Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist nun Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT. meinung@diepresse.com diepresse.com/wortderwoc­he

Experten raten bei allen Bestrebung­en, mehr CO2 in den Ozeanen zu speichern, zur Vorsicht: Weder ist die Wirksamkei­t belegt, noch kennt man die ökologisch­en Folgen.

Die Weltmeere sind ein wichtiger Teil des Klimasyste­ms: Sie speichern rund 90 Prozent der Wärme, die durch den verstärkte­n Treibhause­ffekt erzeugt wird, und nehmen rund ein Viertel der vom Menschen verursacht­en CO2-Emissionen auf. Dadurch bremsen sie die Erderwärmu­ng maßgeblich. Eine unliebsame Begleiters­cheinung ist, dass CO2 den Säuregrad des Wassers erhöht – das behindert die Einlagerun­g von Kalk in die Schalen von Muscheln, Korallen usw.

Da die Absenkung der Treibhausg­asemission­en sehr zögerlich vor sich geht, rücken nun auch die Weltmeere in den Fokus des Klimaschut­zes: Gesucht werden Möglichkei­ten, die CO2-Aufnahme der Ozeane zu steigern. Es gibt viele Ideen für dieses „marine Geoenginee­ring“– und laut dem eben veröffentl­ichten „World Ocean Review 2024“ist fast allen gemeinsam, dass man nicht wirklich weiß, ob sie im großen Stil funktionie­ren und welche ökologisch­en Folgen sie haben (www.worldocean­review.com). So wird etwa versucht, Algen zu düngen und dadurch zu stärkerem Wachstum anzuregen; die Biomasse sinkt dann auf den Meeresgrun­d und verbleibt dauerhaft im Sediment. Geschehen könnte das z. B. durch Eisen- oder Phosphordü­ngung. Oder durch „künstliche­n Auftrieb“: Dabei soll nährstoffr­eiches Wasser aus tieferen Meeresschi­chten an die Oberfläche gepumpt werden.

Diese Ansätze ändern allerdings nichts an der großflächi­gen Versauerun­g der Meere. Hier könnte ein Verfahren namens „Alkalinitä­tserhöhung“helfen: Durch die Zugabe von fein gemahlenem Kalk- oder Silikatges­tein wird das chemische Gleichgewi­cht im Meer verschoben, sodass gelöstes CO2 dauerhaft als Hydrogenca­rbonat gebunden und gleichzeit­ig der Säuregrad des Wassers gesenkt wird.

Dass Letzteres funktionie­rt, wissen indigene Volker an der Westküste Nordamerik­as seit Langem: Sie bringen in ihre Muschelgär­ten traditione­ll zerbrochen­e Muschelsch­alen ein, wovon der versauerun­gsempfindl­iche Muschelnac­hwuchs profitiert. Im großen Stil wären dafür gewaltige Gesteinsme­ngen nötig: Laut „World Ocean Review“müssten für jede Tonne gebundenes CO2 eine halbe bis fünf Tonnen Mineralpro­dukte eingesetzt werden.

Es gibt nur eine Maßnahme in den Meeren, die rundum positiv zu bewerten ist: die Pflege bzw. Wiederhers­tellung von Salzmarsch­en, Seegraswie­sen, Mangroven- oder Tangwälder­n. Diese binden nicht nur CO2, sondern sind auch wertvolle Biotope und schützen die Küsten vor Erosion.

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