Jetzt sollen wir an allem Schuld sein?
Exxon dreht den Spieß um: Nicht Ölkonzerne seien verantwortlich für den Klimawandel, sondern knausrige Kunden. Für grüne Alternativen habe die Welt »zu lang gewartet«. Diese Verkehrung der Tatsachen ist frech, hat aber System.
Wer noch auf der Suche nach dem Schuldigen für die Klimakrise ist, Exxon-Chef Darren Woods hilft gern aus: Nicht die Regierungen, nicht die Ölkonzerne tragen die Verantwortung, sondern die unwilligen Konsumenten, sagte er dieser Tage dem US-Wirtschaftsmagazin „Fortune“: „Wir haben Möglichkeiten, Treibstoff mit weniger CO2 zu machen“, gab er zu Protokoll. Das „schmutzige Geheimnis“sei aber, wie viel das koste und dass „die Menschen nicht bereit sind, dafür zu bezahlen“. Er sieht für die Entwicklung von grünen Alternativen schwarz. Die Welt habe sich schlichtweg „zu lang Zeit gelassen“, erklärt der Chef des größten westlichen Ölkonzerns.
Seit das Interview veröffentlicht wurde, gehen die Wogen hoch. Nicht nur, weil Woods darin einen höchst fantasievollen Umgang mit Fakten betreibt: In Europa können die Versorger etwa gar nicht genug grünen Flugtreibstoff (SAF) erzeugen, um die Nachfrage der Airlines zu bedienen. Von mangelnder Nachfrage nach sauberer Energie kann hier also keine Rede sein. Die Aussagen des Managers sind auch Teil einer Ablenkungsstrategie in Sachen Klima, auf die „Big Oil“seit Langem vertraut: Erst so tun, als wäre nichts. Und wenn nichts mehr zu leugnen ist, mit dem Finger auf andere zeigen.
Hauptsache, es fällt unter den Tisch, dass Exxon Mobil selbst nachweislich alles dafür getan hat, um die Entwicklung grüner Alternativen zu verschleppen. Der Ölkonzern wusste bekanntlich seit 1977 besser über die Rolle von Öl und Gas in der Erderwärmung und die Risken des Klimawandels Bescheid als die meisten Forscher in dieser Zeit. Das hinderte ihn aber nicht daran, das Gegenteil zu behaupten und Klimaprognosen als „zu unsicher“zu denunzieren, um daraus politische Maßnahmen abzuleiten. Auch die Tatsache, dass die Staaten immer noch mehr Subventionen für Fossile als für Erneuerbare ausgeben, ist ein anderes „schmutziges Geheimnis“, das Woods lieber nicht enthüllen wollte. Stattdessen schiebt er den Konsumenten den schwarzen Peter zu. Sollen doch die Autofahrer plötzlich die Welt retten, wenn sie es sich leisten können. „Das ist, wie wenn ein Drogenbaron jeden für Drogenprobleme verantwortlich macht außer sich selbst“, zitiert der „Guardian“den austro-amerikanischen Klimaökonomen Gernot Wagner. Auch diese Taktik ist nicht neu. So war es der Ölkonzern BP, der 2004 das Konzept des persönlichen CO2-Fußabdrucks erfand. Statt die Politik aufzufordern, das klimaschädliche Verbrennen von Kohle, Öl und Gas zurückzudrängen, sollten die Menschen lieber schamgebeugt in BPs Onlinerechner schauen und austüfteln, wie sie selbst klimaneutral leben können, während der Ölkonzern weitermachen konnte wie eh und je.
Das schlechte Gewissen. Dass die Schuld an der Klimamisere nicht bei Einzelpersonen zu suchen ist, ist mittlerweile auch wissenschaftlich gut belegt. In Österreich sei es etwa aufgrund der Rahmenbedingungen „quasi unmöglich“klimafreundlich zu leben, sagt Sozialökonom Ernest Aigner, der einen entsprechenden Bericht des Austrian Panel on Climate Change mit verfasst hat. Aber Aussagen wie jene des ExxonChefs befeuern das schlechte Gewissen bei Einzelnen und nähren die Sorge, dass Klimaschutz nur mit jeder Menge Verzicht und enormen finanziellen Einbußen zu haben ist.
Bewährte Taktik: Leugnen bis es nicht mehr geht. Und dann mit dem Finger auf andere zeigen.
Auch dieser Fokus auf die Kosten der Energiewende ist taktisch gut gewählt. Die Inflation der vergangenen Jahre hat die Menschen auf das Thema sensibilisiert. Seit Monaten wird in Europa etwa der Green Deal unter dem Kostenargument scheibchenweise demontiert. Differenzierungen, wie etwa ein Bericht des Internationalen Währungsfonds, der den Einfluss der Klimaschutzmaßnahmen auf die Teuerung als deutlich kleiner als jener der fossilen Energiepreiskrise einschätzt, haben da kaum noch Platz.
Klagen gegen eigene Investoren. Der texanische Ölgigant Exxon macht schon lang kein Geheimnis mehr daraus, was er vom propagierten Zurückfahren der Fossilen aus dem Energiesystem hält. Exxon investiert einen Großteil seines Geldes in neue Öl- und Gasprojekte und klagt seine eigenen Investoren, wenn sie auf Aktionärsversammlungen nach einer klimafreundlicheren Strategie fragen. Spricht der Ölriese doch einmal darüber, wie sich die Welt auf Erwärmung vorbereiten soll, fällt ihm meist nur der vermeintliche Heilsbringer CCS (Carbon Capture and Storage) ein. Zwar wird das Abscheiden und Speichern von Kohlendioxid nach Ansicht von Experten notwendig sein, um die Klimaziele zu erreichen. Doch der Beitrag von CCS wird kleiner sein, als in der Branche oft behauptet wird. Wie wenig die Öl- und Gasfirmen selbst an ihren großen Hoffnungsträger glauben, zeigt sich bei Investitionen, sagt Fatih Birol, Chef der Internationalen Energieagentur (IEA). Die Idee, dass die Ölund Gaskonzerne weitermachen können wie bisher und ihre Emissionen einfach einfangen, sei „Fantasie“, schreibt er auf X. Um ihre fossilen Emissionen mittels CCS unschädlich zu machen, müsste die Branche 3,5 Billionen US-Dollar in die Technologie investieren. Fast Tausend Mal mehr, als es ihr tatsächlich wert war.