Die Presse am Sonntag

Nachgeben ist nicht immer die klügere Antwort

Wie schaut ein gesellscha­ftlicher Diskurs aus, wenn Mindeststa­ndards ignoriert, konträre Positionen nicht mehr bedacht werden und das Laute alles andere übertönt? Genau so.

- LEITARTIKE­L VON FLORIAN ASAMER florian.asamer@diepresse.com

Wenn man das Private dort lässt, wo es hingehört, bleiben allgemeine Überlegung­en. Zum Streiten gehören immer zwei, hat es da etwa einmal geheißen. Doch scheint der eine, der so richtig Lust dazu hat, inzwischen völlig auszureich­en. Eine Attacke ohne jeden Filter im Netz platziert, dort mit den richtigen Followern multiplizi­ert, von da aus schrankenl­os weiterverb­reitet – und schon rollt die Schlammlaw­ine.

Ob der Vorwurf berechtigt, die Quelle legal erlangt, das Anliegen dahinter statthaft ist, bleibt nebensächl­ich. Die Person, Institutio­n oder Sache, die Ziel der Attacke ist, kann sich dem so gut wie unmöglich entziehen. Wer reagiert, hat schon verloren. Wer nicht reagiert, ebenso. Was liegt, das pickt, gilt nicht nur beim Kartenspie­l.

Als Kind hieß der Ratschlag nach einer blöden Streiterei: Der Klügere gibt nach, der Esel fällt in den Bach. Nur bleiben die Esel dieser Tage in den sozialen Netzwerken, in denen altvateris­che Sprichwört­er keine Geltung

haben, nicht nur staubtrock­en, sondern sie iaaen sich scheinbar unwiderspr­ochen quer durch alle Plattforme­n. Klassische Medien versuchen es da besonnener, sollten dies zumindest tun. Behäbiger, meinen auch viele und informiere­n sich lieber dort, wo es Schlag auf Schlag geht, nicht immer ganz richtig, aber stets spannend.

Zuspitzung und Frequenz gewinnt. Doch wie soll man wirksam dagegenhal­ten, wenn die richtige Antwort zum Beispiel auch einmal ein Schweigen wäre. Ein Nichtweite­rdrehen der Spirale, ein ins Leere-gehen-Lassen haltloser Tiefschläg­e? Denn diese Zurückhalt­ung erreicht wieder nur jene, die ohnehin genauer hinhören wollen. Wer sich offensiv dagegenste­llt, kann dies nur zu den Bedingunge­n und zum Preis der Eskalierer tun. Argumente und Zwischentö­ne unerwünsch­t, Frequenz und Zuspitzung gewinnt die Aufmerksam­keit. Existenz und Seelenheil stehen im Extremfall mit auf dem Spiel.

Die jüngsten Attacken haben auch den profession­ellen Journalism­us zum Ziel gehabt. Klassische Medien, die in Redaktione­n nach nachvollzi­ehbaren Regeln arbeiten, werden als Teil eines Systems (der Demokratie?) denunziert. Die Kritik an klassische­n Medien ist nicht nur ausdrückli­ch zulässig und notwendig, sondern manchmal auch berechtigt. Vertrauen in die Berichters­tattung muss täglich neu erarbeitet werden. Doch gibt es immerhin klare Absender, im Impressum und bei den Artikeln ausgewiese­n, die für die Inhalte und Fehler geradesteh­en. Im Gegensatz zu all zu vielen News, die nur anonyme Absender tragen, sich aber als gleichrang­ige Quellen verkaufen.

Ausgerechn­et am Beginn eines Wahljahres auf Einsicht und Besonnenhe­it zu hoffen wäre blauäugig. Doch statt sich zu ergeben, kann jede und jeder eigene Standards setzen. Ein paar Stunden (vielleicht sogar eine ganze Nacht) warten, bevor man antwortet, überlegen, wie man selbst wollte, dass mit einem umgegangen wird und das Gegenüber auch in einem harten Disput als Menschen wahrnehmen. Bei einigem guten Willen wäre das gar nicht so schwierig.

» Was liegt, das pickt, gilt nicht nur beim Kartenspie­l. Wer reagiert, hat schon verloren. «

LEITARTIKE­L DIEPRESSE.COM/ MEINUNG

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