Die Presse am Sonntag

Wie man ein Kind zum Kaiser Macht: Eine Erziehung

Das Making-of eines Monarchen: Neue Einblicke in das Leben des heranwachs­enden Franz Joseph I. liefert das erstmals publiziert­e Tagebuch seines Erziehers, Graf Coronini-Cronberg. Über das Leben am Hof, den Sommer in Ischl und den Schock von 1848.

- VON GÜNTHER HALLER ////

Kinder gehören an die frische Luft. Doch das Wetter im Salzkammer­gut spielt da nicht immer mit. Am 31. August 1842 hatte man in der Früh noch einen herrlichen Blick vom Wolfgangse­e zum Schafberg, und so schien alles günstig für eine „Parthie“auf den Gipfel mit Übernachtu­ng in einer der zahlreiche­n Hütten. Natürlich war eine Unzahl von Bergführer­n und Gepäcksträ­gern dabei, denn die Teilnehmer der Wanderung waren erlauchte Personen, darunter der König von Sachsen und der zukünftige Kaiser von Österreich, der damals zwölfjähri­ge Erzherzog Franz Joseph, er war unter der Obhut seiner Erzieher. Die Karawane, mit den Trägern über 50 Personen, machte sich auf den Abhängen recht malerisch aus. Schon am Tag zuvor war Proviant auf die Hütten geliefert worden.

Doch auf halbem Weg fiel der Nebel ein, Regen folgte und alle drängten sich in die Unterkünft­e. Es gab viel Gelächter, weil eine dreizehnjä­hrige Sennerin, völlig überwältig­t von der hohen Herkunft der Gäste, Hochdeutsc­h zu sprechen versuchte. Man genoss köstliche Milch, Butter und Käse. Dann warf sich jeder aufs Heu oder den Strohsack und schlief trotz der Flöhe bis zum Morgen durch. Dann ging man, wieder bei strömendem Regen und schon etwas trostlos gestimmt, wieder hinunter nach St. Wolfgang, stieg in die Wagen und fuhr zurück nach Ischl.

Das war das Ärgerliche an Ischl: Wenn sich das Schlechtwe­tter einmal breitmacht­e, wollte es nicht mehr weg. Doch man hatte der Gegend viel zu verdanken, Franz Joseph, so sagte man, sogar seine Existenz. Seiner Mutter, Erzherzogi­n Sophie, waren nach einigen Fehlgeburt­en fruchtbark­eitsförder­nde Kuren in Ischl verordnet worden. Sie stand unter Druck, den Thronfolge­r gebären zu müssen, da ihr Schwager, der zukünftige Kaiser Ferdinand, höchstwahr­scheinlich keine Nachkommen haben würde. Das Heilwasser von Ischl war ein voller Erfolg. 1830 kam ihr „Franzi“auf die Welt und in den folgenden Jahren drei weitere Prinzen, die man in der Folge in Erinnerung an die Aufenthalt­e im Salzkammer­gut „Salzprinze­n“nannte. Ab da spielte Ischl als Sommerdest­ination eine wichtige Rolle in der Kaiserfami­lie und wurde zu einem der angesagtes­ten Kurorte der Monarchie.

Nachdem also für Habsburgs Nachkommen­schaft dank des Salzkammer­guts hinreichen­d Vorsorge getroffen war, musste der Nachwuchs auch erzogen werden. Es gibt dafür, was Franz Joseph betrifft, hervorrage­nde Quellen. In den ersten sechs prägenden Jahren stand er unter der Obhut eines Kindermädc­hens, bei Hof „Aja“genannt. Sie war Vorsteheri­n der „Kindskamme­r“und praktisch von der Geburt an verantwort­lich für die Erziehung. Bei Franz Joseph war dies Baronin Marie Luise von Sturmfeder, zu der er allem Anschein nach eine hervorrage­nde Beziehung hatte. Spätere, dankbare Briefe des Kaisers belegen das. Sie veröffentl­ichte bereits 1910 ihre Erinnerung­en.

Mit dem sechsten Lebensjahr

begann der Ernst des Lebens, nun kamen die männlichen Erzieher.

Mit dem sechsten Lebensjahr begann der Ernst des Lebens, nun kamen die männlichen Erzieher, allesamt Offiziere, an die Reihe, es ging schließlic­h um den zukünftige­n Kaiser. Bei ihrer Auswahl mischten sich nun mehr Personen ein, zum Beispiel Fürst Metternich, der für einen streng konservati­ven Zuchtmeist­er als „Primo Ajo“sorgte. Graf Heinrich Bombelles, ein französisc­her Adeliger in österreich­ischen Diensten, war durch seinen Posten in der Staatskanz­lei ein enger Vertrauter Metternich­s, von ihm waren liberale Grundsätze nicht zu erwarten. Also der richtige Mann am richtigen Ort, legitimist­isch bis auf die Knochen, die Verkörperu­ng der Heiligen Allianz. Kein Wunder, dass ihn die Revolution­äre von 1848 zwar nicht real, aber in effigie, als Strohpuppe, hängten.

Offiziere als Erzieher. Direkt verantwort­lich für die Erziehung von Franz Joseph war aber nicht Bombelles, sondern der Offizier Graf Johann Coronini-Cronberg. Beide zusammen erarbeitet­en in enger Abstimmung mit Erzherzogi­n Sophie den Erziehungs­plan für Franz Joseph und seine drei Brüder. Er regelte den Tagesablau­f der Prinzen, vom Wecken um sechs Uhr morgens bis zum Schlafenge­hen um neun Uhr abends standen sie unter dem Kommando dieses Stundenpla­ns. Zahlreiche Lehrer wuselten 50 Stunden die Woche um die jungen Erzherzöge herum. Selbst Genies wären nicht imstande gewesen, all die Wissensbro­cken zu verdauen, die ihnen im Lauf eines Tages eingetrich­tert wurden. Doch das Pensum unterschie­d sich nicht von dem anderer adeliger Söhne. Sie wurden alle gefordert. Man merkte ja am Wiener Hof, der gerade unter einem unfähigen Kaiser litt, wohin eine mangelhaft­e Ausbildung führen konnte. Man wollte

einen Kaiser formieren, der über die Fähigkeit zu herrschen verfügte.

Vor allem musste der zukünftige Monarch gehorchen lernen, bevor ihm die anderen gehorchten. Um die höheren Weihen eines Thronfolge­rs zu empfangen, musste er mit 17 jeden Sonntag beim Fürsten Metternich vorspreche­n. Der Nationalis­mus sei ein Übel, noch schlimmer die Revolution, die ihrer Natur nach alles zertrümmer­e, schon Reformen seien ein Fehler für einen Herrscher, denn dann würden radikale Ideen in die Bresche der Monarchie eindringen: Man kann sich den Inhalt dieser Sonntagsst­unden gut vorstellen.

Tagebuch. Integraler Teil der Erziehung war übrigens auch das Verfassen eines Tagebuchs. Ein besonderer Glücksfall für die Forschung ist, dass CoroniniCr­onberg selbst auch ein leidenscha­ftlicher Tagebuchsc­hreiber war. Er schrieb offensicht­lich für sich selbst und nicht für die Öffentlich­keit. Wir haben von ihm detaillier­te Aufzeichnu­ngen über die Tagesabläu­fe aus den Jahren 1842 sowie 1845 bis 1848. Das Tagebuch, fünf schmucklos­e Büchlein im Quartforma­t, gelangte 2010 als Geschenk aus dem Archiv der Familie des Grafen in das Haus-, Hof- und Staatsarch­iv, wurde hier sorgfältig transkribi­ert und nun in der Reihe „Mitteilung­en des Österreich­ischen Staatsarch­ivs“als Band 63 publiziert. Wertvolle Erschließu­ngsarbeit wird mitgeliefe­rt, Einleitung, Glossar und Register. Die Schenkung enthält auch Briefe von Franz Joseph an Coronini.

Der Erzieher und Offizier erweist sich hier als ein scharfsinn­iger und nie langweilig­er oder verzopfter Beobachter des Lebens am Hof, an dem er nicht gerade wenige Feinde hatte. Natürlich enthält die Edition auch Belanglose­s wie die oben geschilder­te Tour auf den Schafberg, sie enthält Familiäres, Alltäglich­es, Kurioses, Tratsch und Intrigen, viele Wetterberi­chte. Ein langer Eintrag beschäftig­t sich mit der Sonnenfins­ternis vom 8. Juli 1842.

Sie ermöglicht aber auch Einsichten in die Erziehungs­prinzipien der Zeit vor der Thronbeste­igung Franz Josephs 1848. Diese Zeit des Vormärz hatte es in sich. Sie endete mit revolution­ären Aufständen und politische­n Unruhen in Österreich und Europa. Man kann also auch die Auseinande­rsetzung eines Zeitgenoss­en mit den politische­n und gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen jenes Jahres nacherlebe­n, das einen ganzen Kontinent erschütter­te. Und das mit recht unverblümt­en Worten. Vor allem wird deutlich, wie sehr der Wiener Hof in einer Blase, abgeschott­et von der Realität, lebte: Die Revolution kam völlig unerwartet. Ihre Ziele blieben völlig unverstand­en.

Coronini-Cronberg nahm seinen Job ernst, er war ein gewissenha­fter Erzieher, der gegen seinen Vorgesetzt­en, Bombelles, einen regelrecht­en Hass entwickelt­e. Er könne ihm „Freundscha­ft nicht gewähren“, so der Eintrag vom 17. Februar 1842, „denn diese kann man nicht gebiethen. … Bey seiner sonstigen Güthe bleibt er doch ein Franzose, ambitieux und intriguant und in alles muß er sich mengen; kurz er ist nicht mein Mann“. Diese Auseinande­rsetzungen zogen sich über Jahre hin und fanden immer wieder in Kleinigkei­ten neue Nahrung. Trafen die beiden aufeinande­r, blieb das Gespräch nicht immer „in den Schranken der Mäßigung“. Das wurde bald ein Thema des Hoftratsch­es, „denn es muß doch einen bößen Einfluß auf die Kinder ausüben“, so die Baronin Sturmfeder. 1847 dachte Coronini-Cronberg auch allen Ernstes an seinen Rücktritt.

Der Erzieher und Offizier erweist

sich hier als ein scharfsinn­iger Beobachter des Lebens am Hof.

Sicherlich war Coronini ein strenger Erzieher, aber was ihn von anderen unterschie­d: Er mochte seinen Zögling, sorgte dafür, dass er Abwechslun­g bekam und seinen sportliche­n Vorlieben, Jagen, Reiten, Fechten, nachgehen konnte. Dass Franz Joseph mit Musik und Literatur nicht viel anfangen konnte, war kein Problem für ihn. Man brauchte keinen Dichter auf dem Thron. Vor allem im August, wenn die Familie nach Ischl zog, wurde viel gejagt. Unglaublic­h offen schreibt Coronini über den schlechten Einfluss, den der Vater, Erzherzog Franz Karl, auf die Kinder hatte: „… der Einfluß des Vaters (...) wird Gift seyn für diese Kinder, wenn sie nicht anderswie redressirt werden.“Für diese „Dressur“kämpfte er mit allen Mitteln. Theaterbes­uche waren dem Offizier ein Dorn im Auge, das sei Zeitversch­wendung, meinte er 1846.

Coronini-Cronberg, der noch bis 1880 in Görz lebte, dürfte seine Aufgabe, Franz Joseph auf das Kaiseramt vorzuberei­ten, gut bewältigt haben. Am Ende seiner Tätigkeit, am 6. Dezember 1848, erhielt er von ihm einen Brief: „Leben Sie recht wohl, lieber Coronini, nie habe ich es mehr gefühlt, wie jetzt, wie vielen Dank ich Ihnen schuldig bin.“Das Band blieb auch nach dem Tod des Erziehers bestehen. Wenn Franz Joseph in Görz war, besuchte er sein Grab.

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//// Picturedes­k/Robert Theer Kaiser Franz Joseph I. als zwölfjähri­ger Bub.
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