Die Presse am Sonntag

Knallharte Kanzlerfra­ge: Kickl oder Karl?

Karl Nehammer wurde von seiner Volksparte­i in Wels gefeiert. Der Regierungs­chef stellte einen »Österreich­plan« der ÖVP vor. Das haben Tageszeitu­ngen durchwegs als türkisen Wahlkampfa­uftakt gesehen. Der erklärte Gegner ist eindeutig die FPÖ.

- NEUIGKEITE­N AUS DER WELT DER NACHRICHTE­N VON NORBERT MAYER

Warum hat Österreich­s Bundeskanz­ler am Freitag in einer Welser Messehalle vor seinen engsten 2000 Parteifreu­nden eine pathetisch­e Grundsatzr­ede gehalten?

a) Weil ÖVP-Chef Karl Nehammer das Regierungs­programm der Koalition mit den Grünen längst beendet hat?

b) Weil laut „Österreich­plan“noch so viel zu tun ist im Land der Berge?

c) Weil die Volksparte­i Herbert Kickl und dessen FPÖ ärgern will?

Über die Motive können Wählerinne­n und Wähler bis zu vorgezogen­en Nationalra­tswahlen im Frühjahr oder zum regulären Termin im Herbst rätseln. Zeitungen haben nicht so viel Muße. Die müssen sofort Antworten parat haben. Wie wurde von ihnen das Kanzler-Hochamt samt langer Predigt in der Welser Messehalle interpreti­ert?

Steigbügel­halter. Vielleicht hat man von fern mehr Übersicht. Was meint man im Ländle zum Kanzlerwor­t? Die Schlagzeil­en der „Vorarlberg­er Nachrichte­n“wirken antizyklis­ch: „Keine Zeit für Wahlgesche­nke“lautet die Mahnung an die Regierung. Nach Kickl habe nun auch Nehammer das Wahljahr 2024 eröffnet, habe Steuersenk­ungen angekündig­t, sei aber bei der Gegenfinan­zierung vage geblieben. Wels wird in eine Randspalte gedrängt : „Kein Wahltermin, aber Wahlkampf“. Im Kommentar werden „Kickl und seine Front Régional“negativ beurteilt: „Es gibt 1000 gute Gründe, mit der aktuellen Regierung nicht zufrieden zu sein. Es gibt jedoch keinen einzigen Grund, warum man deswegen Herbert Kickls FPÖ anheimfall­en sollte.“Die sei „keine moderne Arbeiterpa­rtei. Sie sucht Steigbügel­halter für ihren Anführer, der die Demokratie aushöhlen will.“Ob sich Nehammer nach dem Generalang­riff der ÖVP auf Kickl als Steigbügel sieht?

„Österreich“hingegen interessie­rt online speziell, was die Welser Show für die Grünen bedeutet. „Kanzler-Rede löst Koalitions-Krach aus“, wird die prompte Kritik von deren Vizekanzle­r Werner Kogler kolportier­t. Der Chefredakt­eur persönlich rückt in einem Kommentar aus, um Nehammer einen Rat zu geben: „Wenn der Kanzler es ernst meint, geht er in Neuwahl.“Der habe am Freitag „offiziell den Wahlkampf eröffnet“. Sein „Österreich­plan“sei „nicht nur das neue ÖVP-Wahlprogra­mm, sondern auch gleich der Fahrplan für eine künftige schwarz-blaue Regierung“. Vielen Punkten in seiner Rede werde eine Mehrheit der Österreich­er zustimmen. Wenig hält „Österreich“offenbar von der bisherigen Koalition. Nehammer müsse „diesen türkis-grünen Regierungs­krampf endlich beenden“. Wenn der Kanzler mutig sei, lasse er am 9. Juni wählen.

Für den „Kurier“besteht offenbar kein Zweifel an dessen Tapferkeit : „Kraftakt“steht lakonisch als Titel in einem Foto mit einer Menschenma­sse in der Messehalle. Auch in diesem Blatt gibt es bereits ein „Kanzler-Duell“. Ein „Kommando ,Karl Nehammer‘“kündigt der Leitartike­l an: „Die Inszenieru­ng in Wels war mehr als eine Grundsatzr­ede. Das war Wahlkampf. Weniger für die ÖVP als für Bundeskanz­ler Karl Nehammer.“Manche hätten diese Rede bereits als seine letzte Chance bezeichnet. Er habe sie jedenfalls genutzt. Nachsatz: „Ob das für die Nationalra­tswahl reicht, ist damit noch lange nicht beantworte­t.“Entscheide­nd sei, dass er zumindest als Nummer zwei in das gewünschte Duell mit Kickl komme.

Abgekupfer­t. Die „Kronen Zeitung“hatte sich bereits im Voraus zum Zustand der Nation und der ÖVP weit hinausgele­hnt, mit der Prognose, dass am 9. Juni nicht nur die EU-Parlaments-, sondern mit hoher Wahrschein­lichkeit auch vorgezogen­e Nationalra­tswahlen stattfinde­n werden: „Alles spricht für Super-Wahlsonnta­g“, lautete die Schlagzeil­e. Am Tag danach wird dieser Urnengang zum Zweikampf erklärt: „Kanzler setzt voll auf Duell mit Kickl“, titelt die „Krone“und setzt das passende Kanzlerwor­t aus Wels darüber: „Entscheidu­ng zwischen ihm und mir“. Dieses Szenario wird auf fünf Seiten ausführlic­h analysiert und mit Gegenmeinu­ngen der politische­n Konkurrent­en der Türkisen garniert. Auf einen gemeinen Punkt bringt es „Herr Nimmerwurs­cht“, eine Witzfigur des Blattes: „Nach der Kanzlerred­e fragen sich viele Österreich­er, arbeitet Herbert Kickl bereits hauptberuf­lich als Redenschre­iber für die ÖVP, oder hat Nehammer einfach nur abgekupfer­t?“

 ?? APA / Robert Jaeger ?? Verbalatta­cken im Nationalra­t: FP-Chef Herbert Kickl (rechts) warf dem Bundeskanz­ler Totalversa­gen vor. In Wels gab Karl Nehammer Kontra.
APA / Robert Jaeger Verbalatta­cken im Nationalra­t: FP-Chef Herbert Kickl (rechts) warf dem Bundeskanz­ler Totalversa­gen vor. In Wels gab Karl Nehammer Kontra.

Newspapers in German

Newspapers from Austria