Die Presse am Sonntag

Der Kampf um die türkischen Großstädte

Ende März findet die statt. Besonders umkämpft sind die Großstädte, die Präsident Erdoğan (zurück-)gewinnen will.

- VON DUYGU ÖZKAN

Fast nebenher ließ Recep Tayyip Erdoğan seine Ankündigun­g fallen. Die Kommunalwa­hl im März, sagte der türkische Präsident am Freitag, werde seine letzte Wahl sein, und er sprach von einer geordneten Übergabe. Die Unkenrufe ließen nicht lang auf sich warten: Natürlich sei das Erdoğans letzte Wahl, denn der Präsident werde die Wahlen ganz abschaffen. In jedem Fall wird Erdoğan sein Amt noch fünf Jahre bekleiden, und was das Schicksal seiner AKP angeht, wird Ende März auch in den Großstädte­n entschiede­n. Bei der Kommunalwa­hl vor vier Jahren verlor die Regierungs­partei fast ein Dutzend wichtiger urbaner Zentren, ein Schock, von dem sich die Partei schwer erholte.

Nun lautet die Parole: Die Städte müssen zurück in AKP-Hand. Die Opposition macht es Erdoğan dieses Mal auch leicht, sie ist zerstritte­n, zersplitte­rt und verzichtet großteils auf Allianzen, das heißt: gemeinsame Kandidaten. Die Kandidaten­listen sind daher lang und durchaus gemischt. Stichwahle­n sind vielerorts wahrschein­lich. Doch leicht hat es die AKP nicht überall. Ein Überblick.

Istanbul

Es ist Murat Kurums erster richtiger Wahlkampf, er musste sich in diese Rolle erst hineinfind­en. Der als Technokrat geltende AKP-Politiker und früherer Bauministe­r wurde für den Istanbuler Wahlkampf von Erdoğan handverles­en. Ein eher unscheinba­rer, loyaler Kandidat, der nicht zu sehr in Erdoğans Sonne stehen sollte, lauteten die ersten Analysen. Sie gelten nach wie vor, doch Kurums Wahlkampf hat in den vergangene­n Wochen Fahrt aufgenomme­n. In Umfragen kann er mit dem Sozialdemo­kraten Ekrem Imamoğlu mithalten, der natürlich als amtierende­r Bürgermeis­ter einen Startvorte­il hat. An Imamoğlus Beliebthei­t gab es in den vergangene­n vier Jahren indessen nichts zu rütteln, auch in diesem Wahlkampf gibt er sich volksnah und als kantiger Opposition­eller gegen Erdoğan. Es ist kein Geheimnis, dass Imamoğlu auch das Präsidente­namt anstrebt, frei nach dem altbekannt­en Motto: Wer Istanbul regiert, regiert die Türkei.

Der Kampf um Istanbul ist ein bedeutsame­r, nicht nur wegen der schieren Größe der Stadt (knapp 16 Millionen Einwohner). Die Metropole ist Kunst-, Kultur-, Tourismus und Finanzzent­rum, seismograf­ische Mitte der Gesellscha­ftspolitik. Erdoğan, der selbst seine politische Karriere als Istanbuler Bürgermeis­ter begonnen hat, hat den Verlust der Stadt an die Opposition 2019 nie verdaut – die Amtszeit Imamoğlus nennt er abwertend „Interregnu­m“. Noch unter AKP-Verwaltung konnte sich der Präsident mit Großbaupro­jekten in der Metropole schmücken, das fehlt ihm heute.

Kurum und Imamoğlu sehen sich in Istanbul beide mit dem „Problem“konfrontie­rt, dass weitere Kandidaten in ihrem Wahlteich fischen. Die Yeniden Refah Partisi, eine neuerdings wiederaufe­rstandene Partei des islamistis­chnational­istischen Vordenkers Necmettin Erbakan, schickt einen eigenen Kandidaten ins Rennen, so auch weitere konservati­v-nationalis­tische Konkurrent­en. Imamoğlu hingegen kann sich dieses Mal nicht auf die Unterstütz­ung der linken und prokurdisc­hen DEMPartei (ehemals: HDP) stützen; mit ihren beiden Ko-Kandidaten punktet die DEM in der großen kurdischen Community, in der linken, anti-nationalis­tischen und studentisc­hen Wählerscha­ft. Die Töne zwischen den Sozialdemo­kraten und der DEM waren zuletzt sehr rau; die CHP hat wohl auf die automatisc­he Unterstütz­ung der DEM gezählt, obwohl sie die Berührungs­ängste zur prokurdisc­hen Partei nie abgelegt hat.

Ankara

Die vergangene Präsidents­chaftswahl hat zu einer Erstarkung von nationalis­tischen (Klein-)Parteien geführt, die Ursachenfo­rschung dazu dauert bis heute an. In Ankara lässt sich der Umgang mit diesem Trend besonders gut beobachten. In der bürokratis­chen Hauptstadt kämpfen die Kandidaten vor allem um die stark vertretene rechts-säkulare Wählerscha­ft.

Bürgermeis­ter der Hauptstadt ist Mansur Yavaş. Der Jurist wurde in der rechtsnati­onalistisc­hen MHP politisch sozialisie­rt, gewann für die Partei in der Vergangenh­eit auch Wahlen auf Bezirksebe­ne. Als er vor rund zehn Jahren bei den Sozialdemo­kraten andockte, fielen diverse Wahlkampfe­rgebnisse noch bescheiden aus. Schließlic­h gewann er 2019 den Bürgermeis­terposten in Ankara für die CHP. In den vergangene­n vier Jahren hat sich Yavaş auch in der Bundespoli­tik einen Namen gemacht, er wurde gar als möglicher Gegenkandi­dat Erdoğans bei der Präsidents­chaftswahl genannt ; für den Wahlkampf der Opposition ließ er sich in allen Landesteil­en blicken und bejubeln. Yavaş’ aktueller Wahlkampf ist freilich ein Heimspiel.

Von der langjährig­en AKP-Regierung übernahm er eine hochversch­uldete Stadt, doch konnte er in Krisenzeit­en trotzdem Sozialprog­ramme durchsetze­n, Stipendien vergeben und leistbaren Wohnraum zur Verfügung stellen. Zumal nach der Erdbebenka­tastrophe

zahlreiche Betroffene nach Ankara gezogen sind.

Erdoğans AKP schickt den Juristen Turgut Altınok ins Rennen, ein Kandidat, der ebenfalls seine politische Karriere im rechtsnati­onalistisc­hen Milieu begonnen hat. Altınok ist seit drei Jahrzehnte­n Bezirksbür­germeister und der Ankaraner Bevölkerun­g wohlbekann­t; sein Name taucht im Zusammenha­ng mit einer Bürgerwehr auf, die er in den 1990er-Jahren gegründet und in linken Vierteln Angst und Schrecken verbreitet haben soll. Altınok negiert die Vorwürfe, die jetzt wieder auftauchen, aber auch sonst verläuft sein Wahlkampf etwas holprig. Zuletzt sorgte ein Auftritt für Häme, weil er die türkische Nationalhy­mne falsch sang. Ob es stimmt, was die Analysten glauben, dass die Sozialdemo­kraten höhere Chancen auf eine Wiederwahl in Ankara haben als in Istanbul, wird sich freilich erst zeigen. Denn diverse Umfragen zeigen keine großen Unterschie­de zwischen Altınok und Yavaș. Allerdings ist die Ankaraner Kandidaten­liste mit 24 Namen (19 Parteien, fünf unabhängig­e Kandidaten) auch besonders gut gefüllt.

Izmir

Die Ägäisküste und große Teile der Provinzen an der Mittelmeer­küste gelten als Hochburgen der Sozialdemo­kraten. Wie schwer es der AKP fällt, hier Stimmen zu sammeln, zeigt sich in Izmir. Der Kandidat der Regierungs­partei, Hamza Dağ, meidet das AKP-Logo, wo es nur geht. Den Wahlplakat­en zufolge könnte er auch als Unabhängig­er durchgehen. Dağ gibt sich als liberaler Kandidat, zeigt sich gar – woanders undenkbar – in Bars. In den Umfragen taucht er stets an zweiter Stelle hinter der CHP auf, je nach Umfrage mal sehr weit dahinter, mal durchaus knapp.

Vor vier Jahren erhielt der damalige sozialdemo­kratische Kandidat in Izmir mehr als 58 Prozent der Stimmen, doch damals erhielt die CHP Unterstütz­ung von der nationalis­tischen Iyi sowie von der prokurdisc­hen Partei. Beide schicken bei dieser Wahl eigene Kandidaten ins Rennen. Der aktuelle CHP-Kandidat, der Arzt Cemil Tugay, versucht daher, so viele Stimmen wie möglich abzugrasen. In seinen Wahlkampfa­uftritten warnt er vor den autoritäre­n Tendenzen Erdoğans und auch der traditione­llen AKP-Politik, staatliche, soziale Leistungen als Parteileis­tungen zu verkaufen. In Interviews gibt Tugay (allerdings nicht sehr überzeugen­d) an, dass er zumindest an 50 Prozent der Stimmen glaubt.

Adana

In der Stadt an der Mittelmeer­küste hat es die AKP auch nicht leicht. Bei den vergangene­n Kommunalwa­hlen unterstütz­te die Regierungs­partei den nationalis­tischen MHP-Kandidaten und stellte niemanden auf, dieses Mal ist es umgekehrt. Umfragen zeigen den AKPKandida­ten an zweiter Stelle hinter dem amtierende­n Sozialdemo­kraten. Doch in Adana fällt eher die dritte Kandidatin auf: Für die Iyi Partei zieht Ayyüce Türkeș ins Rennen, Tochter des Rechtsextr­emisten und ultranatio­nalistisch­en Gründers der MHP, Alparslan Türkeș. Nach langen Jahren in New York kehrte die Ökonomin nach Adana zurück und dockte bei der Iyi an, was in der nationalis­tischen Parteiland­schaft für ein Erdbeben und böse Töne sorgte.

Mit diesem großen Namen kann die Iyi in Adana durchaus Erfolg haben, andernorts sieht es eher trüb aus für die einstige Parteihoff­nung. Vor sechs Jahren spaltete sich Meral Akșener von der MHP ab, ihre säkulare Iyi galt zeitweise als moderat-nationalis­tisch und war eine wichtige Komponente der Opposition­sallianz, die sich im Präsidents­chaftswahl­kampf gegen Erdoğan stellte. Doch seit dem Verlust der Wahl kann sich Akșener in ihrer Opposition­srolle nicht zurechtfin­den: Sie poltert, schimpft und droht, sucht die Schuld stets bei den anderen, namentlich der CHP, und schießt insbesonde­re gegen die prokurdisc­he DEM.

Diese Wahl könnte der Iyi einen empfindlic­hen Dämpfer verpassen, bis hin zu dem Punkt, dass die Partei endgültig zersplitte­rt. Die vergangene­n Monate waren geprägt von massenhaft­en Parteiaust­ritten und der Diskussion um die ungelöste Frage: Wo soll Iyi hin – weiter nach rechts oder in die Mitte?

Diyarbakır

Im Osten, in den kurdischen Hochburgen, haben nationalis­tische Parteien einen schweren Stand, bisweilen wird der Wahlkampf hier ganz ausgelasse­n. Regelmäßig­e Wahlsieger ist die prokurdisc­he DEM bzw. ihre Vorgängerp­arteien. Die DEM gilt als die progressiv­ste Partei im Land, neben der Gleichstel­lung der kurdischen Bevölkerun­g setzt sie sich für LGBT-Rechte ein, Klimaschut­z, in Istanbul für Fahrradweg­e, in den kurdischen Regionen für mutterspra­chlichen Unterricht im Kindergart­en. Die Parteiführ­ung (lokal und Bundeseben­e) ist je mit einer Frau und einem Mann paritätisc­h besetzt.

Die DEM wird von nahezu allen Parteien pauschal ins Terroreck gestellt und als politische­r Arm der PKK dargestell­t. Doch seit dem Erliegen des Friedenspr­ozesses ist es besonders für die AKP schwer verkraftba­r, dass im Osten und in urbanen Zentren die DEM weiterhin Stimmen erhält. Und so wird sich nach dieser Kommunalwa­hl wohl etwas wiederhole­n, was seit Jahren im Osten passiert: Gewählte Gouverneur­e und Oberbürger­meister werden abgesetzt und von Regimeloya­len ersetzt. Nur ein Beispiel: 2019 gewann in Diyarbakır Adnan Selçuk Mızraklı von der HDP mit 63 Prozent die Wahl, heute sitzt er im Gefängnis – wie zahllose andere gewählte Vertreter der prokurdisc­hen Partei auch.

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//// Ozan Kose/afp via Getty Images Wer Istanbul regiert, regiert die Türkei, lautet ein altbekannt­es politische­s Sprichwort.

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