»Auf dem Eis fühle ich mich frei«
Sie gleiten elegant über gefrorene Oberflächen, vorwärts, rückwärts, springend oder in der Drehung. Auf dem glatten Parkett machen Eiskunstläufer eine gute Figur. Dafür fangen sie jung zu üben an.
Sobald die Schulglocke das Unterrichtsende einläutet, zieht es Sara Subasic förmlich aufs Eis. Dort fühlt sie sich losgelöst von jugendlicher Schwermut. Die Zwölfjährige verbringt fast jeden Tag, oft mehrere Stunden lang, auf der gefrorenen Fläche. Nur am Sonntag muss sie pausieren. So schreibt es die Trainerin vor. Sara ist getrieben davon, neue Kunststücke zu erlernen und für Wettkämpfe zu trainieren. Sie möchte Europameisterin im Eiskunstlauf werden.
Angefangen zu trainieren hat die gebürtige Serbin bereits mit vier Jahren. Sie stieg sinnbildlich aus den Kinderschuhen auf die Kufe. Mit dem Umzug nach Wien suchte sie auf Anweisung ihrer Eltern eine Freizeitbeschäftigung. Ihre Wahl fiel auf das Eis. „Ich hatte Schwierigkeiten, mich zwischen Ballett und Eislaufen zu entscheiden. Im Eiskunstlauf ist beides vereint.“Schließlich muss sie auch dafür lernen, Wurfsprünge, Pirouetten und Ausfallschritte vorzuführen. Allerdings ohne stabilen Untergrund. Derzeit in der Intermediate-Gruppe eingegliedert, fährt sie regelmäßig zu Bewerben, um vor Publikum zu performen. „Bei unseren Aufführungen bin ich nervös. Aber während dem Tanz blende ich alles um mich herum aus“, sagt sie.
Dieser Zustand ist auf einen Hormonrausch zurückzuführen, erklärt Michael Koller. Der Sportwissenschaftler ist in der Wiener Sportordination tätig. „Hier wirken Dopamin, Adrenalin und Serotonin. Das ist der Idealzustand für eine Leistungserbringung. Bis zum Hochleistungsniveau.“
Für die saubere Ausführung sei vor allem der Anteil weißer Muskelfasern entscheidend, erklärt der Experte. „Sie aktivieren die Schnellkraft. So gelingt es, in möglichst kurzer Zeit eine wesentlich höhere Explosivkraft – als untrainierte Eisläufer – auf den Boden zu bringen.“Denn: Kontrahiert der Muskel, wird gewöhnlicherweise nur ein Teil der Muskulatur angesprochen. Eiskunstläuferinnen greifen indes auf einen höheren Anteil an Muskelfasern zurück, der gleichzeitig und koordiniert aktiv ist. Um Kraft zu entfalten und einen hohen Sprung zu ermöglichen.
Zur Vorselektion sei es in Osteuropa früher sogar üblich gewesen, Spitzensportlern Muskelmasse zu entnehmen und ihren Anteil auf weiße und rote Fasern zu überprüfen. Jene mit vielen roten sollten zum Ausdauersport, Biathlon oder Langstreckenlauf. Die mehrheitlich weißen nutzen die Schnellkraft für Ballett, Leichtathletik oder: Eiskunstlauf. Heute ist diese Vorgehensweise verboten. Doch die Genetik spielt weiterhin eine große Rolle.
Wie beim Doppel-Toeloop, auf den Sara hintrainiert. Dabei springt sie rückwärts von der Außenkante des rechten Fußes ab, dreht sich in der Luft mehrfach um sich herum und landet rückwärts auf der Außenkante des rechten Fußes. Gesprungen wird einfach, doppelt, dreifach und sogar vierfach.
„Wesentlich dabei sind die schnellzuckenden Muskelfasern“, so Koller. Sie nehmen mit dem steigenden Alter ab. Das Leistungshoch erreichen Eiskunstläufer im Pubertätsalter bis zum 20. Lebensjahr. Deshalb werden bereits im Kindesalter Sprünge geübt. „Ich glaube, dass der Kunsteislauf eine der härtesten Sportarten ist. Weil es die ganz Jungen trifft. Nicht die Kür selbst, die dauert kurz und alle sind bestens vorbereitet. Viel eher ist die Auswirkung auf die persönliche Entwicklung im Auge zu behalten.“
Mit nur zwei Jahren das erste Mal auf dem Eis gestanden ist der Vizepräsident des Wiener Eislauf-Vereins, Christoff Beck. Er belegte mit seiner Schwester 1988 bei den Olympischen Spielen in Kanada den fünften Platz im Eistanz. „Die Gabe, das Eis wie eine Grundfläche anzusehen und die Scheu vor dem
Fallen abzulegen“, sei die wahre Kunst des Sports, ist er überzeugt. Alles andere könne erlernt werden.
Hohe Popularität. Mit der Faszination für die alte, kalte Tradition in Österreich sind die beiden nicht allein. Über 650.000 Gäste zählte der Wiener Eistraum auf dem Rathausplatz vergangenes Jahr, wie Noah Schönhart bestätigt. Auch der Wiener Eislaufverein feierte erst vergangenes Jahr sein 155. Jubiläum. So erfreuen sich die Eislaufplätze weiterhin an Beliebtheit. „Speziell in der kalten Jahreszeit und den Wintermonaten Jänner und Februar stellt Eislaufen eine der wenigen niederschwelligen und attraktiven Sportarten dar, die unter freiem Himmel ausgeübt werden können“, so der Pressesprecher.
Nicht nur die frische Luft, sondern auch die musikalische Begleitung macht für viele den Reiz auf dem Platz aus. Saras Kür soll diese Saison von Adeles Ballade „Rolling in the Deep“dirigiert werden. Sie assoziiere damit Stärke. „Immer wieder aufzustehen. Wie im Kunstlauf. Ich habe mich ja auch schon verletzt“, sagt sie und deutet auf eine Narbe an ihrem Kinn. „Aber ich werde nie aufhören zu laufen. Es ist meine Leidenschaft, auf dem Eis fühle ich mich wirklich frei.“