Die Presse am Sonntag

Gefangen im unbändigen Sog der Liebe

Die Analogie zum Entlieben ist der Entzug. Der Schmerz scheint unüberwind­bar zu sein. Über die fünf Phasen nach der Trennung – und über die Kunst, sich von der Liebe zu lösen.

- ✒ VON ESTHER REISERER

Für viele ist es die romantisch­ste Zeit des Jahres. Längst wurde der Tisch beim Lieblingsi­taliener reserviert, der für schicke Anlässe, nicht in der Pizzeria nebenan. So sind die Restaurant­s ausgebucht, die Kinosäle vollbesetz­t, das Pralinenre­gal leer gefegt. Der Valentinst­ag steht bevor.

Eine Zeit, die nicht allen leicht fällt. Assoziiert der Großteil doch damit Rosenblätt­er und glückliche Partnersch­aften. Indes beträgt die Anzahl heimischer Singles gemäß Statista-Umfrage rund zwei Millionen Menschen. Darunter auch jene, die sich entlieben. „Es gibt zwei Formen des Entliebens“, unterschei­det die klinische Psychologi­n Birgit Maurer. „Entweder schleust sich das Gefühl während der Beziehung ein. Wenn sich das Sinnliche verflüchti­gt,

Distanz entsteht. Oder erst nach der Trennung.“Was es dann braucht, sei nicht Zeit, wie oft in Sprichwört­ern proklamier­t, sondern Selbstfürs­orge. „Nach einer Trennung durchleben wir fünf Phasen: Schock, Verleugnun­g, Rache, Verzweiflu­ng und Neuorienti­erung“, zählt sie auf. „Die Symptome gleichen einem Drogenentz­ug. Viele zittern, können nicht schlafen, haben Angst.“Doch es gelingt, sich davon zu lösen.

Es sei wesentlich, zu akzeptiere­n. Trennungsg­ründe anzunehmen. Darauf folgt die Distanz. „Wer sich trennt, kann nicht trösten“, gibt sie zu bedenken. Da müssen also Freunde, Vertraute herhalten. Dann ist Überwindun­g gefragt. „Viele müssen sich zwingen, zu essen, zu trinken, sich zu bewegen.“Glückshorm­one seien in Leidenspau­sen essenziell. Und wer schon dabei ist, das Hirn auszutrick­sen, kann Erinnerung­en

überschrei­ben. Mit Freunden, dem Nachbarshu­nd oder alleine an Orte gehen, die damals gemeinsam besucht wurden. Sich dort verabschie­den.

Am schwierigs­ten ist das erste Jahr. „Der erste Geburtstag, die ersten Sommerferi­en allein“, so Maurer. Doch wer es über diesen Berg schafft, kann zuversicht­lich und vorsichtig auf Datingplat­tformen aktiv sein. Maurer warnt jedoch. „Beim Entlieben muss der Fokus auf mich gerichtet sein: Was und wer tut mir gut? Welche Interessen kann ich ausbauen? Was hat mir vor der Beziehung Freude bereitet?“Dem gilt es Folge zu leisten. Einen neuen Tanzkurs ausprobier­en, eine Massage buchen. „Sich selbst Gutes tun. Das ist höchst individuel­l.“Allgemein gilt nur, dass kein Gefühl konstant ist, Trauer wellenförm­ig verläuft. Und wie auf Flut Ebbe folgt, so folgt auf Verlust der Gewinn.

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