Das Empire und die Meuterer auf der Bounty
Die Geschichte von der Meuterei auf der Bounty ist mehr als ein reißerischer Stoff. Bettet man sie ein in den Kontext des 18. Jahrhunderts, das britische Expansionsstreben im Dienst des Handels, wird daraus eine erhellende Analyse über eine Kolonialmacht.
Wie alle Kommandanten war auch der Kapitän eines britischen Schiffes im 18. Jahrhundert ein einsamer Mann. Die gesamte Verantwortung lastete auf seinen Schultern, sie war riesig. Er musste die Disziplin aufrechterhalten, es war verboten, ihn ohne Aufforderung anzusprechen, er sprach Recht, verhängte Strafen bis hin zur Auspeitschung, durfte sogar die Gottesdienste halten, wenn kein Priester an Bord war. Es gab unter den Kommandanten der Royal Navy Sadisten, und es gab fürsorgliche Mannschaftsführer. Was ihnen allen gemeinsam war: Sie vertraten auf dem Schiff die britische Krone und ihre Souveränität. Ungehorsam war daher ein Staatsdelikt, Meuterer kamen vor ein Kriegsgericht und waren mit der Todesstrafe bedroht. Ihr Delikt wurde mit einem Staatsstreich gleichgesetzt.
Ausgesetzt. Meutereien waren im 18. und 19. Jahrhundert in den Seefahrernationen durchaus nicht ungewöhnlich. Was sich allerdings am frühen Morgen des 28. April 1789 an Bord der Bounty zutrug, war beispiellos: Ein Kapitän, William Bligh, wurde von aufrührerischen Seeleuten im Nachthemd aus seiner Kajüte gezerrt, öffentlich gedemütigt und mit 18 seiner Besatzungsmitglieder auf offener See in einem winzigen Boot ausgesetzt, nur ausgestattet mit ein paar Waffen, nautischen Instrumenten und Proviant für maximal fünf Tage. Ein sicheres Todesurteil also. Das hatte es in der europäischen Seefahrt zuvor nicht gegeben.
Meuterer kamen vor ein Kriegsgericht und waren mit der Todesstrafe bedroht.
Kein Wunder, dass dieses Geschehen eine besondere Faszination ausübte. Vor allem, dass die Ausgesetzten auf dem Pazifischen Ozean eine gefährliche Seefahrt von über 6700 Kilometern bis hin zur Insel Timor nördlich von Australien
überlebten, war ein ungewöhnliches Zeugnis von Überlebensfähigkeit, natürlich auch eine nautische Meisterleistung. „Unsere Körper waren nichts als Haut und Knochen, unsere Glieder voller Geschwüre und unsere Kleider nichts als Lumpen“, schrieb Kapitän Bligh nach diesen schrecklichen 48 Tagen auf einem Boot.
Die Versuchung ist groß, aus diesem sagenhaften Stoff eine reißerische Abenteuergeschichte zu machen, im 20. Jahrhundert hat sich ja auch die Filmindustrie gern dieses Sujets angenommen. Auch das neue Buch des Seefahrtspezialisten Simon Füchtenschnieder ist eine spannende Lektüre. Doch es hat weit mehr zu bieten als die aufregende, atmosphärisch dicht erzählte Story einer „Meuterei im Paradies“, so der Titel. Er bettet den Stoff nämlich ein in den seefahrthistorischen und wirtschaftlichen Kontext seiner Zeit, legt die Handelsinteressen der britischen Kolonialmacht offen und belegt dies alles mit einem Anmerkungs- und Literaturteil von über 60 Seiten.
Damit sind wir bei der Vorgeschichte dieser berühmten Seefahrt, der maritimen Expansion Großbritanniens. Sie bedeutete Macht und Reichtum, aber auch eine gewaltige Wissensvermehrung. Seit den Missionen von James Cook waren ausgebildete Naturkundler mit an Bord der Schiffe. Die Royal Navy, gegründet als reine Kriegsmarine, ging über ihre Kernaufgabe hinaus und schickte ab 1760 auch Schiffe auf wissenschaftliche Entdeckungsreisen. Es galt, die Welt „lesbarer“zu machen, Daten zusammenzutragen.
Tahiti. Botaniker sollten für einen globalen und systematisch betriebenen Pflanzentransfer sorgen. England sollte auch Macht über die Pflanzen haben. Das Interesse an den fernen, „unverfälschten“Menschen etwa der Inseln Polynesiens war groß. James Cook hatte den respektvollen Umgang mit ihnen gelehrt. Besonders die Bewohner Tahitis galten in der Vorstellung der Europäer als edle und gute Wilde.
Weniger respektvoll gingen die Briten mit den Tausenden Sklaven auf ihren Zuckerrohrplantagen in der Karibik um. Zucker gehörte zu den begehrtesten Besitztümern, die eine Weltmacht damals haben konnte. Auf Jamaika kommandierte ein Weißer im Schnitt mehr als 300 Sklaven und Sklavinnen. Viele reiche Briten lebten in ihrer Heimat davon. Um diese Massen von Sklaven zu ernähren, hatte der Botaniker Sir Joseph Banks, Präsident der Royal Society, die Idee, die Brotfrucht aus Tahiti in die Karibik zu importieren. Für ihn war sie eine der nützlichsten Gemüsesorten der Welt, bald waren die Plantagenbesitzer dafür gewonnen. Doch wie sollte der Gemüsetransfer durchgeführt werden? Wie sollten die Pflanzensetzlinge von Tahiti nach Jamaika gelangen? Sie mussten immerhin eine Seereise von 12.000 Meilen überstehen.
Banks erreichte, dass die Admiralität ein Handelsschiff namens Bounty für diesen Zweck aufkaufte. Der Dreimaster hatte 220 Tonnen, eine Länge von knapp 26 Metern und eine Breite von rund 7,5 Metern. Das war eine sparsame Lösung, zumal nur 46 Mann Besatzung angeheuert wurden. Eine schlechte Entscheidung folgte der anderen, die Wurzeln für die spätere Meuterei wurden vor der Abfahrt gelegt. „Entscheidend war die mangelnde Sorgfalt der Admiralität, die unzureichende Vorbereitung der Reise,
das Fehlen einer tragfähigen Kommandostruktur“, so der Autor. Die Bounty war für eine lange, gefährliche Reise schlicht nicht geeignet.
Kommandant wurde William Bligh, er hatte Südsee-Erfahrung, war bei Cooks letzter Reise 1776 bis 1780 dabei gewesen, seine nautische Erfahrung war unbestritten. Doch man hatte keinen Wert darauf gelegt, ihn zum Kapitän zu befördern, auch die bei Handelsschiffen üblichen Seesoldaten, die für Ordnung an Bord sorgten, fehlten bei der Bounty. Und schließlich kam es zu einem verhängnisvoll späten Abreisetermin: der 23. Dezember 1787. Das bedeutete schwere Stürme, Schnee, Hagel und Eis beim berüchtigten Kap Hoorn, 30 Tage dauerte der Versuch, es zu umsegeln – vergeblich. 38 Tage dauerte danach die Reparatur des Schiffs. Dann wurde die Route um Südafrika, um das Kap der Guten Hoffnung gewählt, zusätzliche 10.000 Seemeilen.
Die Autorität von William Bligh war von Anfang an nicht sehr gefestigt. Wie auch? Symbol der Macht war normalerweise die große Kapitänskajüte, die die ganze Breite des Schiffs einnahm. Sie wurde bei dieser Fahrt in ein großes Gewächshaus verwandelt, für insgesamt 629 Pflanzentöpfe und einen Ofen, der die Pflanzen bei kaltem Wetter warm halten sollte. Der Kapitän erhielt dagegen einen kleinen, fensterlosen Raum. Eigentlich würdelos. Ahnte er, welche Probleme sich daraus ergeben könnten? Ein Missgriff war die Wahl seines Stellvertreters. Fletcher Christian wurde von ihm zum Leutnant befördert, er sollte sein größter Widersacher werden.
Fünfeinhalb Monate blieb die Bounty nach der Ankunft auf Tahiti vor Anker, um das Wachstum der Brotfruchtsetzlinge abzuwarten. Die Besatzungsmitglieder fanden Gefallen am Leben hier, man konnte sich der Disziplin und Ordnung an Bord etwas entziehen, was Bligh merkte und was ihn nervös und reizbar machte. Entfremdung zeigte sich zwischen ihm und seiner Mannschaft, die am liebsten gar nicht mehr nach England zurückkehren wollte. Am 31. März 1789 verließ das Schiff Tahiti, mit 1015 Brotfruchtsetzlingen und einer Menge aufgestauter Empörung an Bord. Die Konflikte entzündeten sich bald. Offene Streitereien zeigten die tiefe Zäsur zwischen Kapitän und Mannschaft. Es kam, wie es kommen musste.
Das Handelsschiff Bounty war für eine lange, gefährliche Reise schlicht nicht geeignet.
Brotfrucht. Die erste Brotfruchtexpedition war damit gescheitert. Dennoch wurde William Bligh nach seiner Rückkehr nach England zunächst als Held gefeiert, seine Erinnerungen in Buchform fanden reißenden Absatz. Die gefassten Rebellen wurden vor ein Kriegsgericht gestellt, raffinierten Anwälten gelang es, Blighs Ruf ordentlich zu ramponieren. Die Diskussion, ob es auf britischen Schiffen eine derartig rigide Disziplin brauchte, kam dann auch irgendwann.
Und die Brotfrucht? Sie wurde bei einer weiteren Fahrt nach Jamaika transportiert, dort aber von den Sklaven abgelehnt. Sie entsprach nicht ihrem Geschmack, der an andere Frucht- und Gemüsesorten aus der Karibik und aus Afrika gewöhnt war. Außerdem war sie gar nicht mehr nötig. Die Nahrungsknappheit hatte sich durch die Beendigung des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs entspannt. So wurde die Brotfrucht Schweinefutter. Erst nach Abschaffung der Sklaverei fand ein Umdenken statt. Die Brotfrucht etablierte sich bei den freien Bauern als beliebtes Nahrungsmittel. Sie ist heute ein fixer Bestandteil der karibischen Küche.