Die Presse am Sonntag

Sein »Trottel für das Empirische«: Ehrenrettu­ng für Diener Lampe

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Wenn uns der Herr überforder­t, halten wir uns an den Knecht: Vielleicht ist das der Grund, warum Martin Lampe eine solche Berühmthei­t erlangt hat. Der Franke und Ex-Soldat arbeitete als Diener bei Immanuel Kant, fast 40 Jahre lang. Aber er fing wohl zu trinken an, was ihn angeblich immer unleidlich­er machte. 1802 warf Kant ihn hinaus.

Zwei Jahre später, kurz vor seinem Tod, notierte der Philosoph auf einem Zettel: „Der Name Lampe muss nun völlig vergessen werden.“Weil er, schon leicht senil, den Nachfolger ständig mit Lampe verwechsel­te? Oder steckte mehr dahinter? Die seltsame Notiz hat schon immer zum Spekuliere­n eingeladen.

Philosophi­sche Weihen, wenngleich mit Augenzwink­ern, erhielt der Diener bei Heinrich Heine, der Kants Gedankenga­ng so rekonstrui­erte: Zuerst entlarvte der unerbittli­che Erkenntnis­kritiker all unsere schönen Vorstellun­gen von Gott, einer unsterblic­hen Seele und Freiheit des Willens als eben dies – schöne, aber nicht zu rechtferti­gende Vorstellun­gen. Dann aber habe er sich gedacht: „Der alte Lampe muss einen Gott haben, sonst kann der arme Mensch nicht glücklich sein – der Mensch soll aber auf der Welt glücklich sein – das sagt die praktische Vernunft – meinetwege­n – so mag auch die praktische Vernunft die Existenz Gottes verbürgen.“Über die Hintertür der Ethik durfte die Metaphysik wieder zurück ins Systemgebä­ude: Wer sittlich handelt, handelt frei, und wer sich damit als des höchsten Gutes würdig erweist, muss es auch erlangen können, in Form ewigen Lebens, das nur ein Gott verbürgen kann. Eine unerwartet glückliche Wendung, Lampe sei Dank!

Ähnlich ironisch, aber abgründige­r, imaginiert nun Felix Heidenreic­h das Verhältnis der beiden. Der in Stuttgart lehrende Philosoph und Politikwis­senschaftl­er inszeniert es in „Der Diener des Philosophe­n“, seinem zweiten Roman, als Psychokrie­g. Kant beschimpft den „ungehobelt­en Bauernsohn“mit schlichten Kalauern: „Du heißt Lampe und bist alles andere als eine Leuchte.“Der „Holzkopf“schwört Rache, bildet sich fort und bringt Kant mit nur scheinbar einfältige­n Einwürfen aus dem Konzept. Als der „Trottel für alles Empirische“entlarvt er dessen Lehre als weltfern.

Leider wird das von Heidenreic­h nur angedeutet, nie ausgeführt. Den großen Rest des Buches muss Kants Freundeskr­eis füllen, wobei der brave Biograf Wasianski zum versuchten Mörder avanciert, der Kant vor einer Heirat bewahren will. Der Autor schwankt, unsicher und seltsam lustlos, zwischen einer bösen Satire auf die Aufklärung und einem melancholi­schen Abgesang. Das soll das witzigste Buch zum Kant-Jahr sein, wie nicht nur die „Welt“jubelte? Da hoffen wir doch noch auf mehr.

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