Warum es uns so Schwerfällt, uns zu entschuldigen
Wer sich (öffentlich) entschuldigt, zeigt Schwäche. Diese Annahme hält sich nach wie vor. Warum es gar nicht so leicht ist, sich aufrichtig zu entschuldigen. Und was es dafür braucht.
Es wäre eigentlich nur ein einfaches Wort. Allerdings eines, das einen ganzen Rattenschwanz an Bedeutung mit sich bringt. Wer sich entschuldigt – oder streng genommen um Entschuldigung bittet –, gesteht zuerst einmal ein, etwas falsch gemacht zu haben. Und zeigt damit auch, dass es ihm oder ihr leidtut. In der Theorie klingt das plausibel. In der Praxis ist das aber doch ein bisschen schwieriger. Da wird in der Paarbeziehung der Wunsch, dass sich der oder die andere entschuldigt, wie die sprichwörtliche heiße Kartoffel hin und her geschubst. „Aber du hast ja …“, ist da viel schneller ausgesprochen als ein „Ich habe …“– und wenn, dann kommt es selten ohne den Zusatz „Ich habe ja nur so reagiert, weil du …“aus.
Eine Entschuldigung ist da so etwas wie der Rettungsring, der einen aus dem Strudel herausholen und alles wieder gutmachen könnte. Wäre da nicht der eigene Stolz, die eigene Überzeugung, dass man doch nichts falsch gemacht hat. Oder auch die Wut über den anderen, die einen ehrlichen Blick auf das eigene Handeln vernebelt. Bis hin zu der Angst, der oder die Unterlegene zu sein, wenn man jetzt einen Fehler eingesteht und sein Bedauern dafür ausdrückt.
Das ist nicht nur im Privaten so. Öffentlich geht es vielleicht weniger emotional zu. Eine Entschuldigung wird aber dennoch selten ausgesprochen. Besonders (aber nicht nur) in der Politik heißt es da lieber: „Wir haben alles richtig gemacht.“Das eigene Handeln zu hinterfragen und Fehler einzugestehen wird immer noch gern als Schwäche gesehen. Dafür werden umso abenteuerlichere, um die Ecke gedachte Erklärungen geliefert, nur damit man sein Handeln irgendwie rechtfertigt – oder auch schönredet. Ein bisschen erinnert das an das reflexhafte „Ich war’s nicht!“von kleinen Kindern.
Aber warum fällt es uns so schwer, sich zu entschuldigen? Also so richtig, ehrlich und aufrichtig. Denn ein „Wenn ich die Gefühle von jemandem verletzt habe, dann tut es mir leid“ist auch öffentlich schnell einmal ausgesprochen und hat etwas von einer Selbstvergebung. Mit aufrichtigem Bedauern hat das meist wenig zu tun.
Eine Entschuldigung sei immer ein zweipoliges Geschehen, erklärt die Psychotherapeutin Christa Paulinz im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Auf der einen Seite stehe die Selbstreflexion, auf der anderen die Vorstellung einer Vergebung, also der Beziehungskontext. „Zurzeit ist eine Variante von Entschuldigung viel präsenter, die die Vergebung schon ein Stück voraussetzt, die diesen Beziehungskontext gar nicht so deutlich hineinnimmt, sondern man davon ausgeht, dass das Gegenüber schon zufrieden ist“, sagt Paulinz und verweist etwa auf die Fülle an Ratgebern, in denen regelrechte Tricks angeboten werden, wie man sich entschuldigt, ohne dabei schlecht dazustehen. Da gehe es mehr um Formulierungen, die lediglich darauf abzielen, sich aus der Verantwortung zu ziehen, anstatt Verantwortung zu übernehmen. „Das nimmt ungemein zu, und das hat definitiv mit den sozialen Medien zu tun“, sagt sie. „Die Banalisierung von Entschuldigung taucht dort in einer Fülle auf.“
Banalisierung der Entschuldigung.
Was aber oft fehlt, ist der Reflexionsprozess, die Erklärung, wie es dazu gekommen ist, dass es einem leidtut. Weil dieser Prozess der Selbstreflexion, der unangenehm sein kann, häufig gar nicht vorhanden ist. Vielmehr geht es darum, sich eines Vorwurfs zu entledigen. Paulinz beobachtet das auch bei ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die dann gern ein trotziges „Na dann entschuldige ich mich halt“hinschmettern. „Es fehlen aber auch die Role Models dazu“, sagt die Psychotherapeutin.
Wobei Paulinz dafür nicht nur die sozialen Medien verantwortlich macht. Denn auch in der Vergangenheit waren wir nicht gerade gut darin, uns zu entschuldigen. Man denke nur an die lange Zeitspanne nach dem Zweiten Weltkrieg, die es gebraucht hat, bis von öffentlicher Seite jemand so etwas wie eine Entschuldigung ausgesprochen hat – um ein großes, historisches Beispiel zu nennen.
Selbstreflexion braucht Zeit, die gibt es im Umgang mit sozialen Medien aber oft nicht.
Heute komme allerdings die enorme Geschwindigkeit, die soziale Medien bieten, dazu. Sein eigenes Handeln selbst zu reflektieren und zu hinterfragen braucht aber Zeit. Dazu kommt, dass eine Selbstidealisierung und auch ein gewisser Perfektionismus eine Fehlerkultur inklusive Schuldeingeständnissen und Entschuldigungen kaum zulassen, wie auch die Psychotherapeutin Barbara Haid erklärt (siehe Interview).
Damit eine Entschuldigung gelingt, also ehrlich ist und auch vom Gegenüber angenommen wird, müsse man sich auf den inneren Prozess einlassen. Und: Man muss diesen inneren Prozess der Selbstreflexion auch mit dem anderen teilen und ihm diesen verständlich machen. Dabei geht es weniger darum, sich zu rechtfertigen, sondern zu erklären, wie es so weit gekommen ist. Die Art und Weise, wie diese Erklärung ausfällt, gibt dem anderen die Möglichkeit, die eigene Sicht zu verstehen, zu sehen, dass man ehrlich bedauert, und gegebenenfalls auch zu vergeben.
Entschuldigung hat für viele aber auch etwas mit Macht zu tun
Innerer Prozess.
oder vielmehr mit Machtverlust. Deshalb fällt es vielen Erwachsenen schwer, sich bei Kindern zu entschuldigen. Dabei wäre genau das wichtig, damit sie eine Entschuldigungskultur kennenlernen. Es gehe darum zu zeigen, was einem leidtut, damit der Prozess für das Kind teilbar werde, erklärt Paulinz. „Dann spüren sich die Kinder verstanden, gehört und in ihrer Kränkung verstanden“, so Paulinz, die betont, dass eine Entschuldigung eben nur maßgeschneidert sein kann. „Floskeln von der Stange“können den ursprünglichen Zweck einer Entschuldigung nicht erfüllen. „Man muss sich ausreden.“
Den eigenen Anteil sehen. Für eine ehrliche Entschuldigung sei es wichtig anzuerkennen, dass man dem anderen Leid zugefügt hat, sagt Christine Priesner. Sie ist Arbeits- und Organisationspsychologin und auch als Mediatorin tätig. Sie hat in ihrer Arbeit mit Streitparteien, egal, ob es sich dabei um Privatpersonen oder Firmen handelt, beobachtet, dass wir sehr gut darin sind, in Konflikten den Anteil des anderen zu sehen. Den eigenen Beitrag zur verworrenen Situation sehen wir hingegen nicht so gern. „Wir sehen das, was der andere uns angetan hat, stärker als unseren eigenen Anteil.“Das habe auch mit einer Schutzfunktion zu tun.
Ein Konflikt läuft üblicherweise in mehreren Stufen ab, die sich immer mehr zuspitzen. Am Anfang stehen meist anscheinend harmlose Sachfragen, wie „Wohin fahren wir auf Urlaub?“oder „Wer holt die Kinder ab?“(um im privaten Bereich zu bleiben), dann wird es aber schnell persönlich. In der ersten Phase der Konflikteskalation ist bereits eine Spannung zu spüren, die oft nonverbal ist. „Der andere wendet sich ab, schaut mich nicht offen an. Mit dieser Zurückhaltung fängt die Spannung an“, so Priesner. Und sobald diese Spannung spürbar ist, denken wir uns etwas dazu – meist recht viel und nicht gerade Positives. Diese Gedanken und Vermutungen sprechen wir aber nicht aus, was zu Missverständnissen und Missinterpretationen führen kann.
Spätestens wenn man spürt, dass man bei dem anderen an Reputation verliert und nicht mehr so wertgeschätzt wird, beginnt die Kränkung, aus der man nur schwer herauskommt. Dann neigen wir dazu, in Konflikten die Unterschiede überzubetonen.
Schwierig wird es, wenn andere in den Konflikt hineingezogen werden, wenn man sich etwa beim Streit mit dem Ehepartner der besten Freundin anvertraut. Dadurch kommt eine neue Komponente dazu, die für viele schwer wiegt, nämlich der Image-Verlust anderen, Dritten, gegenüber. „Prinzipiell
»Wir sehen das, was der andere uns angetan hat, stärker als unseren eigenen Anteil.« CHRISTINE PRIESNER Psychologin und Mediatorin
Am Anfang eines Konflikts stehen oft Sachthemen, es wird aber meist schnell persönlich.
kann man in jeder Stufe des Konflikts aussteigen, sich entschuldigen und eine Versöhnung anstreben, aber wenn andere involviert werden, wird es schwieriger“, erklärt die Psychologin. Dann bilden sich nämlich meist Gruppen, und die Sache wird größer. In manchen Fällen kann da professionelle Hilfe, etwa durch eine Mediation, nützlich sein.
Vorstufe des Versöhnens. Und noch etwas: Spricht man eine Entschuldigung aus oder bittet man den oder die andere um Verzeihung, ist immer noch die Frage, ob das Gegenüber diese Entschuldigung auch annimmt. „Man kann sich immer entscheiden: Entschuldige ich mich, nehme ich die Entschuldigung an? Aber auch, wenn das Gegenüber die Entschuldigung nicht annimmt: Mache ich in der Eskalation mit oder nicht?“Man hat den weiteren Verlauf also selbst in der Hand und kann Verantwortung übernehmen.
So schwierig Entschuldigungen auch sind, haben sie doch etwas Gutes, sofern sie gelingen: nämlich das Danach, die Versöhnung und sehr oft auch eine Stärkung der Beziehung.