Ein Bremsschwung mit Sprengkraft
Wenn Skistars absichtlich langsam fahren, weil sie sich den Stress des Erfolgs sparen wollen, müssen im Weltcup die Alarmglocken schrillen.
Schneller, höher, weiter – in der Welt des Spitzensports lebt jeder Athlet und jede Athletin nach dieser Maxime. Oder etwa doch nicht? Eine Aussage der schwedischen Ex-Skirennläuferin Anja Pärson in den sozialen Netzwerken ließ aufhorchen. „Ich bin sogar einmal absichtlich schlecht gefahren, weil ich wegen all der Aktivitäten nach dem Rennen, den Medienterminen, der Siegerehrung und der Startnummernauslosung, müde und mental ausgelaugt war“, schrieb die Schwedin am Mittwoch unter ein Posting von Mikaela Shiffrin.
Die US-Amerikanerin hatte – wie zuvor schon ihr Lebensgefährte Aleksander Aamodt Kilde – Kritik an der Überbelastung im alpinen Skiweltcup geübt. „Ich glaube absolut, dass Müdigkeit zu diesem Zeitpunkt der Saison eine Rolle bei den vielen Verletzungen spielt, auch bei meiner“, erklärte sie. Shiffrin war vor zwei Wochen in Cortina d’Ampezzo gestürzt und lässt seitdem ihr Knie behandeln. In Soldeu, wo im Riesentorlauf am Samstag die Schweizerin Lara Gut-Behrami vor der Neuseeländerin Alice Robinson und der USAmerikanerin AH Hurt siegte, konnte die 28-Jährige ebenso nicht am Start stehen wie zuletzt am Kronplatz. Im Gesamtweltcup liegt Gut-Behrami nun fünf Punkte voran.
Der Kampf um die große Kristallkugel, in dem Gut-Behrami bei noch neun ausstehenden Speedrennen klar im Vorteil ist, ist Shiffrin vorerst egal. Sie forderte dazu auf, mehr Rücksicht auf die „Bedürfnisse der Topathleten“zu nehmen. Einerseits mit Blick auf den Rennkalender, andererseits auf das auch von Pärson angesprochene Programm drumherum. „Es ist ziemlich schwer, in Worte zu fassen, wie hoch die tatsächlichen Anforderungen an Athleten sind, die in mehreren Disziplinen unter den Top 15 sind und regelmäßig auf dem Podium stehen“, führte Shiffrin aus. „Es ist wirklich zu viel.“
Keine Planungssicherheit. Ob auch die besten Skifahrer der Gegenwart einen Bremsschwung einlegen wie einst Pärson (die heute 42-Jährige ist Olympiasiegerin, war siebenfache Weltmeisterin und zweifache Gesamtweltcupsiegerin)? Fest steht, dass eine derartige Flucht vor dem Stress des Erfolgs Sprengkraft im alpinen Skizirkus hat. Aktive und ehemalige Athleten sowie nationale Verbände fordern nicht zuletzt vom Internationalen Skiverband FIS Lösungsansätze.
„Vielleicht liegt die Wahrheit in der Mitte. Besonders wenn wir keine Planungssicherheit mit der Fernseh- und Startzeit haben. Der heurige Kalender ist turbulent. Schon zu Beginn wurden die Rennen abgesagt. Dann wurde es mit dem Nachholen immer dichter. Die Menge würde irgendwann zu gefährlich werden. Die Sicherheit steht ganz oben. Die FIS muss sich da etwas überlegen“, sagte etwa Roswitha Stadlober, Präsidentin von Ski Austria, Anfang dieser Woche in „Sport und Talk“auf ServusTV.
Österreichs Ex-Skistar Benjamin Raich nahm in derselben Sendung alle Beteiligten in die Pflicht: „Vom Athleten bis zum Verband und der FIS muss sich jeder hinterfragen. Von der Skipräparierung, zum Airbag, zum schnittfesten Anzug. Es gibt viel, was man umsetzen kann. Man muss was tun, auch wenn es nicht einfach ist.“Für Ski-Austria-Generalsekretär Christian Scherer ist klar, dass auf der Piste gebremst werden muss – jedoch sollen gleichzeitig Athleten nicht in die Ecke gedrängt werden, bewusst schwächere sportlichen Leistungen abzuliefern. „Wir sind am Formulieren gewisser Regeländerungsanträge an die FIS“, erklärte er vergangene Woche. Das Material werde von Jahr zu Jahr besser, die Risikobereitschaft steige stetig. Es gehe darum, die Geschwindigkeit zu reduzieren, etwa durch den Einsatz anderer Anzüge oder die Skipräparierung.
Wie die Mehrbelastung abseits der Rennpisten eingedämmt werden soll, blieb bislang weitestgehend unbeantwortet. Also jene Belastung, die unlängst auch Kilde anprangerte. Ohne den in Wengen schwer gestürzten Norweger ging in Bansko am Samstag ein Riesentorlauf über die Bühne. Es siegte der Schweizer Marco Odermatt vor dem Norweger Alexander Steen Olsen. Manuel Feller als Dritter und Stefan Brennsteiner als Vierter sorgten für ein starkes ÖSV-Ergebnis.
Wer regelmäßig auf dem Podest steht, verliert wertvolle Zeit für Erholung und Regeneration.