Culture Clash
Faktenmärchen. Gibt es aus biologischer Sicht mehr als zwei Geschlechter? Und gibt es zu seriös und unseriös in Medien und Politik eine dritte Kategorie (nicht bloß Abstufungen)?
Karl Nehammer sagte in „Heute“am 30. Jänner: „Es gibt biologisch gesehen nur zwei Geschlechter – Mann und Frau.“Dagegen hat nach dreiwöchiger Recherche das „profil“in dem als „Faktencheck“ausgewiesenen Artikel „Das Kanzler-Märchen von Mann und Frau“behauptet: „Die Biologie beweist das Gegenteil.“Das allerdings ist nicht einhellige Ansicht heutiger Biologen. Gibt es doch nur weibliche und männliche Keimzellen, weibliche und männliche Geschlechtsmerkmale und weibliche und männliche Sexualhormone und von all dem keine dritte Art.
Das bestätigt sogar im Artikel die Autorin selbst, wenn sie Intersexuelle anführt, die „meist die Merkmale beider Geschlechter in sich“tragen. Beide Geschlechter – also zwei. Auch der einzige zitierte Biologe spricht nicht von mehreren Geschlechtern, sondern von Chromosomen-Anomalien. Anomalien sind keine Grundkategorien. Es fällt auch an anderen Orten auf, dass selbst jene Wissenschaftler, die als Kronzeugen aufgerufen werden, ungern ausdrücklich von mehr als zwei Geschlechtern reden. Natürlich kann man jede Mischungsvariante weiblicher und männlicher Merkmale als eigenes Geschlecht definieren. Aber dann gäbe es so viele Geschlechter, wie es Menschen gibt.
Was den sozialen Begriff des Geschlechts, die Selbstwahrnehmung und das Leid vieler mit ihrem Körper betrifft, ist eine andere Geschichte. Die Kontroverse um die biologische Sicht ist jedenfalls erhellend: Sie zeigt uns, dass „Faktencheck“auch nur normaler, mehr oder weniger ideologiegetriebener Journalismus ist. Weiters, dass die Frage der Geschlechteridentität so sehr Überzeugungssache ist, dass selbst seriöse Journalisten (gibt es neben seriösen und unseriösen eine dritte Kategorie?) ihre Widersprüche übersehen. Und schließlich, wie heikel es ist, wissenschaftliche Klarheit zu beanspruchen (wie auch in ORF III: „Meine Kollegin aus dem Wissenschaftsressort […] ist zu dem Schluss gekommen: Diese Aussage ist falsch.“) Umso mehr noch, wenn etwa in der Transsexualität zur biologischen Faktenlage die medizinische hinzukommt, die noch viel unklarer ist.
Was man „Wissenschaftsleugnung“nennt, ist vielleicht oft nicht Skepsis gegenüber der Wissenschaft, sondern gegenüber den Absichten jener, die sich mit der Berufung auf „die Wissenschaft“unangreifbar machen wollen. Dass das „profil“so was checkt, ist schon okay. Es kann sich aber auch eine Aversion gegen den Begriff „Fakten“entwickeln, wenn Faktenchecks vermuten lassen, dass auch andere Interessen als der reine Wille zur Aufklärung im Spiel sein könnten.