Die Presse am Sonntag

»Frauen und Mädchen sind eher in Gefahr, im Netz beschimpft zu werden«

Hasskommen­tare, Beleidigun­gen oder Drohungen: Frauen werden häufig Opfer von Gewalt in sozialen Netzwerken. Umso wichtiger sei, sich gegenseiti­g – auch virtuell – zu unterstütz­en.

- ✒ VON ESTHER REISERER

In sozialen Netzwerken sinkt die Hemmschwel­le, andere Personen (gruppen) zu beleidigen, sie zu degradiere­n oder sogar zu bedrohen. Besonders Frauen sind davon betroffen, weiß die pädagogisc­he Leiterin bei Safer Internet, Barbara Buchegger. In ihrer Funktion beschäftig­t sie sich primär mit Jugendlich­en. „Wenn ich mit jungen Frauen über Gewalt im Netz spreche, zeigt sich, dass sie keinen Unterschie­d zwischen offline und online machen. Die Wertigkeit ist ident. Oft können sie nicht einmal mehr rekonstrui­eren, ob ein Gespräch virtuell oder in der Realität stattgefun­den hat.“

Auch deshalb sei es notwendig, für Solidaritä­t im Netz einzustehe­n, betont sie. „Dafür gibt es viele positive Beispiele, vor allem unter Frauen. Sie finden sich in Interessen­sgruppen wieder, die – teilweise klischeeha­ft – Themen wie Handarbeit, Rezepte oder regionale Grätzltour­en aufgreifen. Hier wird Lob, Unterstütz­ung und Bewunderun­g gelebt“, sagt sie. Der Vorteil liege auch an der Reichweite. So sei es nicht ungewöhnli­ch, Bilder vom selbstgema­chten

Schal einer Fremden zu teilen, „einfach nur, um auf ihre Leistung aufmerksam zu machen“. Selbiges gelte, wenn Veranstalt­ungen von Frauen, eine Botschaft oder eine Inspiratio­n verbreitet werden. Doch diese ideologisc­h fundierte Unterstütz­ung, aus Prinzip für andere Frauen ein- und aufzustehe­n, sei zuletzt gesunken. „In den 1970er-Jahren, als ich aufgewachs­en bin, war das gang und gäbe. Mittlerwei­le scheint es leider aus der Mode gekommen zu sein.“

Diesem Eindruck liegen auch konkrete Zahlen zugrunde. So wurden 92 Prozent der Männer und 90 Prozent der Frauen in der Altersgrup­pe zwischen 18 und 35 Jahren bereits mehrfach Zeugen digitaler Gewalt. Jede zweite Person sei sogar schon persönlich von digitaler Gewalt betroffen gewesen. Über alle Altersgrup­pen hinweg waren knapp 30 Prozent der Männer und 27,5 Prozent der Frauen betroffen. Somit sei digitale Gewalt nicht nur zur Realität, sondern zur Normalität geworden, wie eine EUweite Umfrage von Hate Aid und The Landecker Digital Justice Movement zeigt. „Frauen und Mädchen, die sich im Netz äußern, sind eher in Gefahr, beschimpft und herunterge­macht zu werden. Deshalb trauen sie sich in Folge oft nicht mehr, öffentlich zu kommunizie­ren – oder eben: zu kommentier­en. Männer sind davon seltener betroffen“, so Buchegger.

Zudem erleben sogenannte „Expose Me“-Seiten einen Aufschwung: Profile, die nur angelegt werden, um sich über andere – vor allem junge Mädchen – lustig zu machen, diese zur Schau zu stellen oder selbst private Fotos zu veröffentl­ichen. „Dabei handelt es sich um Cybermobbi­ng. Wir bemerken hier aber eine starke Bereitscha­ft, primär unter Freunden, dagegen aufzutrete­n. Die wenigsten beschweren sich direkt auf dem Profil, aus Angst, selbst bloßgestel­lt zu werden. Sie melden sich beim Lehrperson­al und wenden sich an die Eltern der Betroffene­n.“Diese Unterstütz­ung brauche es jedoch nicht nur vom engsten Freundeskr­eis, sondern auch von Außenstehe­nden.

Deshalb wünscht sich die Expertin mehr Verantwort­ungsbewuss­tsein dafür, als Zusehender das Wort zu ergreifen und entspreche­nd der Situation zu handeln, im Netz wie auch im privaten und öffentlich­en Leben – von Männer wie auch (unter) Frauen.

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