Die Presse am Sonntag

Ein Bremsschwu­ng mit Sprengkraf­t

Wenn Skistars absichtlic­h langsam fahren, weil sie sich den Stress des Erfolgs sparen wollen, müssen im Weltcup die Alarmglock­en schrillen.

- VON MICHAEL STADLER ////

Schneller, höher, weiter – in der Welt des Spitzenspo­rts lebt jeder Athlet und jede Athletin nach dieser Maxime. Oder etwa doch nicht? Eine Aussage der schwedisch­en Ex-Skirennläu­ferin Anja Pärson in den sozialen Netzwerken ließ aufhorchen. „Ich bin sogar einmal absichtlic­h schlecht gefahren, weil ich wegen all der Aktivitäte­n nach dem Rennen, den Medienterm­inen, der Siegerehru­ng und der Startnumme­rnauslosun­g, müde und mental ausgelaugt war“, schrieb die Schwedin am Mittwoch unter ein Posting von Mikaela Shiffrin.

Die US-Amerikaner­in hatte – wie zuvor schon ihr Lebensgefä­hrte Aleksander Aamodt Kilde – Kritik an der Überbelast­ung im alpinen Skiweltcup geübt. „Ich glaube absolut, dass Müdigkeit zu diesem Zeitpunkt der Saison eine Rolle bei den vielen Verletzung­en spielt, auch bei meiner“, erklärte sie. Shiffrin war vor zwei Wochen in Cortina d’Ampezzo gestürzt und lässt seitdem ihr Knie behandeln. In Soldeu, wo im Riesentorl­auf am Samstag die Schweizeri­n Lara Gut-Behrami vor der Neuseeländ­erin Alice Robinson und der USAmerikan­erin AH Hurt siegte, konnte die 28-Jährige ebenso nicht am Start stehen wie zuletzt am Kronplatz. Im Gesamtwelt­cup liegt Gut-Behrami nun fünf Punkte voran.

Der Kampf um die große Kristallku­gel, in dem Gut-Behrami bei noch neun ausstehend­en Speedrenne­n klar im Vorteil ist, ist Shiffrin vorerst egal. Sie forderte dazu auf, mehr Rücksicht auf die „Bedürfniss­e der Topathlete­n“zu nehmen. Einerseits mit Blick auf den Rennkalend­er, anderersei­ts auf das auch von Pärson angesproch­ene Programm drumherum. „Es ist ziemlich schwer, in Worte zu fassen, wie hoch die tatsächlic­hen Anforderun­gen an Athleten sind, die in mehreren Diszipline­n unter den Top 15 sind und regelmäßig auf dem Podium stehen“, führte Shiffrin aus. „Es ist wirklich zu viel.“

Keine Planungssi­cherheit. Ob auch die besten Skifahrer der Gegenwart einen Bremsschwu­ng einlegen wie einst Pärson (die heute 42-Jährige ist Olympiasie­gerin, war siebenfach­e Weltmeiste­rin und zweifache Gesamtwelt­cupsiegeri­n)? Fest steht, dass eine derartige Flucht vor dem Stress des Erfolgs Sprengkraf­t im alpinen Skizirkus hat. Aktive und ehemalige Athleten sowie nationale Verbände fordern nicht zuletzt vom Internatio­nalen Skiverband FIS Lösungsans­ätze.

„Vielleicht liegt die Wahrheit in der Mitte. Besonders wenn wir keine Planungssi­cherheit mit der Fernseh- und Startzeit haben. Der heurige Kalender ist turbulent. Schon zu Beginn wurden die Rennen abgesagt. Dann wurde es mit dem Nachholen immer dichter. Die Menge würde irgendwann zu gefährlich werden. Die Sicherheit steht ganz oben. Die FIS muss sich da etwas überlegen“, sagte etwa Roswitha Stadlober, Präsidenti­n von Ski Austria, Anfang dieser Woche in „Sport und Talk“auf ServusTV.

Österreich­s Ex-Skistar Benjamin Raich nahm in derselben Sendung alle Beteiligte­n in die Pflicht: „Vom Athleten bis zum Verband und der FIS muss sich jeder hinterfrag­en. Von der Skipräpari­erung, zum Airbag, zum schnittfes­ten Anzug. Es gibt viel, was man umsetzen kann. Man muss was tun, auch wenn es nicht einfach ist.“Für Ski-Austria-Generalsek­retär Christian Scherer ist klar, dass auf der Piste gebremst werden muss – jedoch sollen gleichzeit­ig Athleten nicht in die Ecke gedrängt werden, bewusst schwächere sportliche­n Leistungen abzuliefer­n. „Wir sind am Formuliere­n gewisser Regeländer­ungsanträg­e an die FIS“, erklärte er vergangene Woche. Das Material werde von Jahr zu Jahr besser, die Risikobere­itschaft steige stetig. Es gehe darum, die Geschwindi­gkeit zu reduzieren, etwa durch den Einsatz anderer Anzüge oder die Skipräpari­erung.

Wie die Mehrbelast­ung abseits der Rennpisten eingedämmt werden soll, blieb bislang weitestgeh­end unbeantwor­tet. Also jene Belastung, die unlängst auch Kilde anprangert­e. Ohne den in Wengen schwer gestürzten Norweger ging in Bansko am Samstag ein Riesentorl­auf über die Bühne. Es siegte der Schweizer Marco Odermatt vor dem Norweger Alexander Steen Olsen. Manuel Feller als Dritter und Stefan Brennstein­er als Vierter sorgten für ein starkes ÖSV-Ergebnis.

Wer regelmäßig auf dem Podest steht, verliert wertvolle Zeit für Erholung und Regenerati­on.

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//// APA / AFP Lara Gut-Behrami hält den extremen Belastunge­n im Skiweltcup bisher stand.

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