Als Wolle von Hunden kam
In Nordamerika wurde einst eine Rasse mit spinnbaren Haaren gezüchtet. Die Kolonisatoren verdrängten sie, aber Indigene und Genetiker sind ihr auf der Spur.
Sie wurden bis fast auf die Haut geschoren wie Schafe in England; und ihre Felle waren so kompakt, dass man große Stücke an einer Ecke anheben konnte, ohne dass sie sich vom Rest trennten. Ihr feines langes Haar konnte zu Garn gesponnen werden.“So beschrieb der britische Kapitän George Vancouver, was ihm 1792 bei Entdeckungsfahrten an der Küste Kanadas – wo heute Regionen und Orte nach ihm benannt sind – vor Augen gekommen war: Hunde.
Deren Ahnen waren vor etwa 15.000 Jahren mit den Besiedlern Nordamerikas aus Sibirien über die durch die Eiszeit trocken gefallene Beringstraße gekommen, sie waren die einzigen Nutztiere, die den Weg dorthin fanden, alle anderen – Pferde und Schafe etwa – wurden in Eurasien erst domestiziert, als die Beringstraße wieder unpassierbar war. Deshalb übernahmen die Hunde in Amerika neben ihrer alten Rolle als Gehilfen der Jagd und Wächter auch andere, sie wurden etwa als Zug- und Lasttiere eingesetzt. Eine Art wurde so herangezüchtet, dass sie Wolle lieferte. Und den Kristallisationspunkt einer ganzen Kultur gleich mit, der der Indigenen im pazifischen Nordwesten, etwa der der Salish an der Ostküste der Insel Vancouver.
Bei manchen ist die Erinnerung noch wach – „Mein Großvater erzählte mir, dass jeder Ort Wollhunde hatte, und dass sie wie Gold waren“, berichtet die Weberin Debra quasen Sparrow –, obwohl die Hunde Ende des 19. Jahrhunderts verschwunden sind. Bis dahin wurden aus ihren Haaren – gemischt mit denen von Bergziegen, Pflanzenfasern und Daunen von Wasservögeln – Decken gewoben, sie dienten als Kleidung, auch zu kultischen Zwecken, und zum Einhüllen von Leichen. Aber dann brachte die Hudson Bay Company maschinell in England aus Schafswolle hergestellte Ware, sie war billiger und verdrängte die herkömmliche, und mit ihr die Hunde. So sieht es die Geschichtsschreibung, aber es ist weniger als die Hälfte der Wahrheit, es ging nicht nur um Ökonomie: „Man sagte ihr, dass sie ihre kulturellen Dinge nicht mehr tun konnten. Da war die Polizei, der Indianeragent und die Priester. Die Hunde waren nicht erlaubt. Und so sah die Familie sie nie mehr.“
Das erfuhr die heute 91-jährige Stammesälteste Xweliqwiya Rena Point Bolton von ihrer Großmutter, die am eigenen Leib erlebte, wie die Kolonisatoren und Missionare die Kultur ausradierten: In der waren die Gewebe Insignien des Reichtums und der Macht und zentral als Gaben beim Potlatsch, dem rituellen Verschenken, mit dem Ränge und Beziehungen stabilisiert wurden. Die Sorge für die Hunde lag in den Händen von Frauen, die sie auf Inseln hielten – damit sie sich nicht mit anderen Hunden vermischten – und die sie täglich versorgten, nicht mit irgendwelchen Resten, sondern mit hochwertigen Fischen und Robben, von denen die Menschen sich selbst ernährten.
»Mein Großvater erzählte mir, dass jeder Ort Wollhunde hatte und dass sie wie Gold waren.«
Die Gene zeigen, dass diese Hunde vor bis zu 4800 Jahren gezüchtet worden sind.
Lachse als Futter. So wollte es die von Zeitgenossen festgehaltene und in die orale Überlieferung eingegangene Geschichte, aber sie bzw. die zentrale Rolle der Hunde darin geriet in starke Zweifel, als die Textilkundlerin Paula Gustafson 1980 über hundert in Museen aufbewahrte Decken mit feinsten optischen Methoden analysierte und nicht ein Hundehaar fand (im Buch „Salish Weaving“). Aber 1994 versuchte es Rick Schulting (Oxford) an einer Decke, in die die Leiche eines Kindes eingehüllt war, mit noch feineren Methoden, denen der Analyse von Isotopen: Die von Kohlenstoff zeigen, ob die Nahrung eines Tiers vom Land oder aus dem Wasser stammt, die von Stickstoff die Stellung des Tiers in der Nahrungskette. Die Lieferanten mancher Fasern hatten Raubfische als Nahrung, Lachse: Diese Haare konnten nur von Hunden stammen (Canadian Journal of Archeology 18, S. 57).
Breitere Bestätigung lieferten später Caroline Solazzo (York) mit Analysen von Proteinen (Antiquity 85, S. 1418) und Chris Darimont (University of Victoria) wieder an Isotopen (Scientific Reports 10. 15630). Sonst ist von den Hunden außer Skeletten nur ein einziges Fell geblieben, das des Hundes „Mutton“. So – „Hammelfleisch“– nannte der Ethnograf George Gibbs einen 1858 erworbenen Gefährten, weil er gern hinter Schafen her war, auch Ziegen verschmähte er nicht, er fraß den
Schädel des Präparats einer höchst raren Bergziege, das Gibbs der Smithsonian Institution in Washington zukommen ließ, auf Bitten des dortigen Kurators Kennerly, der wegen des fehlenden Stücks „beinahe weinte“und dem Übeltäter wünschte, er werde bald auch in die Sammlung kommen.
Das geschah, Muttons Fell wurde im Smithsonian eingelagert und bald vergessen, erst 2002 wurde es wieder gefunden, es ist das einzige erhaltene, entsprechend hoch war das Interesse von Forschern – der Anthropologin Audrey Lin und des Archäogenetikers Logan Kistler von der Smithsonian – und Indigenen, die sich zu einer raren Kooperation zusammentaten und gemeinsam publizierten, die zitierten Erinnerungen gingen in den Text in Science (14. 12.) ein. In Fragen der Ernährung wichen die allerdings von den Isotopenbefunden ab: Dieser Hund war nicht mit Lachs gefüttert worden, sondern mit Mais. Das kam daher, dass Gibbs als Landvermesser im Inneren der Insel unterwegs war und Maismehl zur Verpflegung mitgenommen hatte.
Bei den Genen zeigte sich, dass die Ahnen dieses Hunds vor 1800 bis 4800 Jahren aus einer anderen Rasse gezüchtet worden waren – zu einem ähnlichen Alter war schon Schulting gekommen, der aus der ethnografischen Literatur abgeleitet hatte, wann die Gesellschaft der Salish komplex genug war – und dass dabei 28 Gene bzw. ihre Mutationen im Spiel waren, zentral die von zweien, KRT7 und KANK2, sie bringen heutigen Menschen wollige Haare und haben einst Mammuts gewärmt.
„Lasst sie uns ins Leben zurückbringen“, wünscht sich die Weberin Susan sa ‚hla mitsa Pavel, „der Wollhund ist ein großer Teil unseres Lebens.“Ob der Wunsch Realität wird, steht dahin, Klonen kann man „Mutton“nicht, seine DNA ist zu stark degradiert, die Hoffnungen richten sich auf Rückzüchtung. Wenn die gelingt, würden Betrachter keine allzu großen Augen machen – die Wollhunde glichen in Körpergröße und -gestalt heutigen Spitzen –, aber die Ohren würden ihnen übergehen: Diese Hund bellten nicht, sie heulten.