Am Weißensee, dem Lieblingsort der Ökos
Vegetarische Bioküche, klimaneutrales Hotel, Anreise ohne Auto und Yoga auf der Alm: Der Weißensee in Kärnten ist eine der ersten Adressen für nachhaltigen und umweltbewussten Urlaub in Österreich. Von Problemen des Massentourismus wird das abgelegene Tal
Glatt und unberührt ist die blauschwarze Fläche, als Corinna und Michael Knaller sie betreten. Vorsichtig, mit kleinen Schritten, denn an dieser Stelle des Weißensees ist das Eis noch nicht so dick wie anderswo. Von dem dumpfen Krachen, das von den umliegenden Hängen widerhallt, lassen sich die beiden nicht abhalten. Die tiefen Töne, die durch Spannungen im Eis entstehen, gehören zu einem Weißenseer Winter wie die tausenden Eisläufer, die jedes Jahr an den Kärntner See pilgern.
Ein paar haben sich auch auf das schwarze Eis gewagt, obwohl es noch nicht freigegeben wurde. Zu verlockend ist die kilometerlange, unbefahrene Fläche. Nicht Corinna Knaller. „Ich muss mit gutem Beispiel vorangehen.“Hätte sie keine Gäste, würde sie aber auch ein paar Runden ziehen, gibt sie zu.
Das Eis ist nicht der einzige Grund, was den Weißensee als Urlaubsdestination so begehrt macht. Es ist das familienfreundliche Skigebiet, die hohe Dichte an exzellenten und Hauben-Restaurants, aber vor allem auch die Entschleunigung und Naturverbundenheit, für die der Ort bekannt ist. Dafür ist der Weißensee, der sich auf fast 12 Kilometern wie ein Fjord in das schmale Tal schmiegt, längst kein Geheimtipp mehr. Vor allem, seitdem das nachhaltige, umwelt- und klimafreundliche Reisen zum Trend geworden ist, gesellen sich zu den Stammgästen und Familien, den Ruhesuchenden und Feinschmeckern immer mehr Menschen hinzu, die man – etwas überspitzt formuliert – unter der Gruppe Ökobobo und Biohipster subsumieren könnte. Sprich jene, für die Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein das Hauptkriterium für die Urlaubswahl ist.
Eine der ersten Adressen ist für sie der Gralhof. Als eines der ersten Biohotels Österreichs haben sich Corinna und Michael Knaller einen Namen gemacht. Wobei die nachhaltige Schiene für die Knallers kein Verkaufstrick sei. „Das ist kein Konzept“, sagt Corinna Knaller, als wäre das eine Beleidigung. „Wir sind einfach so. Das ist eine Lebenseinstellung. Hinter dem Gralhof ist der Berg, vor uns der See, und wir sind mittendrin. Wenn man ein bisschen Hausverstand hat, dann ist klar, dass man nur mit der Natur leben kann“, sagt die Hotelchefin.
100 Prozent Bio. 2005 übernahmen die Knallers den elterlichen Betrieb, seit 2007 haben sie bei dem 16-Zimmer-Hotel in dem 500-jährigen Hof eine 100prozentige Bioquote eingeführt. Auf die Teller kommen Rind und Schwein aus der eigenen Landwirtschaft oder von nahen Bauern, nach dem „Head to Tail“-Prinzip werde fast alles verwendet. Einmal wöchentlich werden in der mit zwei Hauben ausgezeichneten Küche also Innereien verkocht, an einem anderen Tag wird nur vegetarisch serviert. Statt Frühstücksbuffet gibt es à la carte, um Abfälle gering zu halten, was doch anfällt, kommt in die eigene Kompostieranlage. Geheizt wird mit Hackschnitzeln aus dem eigenen Forst, aus den Steckdosen fließt Ökostrom, die restlichen CO2-Emissionen werden durch die Förderung von Klimaschutzprojekten ausgeglichen. Sie habe schon den Anspruch, anderen Betrieben zu zeigen, dass es möglich sei, nachhaltig, bio und klimaneutral zu wirtschaften, sagt Knaller. „Es ist keine Frage des Könnens, sondern des Wollens.“
Man könne schon einen gewissen Trend feststellen, sagt Michael Knaller, einerseits bei ihren Gästen, die vermehrt auf nachhaltiges Reisen und Essen wert legen, aber auch bei den Betrieben,
zumindest am Weißensee. Das zeige etwa die enorm hohe Dichte an Betrieben mit dem Österreichischen Umweltzeichen, bei dem ein gewisser Anteil an Bio- und regionalen Lebensmitteln vorgeschrieben wird und das mit strengen Kriterien bei Energie- und Wasserverbrauch verknüpft ist. 18 Tourismusund Gastronomiebetriebe am Weißensee sind zertifiziert, mehr auf einem Fleck gibt es nur in den Großstädten
Wien, Graz und Salzburg.
Aber der Weißensee war immer schon ein bisschen anders als andere Touristenorte. Nicht, wenn man nach Nächtigungszahlen geht, die liegen konstant auf hohem Niveau: Schon in den 1970ern verzeichnete man rund 400.000 Nächtigungen pro Jahr, im Coronajahr 2020 stiegen sie auf den Rekord von knapp 470.000. Trotzdem sucht man große Skischaukeln hier vergeblich, ebenso Hotelburgen und Chalets. Am Seeufer stehen kleine Badehütten statt großen Villen, ein Großteil ist nur zu Fuß erreichbar. Am See sind Motorboote verboten, Ausnahmen gibt es nur für das Ausflugsschiff, den Wasserskianbieter und Einsatzkräfte. Im Vergleich zu anderen Seedestinationen wie Velden oder Wintersportorten wie Ischgl oder Kitzbühel wirkt die Kärntner Gemeinde fast ein wenig verschlafen.
Aber warum ist der Weißensee so anders? Manche am See erklären es mit den „Sturschädeln“der Weißenseer, die sich in der Abgeschiedenheit noch verfestigten und sogar der Gegenreformation trotzten (die Gemeinde ist größtenteils evangelisch). Manches lässt sich wohl auch damit erklären, dass am Weißensee durch die schwere Erreichbarkeit der Tourismusboom erst viel später einsetzte – und man so von den Fehlern anderer Regionen lernen konnte.
Bio und klimaneutral zu wirtschaften, sei keine Frage des Könnens, sondern des Wollens. »Wir haben hier schon Nachhaltigkeit gelebt, als es das Wort noch nicht einmal gegeben hat.«
„Mit ein bisschen Augenzwinkern könnte man sagen, dass wir hier schon Nachhaltigkeit gelebt haben, als es das Wort noch nicht einmal gegeben hat“, sagt Karoline Turnschek, Bürgermeisterin der Gemeinde Weißensee. Für die ÖVP-Politikerin war „einer der Grundsteine“für den naturnahen „Slow Tourism“, der am Weißensee praktiziert wird, eine Entscheidung in den 70ern. Damals stand eine Durchzugsstraße im Raum, die am Seeufer entlang eine viel schnellere Anbindung nach Villach hätte bringen sollen. Die Weißenseer stimmten dagegen, gut zwei Drittel der Ufer sind heute Naturschutzgebiet und dürfen nicht mehr bebaut werden. Auch sei einiges an Bauland in Grünland rückgewidmet worden. Auf Pestizide zu verzichten, beschlossen die Weißenseer Bauern schon in den 1960ern. „Das waren Schritte von den Generationen vor uns, die uns heute sehr zugutekommen“, sagt Turnschek.
Mit dem Zug. Die Weißenseer führen das Erbe weiter, etwa beim Verkehr: Seit einigen Jahren werden Gäste, die per Bahn anreisen, mit einem Bahnhofsshuttle den Berg bis zur Hoteltür hinaufgeführt, der „Naturparkbus“fährt im Halbstundentakt den See ab (für die meisten Gäste gratis), am Abend gibt es ein Rufshuttle. „Die gute Verbindung mit Zug und Shuttle ist für immer mehr Gäste buchungsentscheidend“, sagt Turnschek. Zehn Prozent der Gäste kämen mittlerweile mit der Bahn, „das ist viel. Neu ist auch, dass dies immer mehr Familien tun“, so Turnschek. Derzeit arbeite sie daran, den „Parksuchverkehr“der Tagesausfluggäste zu minimieren. Ein Konzept für einen weitgehend autofreien Weißensee liegt, so hört man, schon länger in einer Schublade der Gemeinde. Turnschek wolle aber zunächst einmal „Anreize schaffen“, das Auto stehenzulassen.
„Enkeltauglichkeit“und „Tourismus im Einklang mit der Natur“ist das, was für Turnschek zählt. Da passen die Investoren und Touristiker von außen, die immer wieder anklopfen und gern bei den zum Teil zahlungskräftigen Gästen mitschneiden würden, nicht wirklich dazu. Ein Großteil der Betriebe ist auch heute noch in Weißenseer Hand. Ja, es gebe noch Flächen mit Bauland, aber: „Es kann nur wer etwas kaufen, wenn jemand etwas verkauft“, sagt Turnschek. Und die Weißenseer wissen wohl selbst am besten, dass sie langfristig mehr profitieren, wenn die Wiesen möglichst Wiesen bleiben und so die naturliebenden Gäste nicht vertrieben werden. „Wir sind bei der Flächenwidmung extrem streng“, sagt die Bürgermeisterin nicht ohne Stolz. „Es wird nie bei uns passieren, dass jemand ein Wohnhaus am See baut.“Mit dem Nachsatz: „Ich hoffe es.“
Denn ein paar gibt es doch, die sich einkaufen. Wie etwa der Millio
när Christian Halper, den man vor allem als Gastronom und Gründer der vegetarischen Gourmet-Hotspots Tian kennt. 2008 übernahm Halper den Weißenseer Hof, nicht ohne Rumoren in der Gemeinde, zumal er noch ein weiteres altes Hotel erwarb, was bisher noch auf Entwicklung wartet. Doch Halpers Philosophie scheint sich gut einzufügen: Seit 2017 wird das Vier-Sterne-SuperiorHaus als rein vegetarisch-veganes Hotel namens „Strandhotel“geführt, inklusive 100-prozentiger Bioquote. „Es war die Antwort auf den steigenden Bedarf und die Nachfrage“, sagt Hoteldirektor Raphael Brandstetter. Das vegetarische Konzept geht auf: Man habe neben der Hauptgruppe aus dem D-A-CH-Raum sogar Gäste aus den USA und Großbritannien, die genau deswegen im Strandhotel buchen würden. „Das ist für den Weißensee schon speziell.“Auch in den selbst für den Weißensee schwierigeren Nebensaisonen sei das Strandhotel gut gebucht. Für die Klientel werden dann Yoga-, Achtsamkeitsund Pilzsucher-Retreats angeboten.
Das Strandhotel und der Weißensee passen jedenfalls zusammen, sagt Brandstetter, der schon bei großen Hotelketten tätig war und von sich sagt, angekommen zu sein. „Man merkt, dass der Ort etwas Besonderes, Verwunschenes hat. Man kommt zur Ruhe, obwohl es Aktivitäten en masse gibt. Aber immer ist man verbunden mit der Natur. Der Weißensee ist ein Lebensgefühl.“
Ob sich das der Kärntner See erhalten kann? Selbst dann, wenn Rückzugsorte in den Bergen durch den Klimawandel wohl noch beliebter werden? Es sei eine Frage der Balance, sagt Bürgermeisterin Turnschek. Einerseits lebe man vom Tourismus, andererseits von der Natur. Auch Brandstetter meint : „Ich weiß, dass die Weißenseer hart dafür kämpfen, dies zu erhalten.“