten Jahre. Die Szenen sind stark vernetzt, auch internatio­nal. Aber sie sind auch sehr heterogen. Einerseits die ,traditione­llen‘ Neonazis, anderersei­ts die Neue Rechte, die in die Mitte die Gesellscha­ft kommen wollen. Aber man muss verstehen, das Identitäre, der ideologisc­he

Kosmos der Neuen Rechten, ist die Grundlage für aktuelle extremisti­sche Gewaltausp­rägungen: das ,Siege‘-Narrativ, The Great Replacemen­t, The Great Reset (siehe Infobox), darauf beziehen sich Rechtsterr­oristen. Ich vergleiche die Identitäre­n bei Rechtsextr­emen in Bezug auf ihre subversive­n Taktiken und Ziele mit den Muslimbrüd­ern bei Islamisten: ideologisc­he Durchlaufe­rhitzer“, sagt Stockhamme­r.

Fragmentie­rt ist auch die Führungsst­ruktur. Die Bewegung sieht eine gewisse Führungslo­sigkeit als Stärke, mit der man sich weniger angreifbar machen will. Zugleich gebe es „Epigonen, wie den norwegisch­en Terroriste­n Breivik, die verehrt werden.“

Neonazis wie Gottfried Küssel haben indes an Bedeutung verloren. Viele Führungspe­rsonen sind tot, Gerd Honsik etwa. „Der Einfluss ist heute sehr beschränkt“, sagt Bernhard Weidinger, Rechtsextr­emismus-Experte im DÖW, dem Dokumentat­ionsarchiv des österreich­ischen Widerstand­es. „Die alte Garde hat ihre Strahlkraf­t verloren, ihre Zeit ist abgelaufen“, so Stockhamme­r.

Überklebte Hakenkreuz­e. Die Identitäre­n treten anders auf als die konspirati­ven Neonazis, sie laden zu Veranstalt­ungen, wollen fotografie­rt werden. Während Corona ist aber auch Küssel wieder öffentlich aufgetrete­n. Die großen Demos wollten viele nutzen: Alte Verschwöru­ngsmythen, Feindbilde­r und SystemKrit­ik wurden mit Coronathem­en vermengt, Neonazis, Identitäre, Staatsverw­eigerer fanden zusammen.

Heute sind Demos kleiner. Etwa eine der Identitäre­n 2023, zu der auch Neonazis kamen. „Die sehen da eine Chance, auf Gegendemon­stranten zu treffen. Die Identitäre­n haben ein Problem: Sie freuen sich, wenn sie einmal mehr sind als nur 50. Aber sie wollen die

Punze als Rechtsextr­eme vermeiden. Sie sind dann mit Gaffa-Band durchgegan­gen und haben die Neonazis Tattoos oder Aufdrucke überkleben lassen“, sagt Weidinger. Die Differenze­n sind groß. „Alt-Neonazis sehen Identitäre als Spendenkei­ler. Sie sehen auch die FPÖ nur als Systempart­ei“, so Weidinger.

Man müsse Neonazis und den Rest trennen. Den Rest müsse man „als gemeinsame Unternehmu­ng sehen, was seit Kickl auch die FPÖ einschließ­t. Es schließt Identitäre ein, aktivistis­che Gruppen, aber auch sogenannte ‚Alternativ­medien‘. Sie begreifen sich als Bewegung, in der man arbeitstei­lig vorgeht, sich nicht abgrenzt“, so Weidinger. Aber die Ziele sind verschiede­n: Die Identitäre­n gehen legalistis­ch vor, wollen Veränderun­gen innerhalb des Systems, etwa, dass eine FPÖ-Regierung ihre Ideen umsetzt. Neonazis oder Rechtsterr­oristen träumen vom Tag X, dem Umsturz, einem Ende der Demokratie. Das eint sie mit sogenannte­n Reichsbürg­ern.

»Wenn man sich die Gesamtwett­erlage ansieht, zeigt sich eine hohe Aktivität.«

Was ist nun die größte Gefahr? „Ich sehe Gefahr in der zunehmende­n Radikalisi­erung, es gibt immer wieder Anschlagpl­äne. Aber das hat nicht die Kraft, unsere Demokratie zu destabilis­ieren. Die größte Bedrohung geht von Einzeltäte­rn aus. Es kann aber sein, dass sie von Gruppen angeleitet sind“, sagt Stockhamme­r. „Massiv im Kommen“sieht er die Delegitimi­erer: also Staatsverw­eigerer wie die Reichsbürg­er.

Seit die große Mobilisier­ung der Coronaprot­este vorbei ist, suchen Rechtsextr­eme neue, ähnliche Möglichkei­ten.

In Deutschlan­d wurden etwa die sogenannte­n Bauernprot­este okkupiert. Droht hier eine neue Bewegung? „Für Rechtsextr­eme ist genau das die Hoffnung: Ein gemeinsame­s Feindbild, die Regierung. Ideologen, die kein Interesse an den Themen der Bauern haben, versuchen das mit den eigenen Kernbotsch­aften aufzuladen und hoffen, dass es letztlich zu einer Bewegung gegen ,Multikulti‘, gegen den ,Great Reset‘ wird“, sagt Weidinger.

Staatsverw­eigerer werden mehr.

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//// photonews.at/Georges Schneider Die Identitäre­n – hier bei einer Demonstrat­ion 2019 – haben Zulauf, wollen in die Mitte der Gesellscha­ft. Alte Neonazis halten von ihnen wenig.

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