Knallharte Kanzlerfrage: Kickl oder Karl?
Karl Nehammer wurde von seiner Volkspartei in Wels gefeiert. Der Regierungschef stellte einen »Österreichplan« der ÖVP vor. Das haben Tageszeitungen durchwegs als türkisen Wahlkampfauftakt gesehen. Der erklärte Gegner ist eindeutig die FPÖ.
Warum hat Österreichs Bundeskanzler am Freitag in einer Welser Messehalle vor seinen engsten 2000 Parteifreunden eine pathetische Grundsatzrede gehalten?
a) Weil ÖVP-Chef Karl Nehammer das Regierungsprogramm der Koalition mit den Grünen längst beendet hat?
b) Weil laut „Österreichplan“noch so viel zu tun ist im Land der Berge?
c) Weil die Volkspartei Herbert Kickl und dessen FPÖ ärgern will?
Über die Motive können Wählerinnen und Wähler bis zu vorgezogenen Nationalratswahlen im Frühjahr oder zum regulären Termin im Herbst rätseln. Zeitungen haben nicht so viel Muße. Die müssen sofort Antworten parat haben. Wie wurde von ihnen das Kanzler-Hochamt samt langer Predigt in der Welser Messehalle interpretiert?
Steigbügelhalter. Vielleicht hat man von fern mehr Übersicht. Was meint man im Ländle zum Kanzlerwort? Die Schlagzeilen der „Vorarlberger Nachrichten“wirken antizyklisch: „Keine Zeit für Wahlgeschenke“lautet die Mahnung an die Regierung. Nach Kickl habe nun auch Nehammer das Wahljahr 2024 eröffnet, habe Steuersenkungen angekündigt, sei aber bei der Gegenfinanzierung vage geblieben. Wels wird in eine Randspalte gedrängt : „Kein Wahltermin, aber Wahlkampf“. Im Kommentar werden „Kickl und seine Front Régional“negativ beurteilt: „Es gibt 1000 gute Gründe, mit der aktuellen Regierung nicht zufrieden zu sein. Es gibt jedoch keinen einzigen Grund, warum man deswegen Herbert Kickls FPÖ anheimfallen sollte.“Die sei „keine moderne Arbeiterpartei. Sie sucht Steigbügelhalter für ihren Anführer, der die Demokratie aushöhlen will.“Ob sich Nehammer nach dem Generalangriff der ÖVP auf Kickl als Steigbügel sieht?
„Österreich“hingegen interessiert online speziell, was die Welser Show für die Grünen bedeutet. „Kanzler-Rede löst Koalitions-Krach aus“, wird die prompte Kritik von deren Vizekanzler Werner Kogler kolportiert. Der Chefredakteur persönlich rückt in einem Kommentar aus, um Nehammer einen Rat zu geben: „Wenn der Kanzler es ernst meint, geht er in Neuwahl.“Der habe am Freitag „offiziell den Wahlkampf eröffnet“. Sein „Österreichplan“sei „nicht nur das neue ÖVP-Wahlprogramm, sondern auch gleich der Fahrplan für eine künftige schwarz-blaue Regierung“. Vielen Punkten in seiner Rede werde eine Mehrheit der Österreicher zustimmen. Wenig hält „Österreich“offenbar von der bisherigen Koalition. Nehammer müsse „diesen türkis-grünen Regierungskrampf endlich beenden“. Wenn der Kanzler mutig sei, lasse er am 9. Juni wählen.
Für den „Kurier“besteht offenbar kein Zweifel an dessen Tapferkeit : „Kraftakt“steht lakonisch als Titel in einem Foto mit einer Menschenmasse in der Messehalle. Auch in diesem Blatt gibt es bereits ein „Kanzler-Duell“. Ein „Kommando ,Karl Nehammer‘“kündigt der Leitartikel an: „Die Inszenierung in Wels war mehr als eine Grundsatzrede. Das war Wahlkampf. Weniger für die ÖVP als für Bundeskanzler Karl Nehammer.“Manche hätten diese Rede bereits als seine letzte Chance bezeichnet. Er habe sie jedenfalls genutzt. Nachsatz: „Ob das für die Nationalratswahl reicht, ist damit noch lange nicht beantwortet.“Entscheidend sei, dass er zumindest als Nummer zwei in das gewünschte Duell mit Kickl komme.
Abgekupfert. Die „Kronen Zeitung“hatte sich bereits im Voraus zum Zustand der Nation und der ÖVP weit hinausgelehnt, mit der Prognose, dass am 9. Juni nicht nur die EU-Parlaments-, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit auch vorgezogene Nationalratswahlen stattfinden werden: „Alles spricht für Super-Wahlsonntag“, lautete die Schlagzeile. Am Tag danach wird dieser Urnengang zum Zweikampf erklärt: „Kanzler setzt voll auf Duell mit Kickl“, titelt die „Krone“und setzt das passende Kanzlerwort aus Wels darüber: „Entscheidung zwischen ihm und mir“. Dieses Szenario wird auf fünf Seiten ausführlich analysiert und mit Gegenmeinungen der politischen Konkurrenten der Türkisen garniert. Auf einen gemeinen Punkt bringt es „Herr Nimmerwurscht“, eine Witzfigur des Blattes: „Nach der Kanzlerrede fragen sich viele Österreicher, arbeitet Herbert Kickl bereits hauptberuflich als Redenschreiber für die ÖVP, oder hat Nehammer einfach nur abgekupfert?“