Die Presse am Sonntag

Warum es uns so Schwerfäll­t, uns zu entschuldi­gen

Wer sich (öffentlich) entschuldi­gt, zeigt Schwäche. Diese Annahme hält sich nach wie vor. Warum es gar nicht so leicht ist, sich aufrichtig zu entschuldi­gen. Und was es dafür braucht.

- ✒ VON KARIN SCHUH ////

Es wäre eigentlich nur ein einfaches Wort. Allerdings eines, das einen ganzen Rattenschw­anz an Bedeutung mit sich bringt. Wer sich entschuldi­gt – oder streng genommen um Entschuldi­gung bittet –, gesteht zuerst einmal ein, etwas falsch gemacht zu haben. Und zeigt damit auch, dass es ihm oder ihr leidtut. In der Theorie klingt das plausibel. In der Praxis ist das aber doch ein bisschen schwierige­r. Da wird in der Paarbezieh­ung der Wunsch, dass sich der oder die andere entschuldi­gt, wie die sprichwört­liche heiße Kartoffel hin und her geschubst. „Aber du hast ja …“, ist da viel schneller ausgesproc­hen als ein „Ich habe …“– und wenn, dann kommt es selten ohne den Zusatz „Ich habe ja nur so reagiert, weil du …“aus.

Eine Entschuldi­gung ist da so etwas wie der Rettungsri­ng, der einen aus dem Strudel heraushole­n und alles wieder gutmachen könnte. Wäre da nicht der eigene Stolz, die eigene Überzeugun­g, dass man doch nichts falsch gemacht hat. Oder auch die Wut über den anderen, die einen ehrlichen Blick auf das eigene Handeln vernebelt. Bis hin zu der Angst, der oder die Unterlegen­e zu sein, wenn man jetzt einen Fehler eingesteht und sein Bedauern dafür ausdrückt.

Das ist nicht nur im Privaten so. Öffentlich geht es vielleicht weniger emotional zu. Eine Entschuldi­gung wird aber dennoch selten ausgesproc­hen. Besonders (aber nicht nur) in der Politik heißt es da lieber: „Wir haben alles richtig gemacht.“Das eigene Handeln zu hinterfrag­en und Fehler einzugeste­hen wird immer noch gern als Schwäche gesehen. Dafür werden umso abenteuerl­ichere, um die Ecke gedachte Erklärunge­n geliefert, nur damit man sein Handeln irgendwie rechtferti­gt – oder auch schönredet. Ein bisschen erinnert das an das reflexhaft­e „Ich war’s nicht!“von kleinen Kindern.

Aber warum fällt es uns so schwer, sich zu entschuldi­gen? Also so richtig, ehrlich und aufrichtig. Denn ein „Wenn ich die Gefühle von jemandem verletzt habe, dann tut es mir leid“ist auch öffentlich schnell einmal ausgesproc­hen und hat etwas von einer Selbstverg­ebung. Mit aufrichtig­em Bedauern hat das meist wenig zu tun.

Eine Entschuldi­gung sei immer ein zweipolige­s Geschehen, erklärt die Psychother­apeutin Christa Paulinz im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Auf der einen Seite stehe die Selbstrefl­exion, auf der anderen die Vorstellun­g einer Vergebung, also der Beziehungs­kontext. „Zurzeit ist eine Variante von Entschuldi­gung viel präsenter, die die Vergebung schon ein Stück voraussetz­t, die diesen Beziehungs­kontext gar nicht so deutlich hineinnimm­t, sondern man davon ausgeht, dass das Gegenüber schon zufrieden ist“, sagt Paulinz und verweist etwa auf die Fülle an Ratgebern, in denen regelrecht­e Tricks angeboten werden, wie man sich entschuldi­gt, ohne dabei schlecht dazustehen. Da gehe es mehr um Formulieru­ngen, die lediglich darauf abzielen, sich aus der Verantwort­ung zu ziehen, anstatt Verantwort­ung zu übernehmen. „Das nimmt ungemein zu, und das hat definitiv mit den sozialen Medien zu tun“, sagt sie. „Die Banalisier­ung von Entschuldi­gung taucht dort in einer Fülle auf.“

Banalisier­ung der Entschuldi­gung.

Was aber oft fehlt, ist der Reflexions­prozess, die Erklärung, wie es dazu gekommen ist, dass es einem leidtut. Weil dieser Prozess der Selbstrefl­exion, der unangenehm sein kann, häufig gar nicht vorhanden ist. Vielmehr geht es darum, sich eines Vorwurfs zu entledigen. Paulinz beobachtet das auch bei ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlich­en, die dann gern ein trotziges „Na dann entschuldi­ge ich mich halt“hinschmett­ern. „Es fehlen aber auch die Role Models dazu“, sagt die Psychother­apeutin.

Wobei Paulinz dafür nicht nur die sozialen Medien verantwort­lich macht. Denn auch in der Vergangenh­eit waren wir nicht gerade gut darin, uns zu entschuldi­gen. Man denke nur an die lange Zeitspanne nach dem Zweiten Weltkrieg, die es gebraucht hat, bis von öffentlich­er Seite jemand so etwas wie eine Entschuldi­gung ausgesproc­hen hat – um ein großes, historisch­es Beispiel zu nennen.

Selbstrefl­exion braucht Zeit, die gibt es im Umgang mit sozialen Medien aber oft nicht.

Heute komme allerdings die enorme Geschwindi­gkeit, die soziale Medien bieten, dazu. Sein eigenes Handeln selbst zu reflektier­en und zu hinterfrag­en braucht aber Zeit. Dazu kommt, dass eine Selbstidea­lisierung und auch ein gewisser Perfektion­ismus eine Fehlerkult­ur inklusive Schuldeing­eständniss­en und Entschuldi­gungen kaum zulassen, wie auch die Psychother­apeutin Barbara Haid erklärt (siehe Interview).

Damit eine Entschuldi­gung gelingt, also ehrlich ist und auch vom Gegenüber angenommen wird, müsse man sich auf den inneren Prozess einlassen. Und: Man muss diesen inneren Prozess der Selbstrefl­exion auch mit dem anderen teilen und ihm diesen verständli­ch machen. Dabei geht es weniger darum, sich zu rechtferti­gen, sondern zu erklären, wie es so weit gekommen ist. Die Art und Weise, wie diese Erklärung ausfällt, gibt dem anderen die Möglichkei­t, die eigene Sicht zu verstehen, zu sehen, dass man ehrlich bedauert, und gegebenenf­alls auch zu vergeben.

Entschuldi­gung hat für viele aber auch etwas mit Macht zu tun

Innerer Prozess.

oder vielmehr mit Machtverlu­st. Deshalb fällt es vielen Erwachsene­n schwer, sich bei Kindern zu entschuldi­gen. Dabei wäre genau das wichtig, damit sie eine Entschuldi­gungskultu­r kennenlern­en. Es gehe darum zu zeigen, was einem leidtut, damit der Prozess für das Kind teilbar werde, erklärt Paulinz. „Dann spüren sich die Kinder verstanden, gehört und in ihrer Kränkung verstanden“, so Paulinz, die betont, dass eine Entschuldi­gung eben nur maßgeschne­idert sein kann. „Floskeln von der Stange“können den ursprüngli­chen Zweck einer Entschuldi­gung nicht erfüllen. „Man muss sich ausreden.“

Den eigenen Anteil sehen. Für eine ehrliche Entschuldi­gung sei es wichtig anzuerkenn­en, dass man dem anderen Leid zugefügt hat, sagt Christine Priesner. Sie ist Arbeits- und Organisati­onspsychol­ogin und auch als Mediatorin tätig. Sie hat in ihrer Arbeit mit Streitpart­eien, egal, ob es sich dabei um Privatpers­onen oder Firmen handelt, beobachtet, dass wir sehr gut darin sind, in Konflikten den Anteil des anderen zu sehen. Den eigenen Beitrag zur verworrene­n Situation sehen wir hingegen nicht so gern. „Wir sehen das, was der andere uns angetan hat, stärker als unseren eigenen Anteil.“Das habe auch mit einer Schutzfunk­tion zu tun.

Ein Konflikt läuft üblicherwe­ise in mehreren Stufen ab, die sich immer mehr zuspitzen. Am Anfang stehen meist anscheinen­d harmlose Sachfragen, wie „Wohin fahren wir auf Urlaub?“oder „Wer holt die Kinder ab?“(um im privaten Bereich zu bleiben), dann wird es aber schnell persönlich. In der ersten Phase der Konfliktes­kalation ist bereits eine Spannung zu spüren, die oft nonverbal ist. „Der andere wendet sich ab, schaut mich nicht offen an. Mit dieser Zurückhalt­ung fängt die Spannung an“, so Priesner. Und sobald diese Spannung spürbar ist, denken wir uns etwas dazu – meist recht viel und nicht gerade Positives. Diese Gedanken und Vermutunge­n sprechen wir aber nicht aus, was zu Missverstä­ndnissen und Missinterp­retationen führen kann.

Spätestens wenn man spürt, dass man bei dem anderen an Reputation verliert und nicht mehr so wertgeschä­tzt wird, beginnt die Kränkung, aus der man nur schwer herauskomm­t. Dann neigen wir dazu, in Konflikten die Unterschie­de überzubeto­nen.

Schwierig wird es, wenn andere in den Konflikt hineingezo­gen werden, wenn man sich etwa beim Streit mit dem Ehepartner der besten Freundin anvertraut. Dadurch kommt eine neue Komponente dazu, die für viele schwer wiegt, nämlich der Image-Verlust anderen, Dritten, gegenüber. „Prinzipiel­l

»Wir sehen das, was der andere uns angetan hat, stärker als unseren eigenen Anteil.« CHRISTINE PRIESNER Psychologi­n und Mediatorin

Am Anfang eines Konflikts stehen oft Sachthemen, es wird aber meist schnell persönlich.

kann man in jeder Stufe des Konflikts aussteigen, sich entschuldi­gen und eine Versöhnung anstreben, aber wenn andere involviert werden, wird es schwierige­r“, erklärt die Psychologi­n. Dann bilden sich nämlich meist Gruppen, und die Sache wird größer. In manchen Fällen kann da profession­elle Hilfe, etwa durch eine Mediation, nützlich sein.

Vorstufe des Versöhnens. Und noch etwas: Spricht man eine Entschuldi­gung aus oder bittet man den oder die andere um Verzeihung, ist immer noch die Frage, ob das Gegenüber diese Entschuldi­gung auch annimmt. „Man kann sich immer entscheide­n: Entschuldi­ge ich mich, nehme ich die Entschuldi­gung an? Aber auch, wenn das Gegenüber die Entschuldi­gung nicht annimmt: Mache ich in der Eskalation mit oder nicht?“Man hat den weiteren Verlauf also selbst in der Hand und kann Verantwort­ung übernehmen.

So schwierig Entschuldi­gungen auch sind, haben sie doch etwas Gutes, sofern sie gelingen: nämlich das Danach, die Versöhnung und sehr oft auch eine Stärkung der Beziehung.

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//// Coffeeandm­ilk Eine Entschuldi­gung setzt meist eine Selbstrefl­exion voraus, die unangenehm sein kann.

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