Bilder aus der Traumwelt
Der Surrealismus wird 100 und ist en vogue wie seit Langem nicht. Der Markt entdeckt die weibliche Seite, und auch die Messe Brafa feiert die Kunstbewegung.
Surrealismus ist ein Diktat des Denkens außerhalb jeder Kontrolle durch die Vernunft und außerhalb aller moralischen oder ästhetischen Bedenken“, schrieb André Breton, der französische Dichter und Begründer des Surrealismus, in seinem surrealistischen Manifest, das er 1924 veröffentlichte. Damit rief er eine künstlerische und philosophische Bewegung ins Leben, die das 20. Jahrhundert nachhaltig beeinflussen sollte. Entstanden in Europa als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg und die kulturpolitischen Werte der damaligen Zeit, wollte der Surrealismus die Wahrnehmung der Welt verändern, indem er die Konventionen über Bord warf. Er bediente sich der Fantasie, der Traumbilder, der Mystik und des Unbewussten. Obwohl der Surrealismus in Frankreich begründet wurde, verbreitete er sich rasch in der ganzen Welt und brachte Künstler von internationalem Rang hervor, wie Max Ernst, Joan Miró, René Magritte, Paul Delvaux, Yves Tanguy, Salvador Dalí und Frida Kahlo.
Nicht erst der 100. Geburtstag rückt die Kunstbewegung wieder stärker ins Rampenlicht. Surrealismus erfährt seit einigen Jahren wieder mehr Aufmerksamkeit, und damit einhergehend endlich auch seine Vertreterinnen, die lang auf die Rolle der Musen beschränkt waren. Künstlerinnen wie Frida Kahlo, Leonora Carrington, Dorothea Tanning und Meret Oppenheim erhalten endlich ihre überfällige Anerkennung. In unsicheren Zeiten von Pandemie und geopolitischen Krisen trifft der Surrealismus mit dem Wunsch des Abtauchens in Fantasiewelten und virtuelle Räume wohl den Zeitgeist.
Für internationales Rampenlicht sorgte die Ausstellung „Surrealism Beyond Borders“, die im Oktober 2021 im New Yorker Metropolitan Museum of Art gezeigt wurde und anschließend in die Tate Modern nach London wanderte. Diese Schau präsentierte auch bisher unbekannte surrealistische Werke und zeigte, dass diese Kunstbewegung von globaler Bedeutung war und sich bis nach Lateinamerika, Nordafrika und Asien erstreckte. Wichtig für das wieder gestiegene Interesse war auch die letzte Biennale von Venedig, bei der Kuratorin Cecilia Alemani im Rahmen der Schau „The Milk of Dreams“neben zeitgenössischen Künstlerinnen auch Surrealistinnen wie Jane Graverol, Eileen Agar, Dorothea Tanning und Leonora Carrington zeigte. Letztere gab der Ausstellung ihren Namen mit ihrem gleichnamigen Kinderbuch.
Auch der Kunstmarkt spiegelt das neu erwachte Interesse an dieser Bewegung wider, wie eine Ende 2023 publizierte Analyse der Kunstpreisdatenbank Artnet in Kooperation mit Morgan Stanley belegt. Analysiert wurden Auktionen dieses Segments über die letzten zehn Jahre von 2013 bis Ende Oktober 2023. Es zeigte sich, dass die Künstlerinnen eine enorme Aufholjagd hingelegt haben. So lag im Jahr 2013 der durchschnittliche Verkaufspreis für ein Werk einer Surrealistin bei 35.098 Dollar, verglichen mit 72.273 Dollar für ein Werk eines männlichen Surrealisten.
2021 fand ein gewaltiger Sprung auf 167.263 Dollar statt, im Jahr darauf pendelte sich der durchschnittliche Verkaufspreis auf 84.339 Dollar ein. 2021 schaffte es auch erstmals eine Künstlerin unter die Top 20 der Surrealisten. Frida Kahlos „Diego y yo“brach mit 34,9 Millionen Dollar inklusive Aufgeld mehrere Rekorde. Es war ein neuer Rekord für die Künstlerin und das teuerste Werk, das jemals von einem lateinamerikanischen Künstler verkauft wurde.
Schaut man sich den Gesamtwert der versteigerten Werke an, liegen Surrealistinnen immer noch weit abgeschlagen hinter ihren männlichen Kollegen. Das ist natürlich auch mit der Menge des Angebots zu erklären: In den letzten zehn Jahren kamen fast 81.000 Lose männlicher Surrealisten zur Auktion, während es nur knapp 4000 Lose von Surrealistinnen waren. Und auch bei den Toppreisen haben die Künstler nach wie vor die Nase vorn. Der Belgier René Magritte ist an der absoluten Spitze. Seine Gemälde wurden in den letzten zwanzig Jahren stetig aufgewertet. Bei Auktionen hat sich sein Jahresumsatz in zehn Jahren verdreifacht. Mit dem Werk „L’empire des lumières“, das bei Sotheby’s 2022 für 59,4 Millionen
Neubewertung auf dem Kunstmarkt.
Pfund verkauft wurde, wurde Magritte zum teuersten Surrealisten und rückte gleichzeitig in die preisliche Oberliga aller Künstler der Moderne auf.
In den letzten zehn Jahren erfahren Malerinnen mehr Aufmerksamkeit, auch auf dem Markt.
An der Spitze steht René Magritte. Bei Auktionen hat sich sein Umsatz in zehn Jahren verdreifacht.
Brafa feiert den Surrealismus. Apropos Belgien: Anlässlich des 100. Geburtstags steht auch die aktuelle Kunst- und Antiquitätenmesse Brafa, die noch bis Sonntagabend läuft, ganz im Zeichen des Surrealismus. Gründeten doch die Dichter Paul Nougé, Camille Goemans und Marcel Lecomte im selben Jahr ein surrealistisches Zentrum in Brüssel. Entsprechend feiert die Brafa ein Doppeljubiläum. So ist das Hallen-Design surrealistisch inspiriert mit schwebenden Wolken, Figuren in Rückenansicht, ins Unendliche steigende Leitern, und gleich beim Eingang baumeln riesige blaue Augen auf runden Kartons von der Decke. Viele der Aussteller haben surrealistische Werke im Programm. Einer der Höhepunkte ist eines von insgesamt 19 originalen Exemplaren von Bretons „Manifeste du Surréalisme“, das von der Librairie Lardanchet mitgebracht wurde und am Stand des Verbands Belgischer Antiquare (CLAM) präsentiert wird. Die Galerie de la Béraudière hat von Magritte das Werk „Le Palais de Rideaux“aus dem Jahr 1928 im Angebot, und eine ganze Wand von Zeichnungen Magrittes bietet die Genfer Galerie De Jonckheere. Eine bedeutende Tuschezeichnung „L’intelligence“aus dem Jahr 1946 findet man bei Van Herck-Eykelberg. Max Ernst ist mit mehreren Werken bei der Galerie Ary Jan vertreten und die Galerie Repetto hat zwei wichtige Werke von Giorgio De Chirico am Stand.
Eine Sonderausstellung widmet die Brafa Paul Delvaux, dessen Todestag sich heuer zum 30. Mal jährt. Während die in Zusammenarbeit mit dem Museum Paul Delvaux in der Sonderschau gezeigten Arbeiten nicht verkäuflich sind, haben einige Aussteller Werke von Delvaux mitgebracht, darunter die Opera Gallery „La Fin du Voyage“, die Galerie Jean-Francois Cazeau „Nu dans l’atelier“und Harold t’Kint de Roodenbeke „La danse macabre“.