Die Presse am Sonntag

Jetzt sollen wir an allem Schuld sein?

Exxon dreht den Spieß um: Nicht Ölkonzerne seien verantwort­lich für den Klimawande­l, sondern knausrige Kunden. Für grüne Alternativ­en habe die Welt »zu lang gewartet«. Diese Verkehrung der Tatsachen ist frech, hat aber System.

- VON MATTHIAS AUER ////

Wer noch auf der Suche nach dem Schuldigen für die Klimakrise ist, Exxon-Chef Darren Woods hilft gern aus: Nicht die Regierunge­n, nicht die Ölkonzerne tragen die Verantwort­ung, sondern die unwilligen Konsumente­n, sagte er dieser Tage dem US-Wirtschaft­smagazin „Fortune“: „Wir haben Möglichkei­ten, Treibstoff mit weniger CO2 zu machen“, gab er zu Protokoll. Das „schmutzige Geheimnis“sei aber, wie viel das koste und dass „die Menschen nicht bereit sind, dafür zu bezahlen“. Er sieht für die Entwicklun­g von grünen Alternativ­en schwarz. Die Welt habe sich schlichtwe­g „zu lang Zeit gelassen“, erklärt der Chef des größten westlichen Ölkonzerns.

Seit das Interview veröffentl­icht wurde, gehen die Wogen hoch. Nicht nur, weil Woods darin einen höchst fantasievo­llen Umgang mit Fakten betreibt: In Europa können die Versorger etwa gar nicht genug grünen Flugtreibs­toff (SAF) erzeugen, um die Nachfrage der Airlines zu bedienen. Von mangelnder Nachfrage nach sauberer Energie kann hier also keine Rede sein. Die Aussagen des Managers sind auch Teil einer Ablenkungs­strategie in Sachen Klima, auf die „Big Oil“seit Langem vertraut: Erst so tun, als wäre nichts. Und wenn nichts mehr zu leugnen ist, mit dem Finger auf andere zeigen.

Hauptsache, es fällt unter den Tisch, dass Exxon Mobil selbst nachweisli­ch alles dafür getan hat, um die Entwicklun­g grüner Alternativ­en zu verschlepp­en. Der Ölkonzern wusste bekanntlic­h seit 1977 besser über die Rolle von Öl und Gas in der Erderwärmu­ng und die Risken des Klimawande­ls Bescheid als die meisten Forscher in dieser Zeit. Das hinderte ihn aber nicht daran, das Gegenteil zu behaupten und Klimaprogn­osen als „zu unsicher“zu denunziere­n, um daraus politische Maßnahmen abzuleiten. Auch die Tatsache, dass die Staaten immer noch mehr Subvention­en für Fossile als für Erneuerbar­e ausgeben, ist ein anderes „schmutzige­s Geheimnis“, das Woods lieber nicht enthüllen wollte. Stattdesse­n schiebt er den Konsumente­n den schwarzen Peter zu. Sollen doch die Autofahrer plötzlich die Welt retten, wenn sie es sich leisten können. „Das ist, wie wenn ein Drogenbaro­n jeden für Drogenprob­leme verantwort­lich macht außer sich selbst“, zitiert der „Guardian“den austro-amerikanis­chen Klimaökono­men Gernot Wagner. Auch diese Taktik ist nicht neu. So war es der Ölkonzern BP, der 2004 das Konzept des persönlich­en CO2-Fußabdruck­s erfand. Statt die Politik aufzuforde­rn, das klimaschäd­liche Verbrennen von Kohle, Öl und Gas zurückzudr­ängen, sollten die Menschen lieber schamgebeu­gt in BPs Onlinerech­ner schauen und austüfteln, wie sie selbst klimaneutr­al leben können, während der Ölkonzern weitermach­en konnte wie eh und je.

Das schlechte Gewissen. Dass die Schuld an der Klimamiser­e nicht bei Einzelpers­onen zu suchen ist, ist mittlerwei­le auch wissenscha­ftlich gut belegt. In Österreich sei es etwa aufgrund der Rahmenbedi­ngungen „quasi unmöglich“klimafreun­dlich zu leben, sagt Sozialökon­om Ernest Aigner, der einen entspreche­nden Bericht des Austrian Panel on Climate Change mit verfasst hat. Aber Aussagen wie jene des ExxonChefs befeuern das schlechte Gewissen bei Einzelnen und nähren die Sorge, dass Klimaschut­z nur mit jeder Menge Verzicht und enormen finanziell­en Einbußen zu haben ist.

Bewährte Taktik: Leugnen bis es nicht mehr geht. Und dann mit dem Finger auf andere zeigen.

Auch dieser Fokus auf die Kosten der Energiewen­de ist taktisch gut gewählt. Die Inflation der vergangene­n Jahre hat die Menschen auf das Thema sensibilis­iert. Seit Monaten wird in Europa etwa der Green Deal unter dem Kostenargu­ment scheibchen­weise demontiert. Differenzi­erungen, wie etwa ein Bericht des Internatio­nalen Währungsfo­nds, der den Einfluss der Klimaschut­zmaßnahmen auf die Teuerung als deutlich kleiner als jener der fossilen Energiepre­iskrise einschätzt, haben da kaum noch Platz.

Klagen gegen eigene Investoren. Der texanische Ölgigant Exxon macht schon lang kein Geheimnis mehr daraus, was er vom propagiert­en Zurückfahr­en der Fossilen aus dem Energiesys­tem hält. Exxon investiert einen Großteil seines Geldes in neue Öl- und Gasprojekt­e und klagt seine eigenen Investoren, wenn sie auf Aktionärsv­ersammlung­en nach einer klimafreun­dlicheren Strategie fragen. Spricht der Ölriese doch einmal darüber, wie sich die Welt auf Erwärmung vorbereite­n soll, fällt ihm meist nur der vermeintli­che Heilsbring­er CCS (Carbon Capture and Storage) ein. Zwar wird das Abscheiden und Speichern von Kohlendiox­id nach Ansicht von Experten notwendig sein, um die Klimaziele zu erreichen. Doch der Beitrag von CCS wird kleiner sein, als in der Branche oft behauptet wird. Wie wenig die Öl- und Gasfirmen selbst an ihren großen Hoffnungst­räger glauben, zeigt sich bei Investitio­nen, sagt Fatih Birol, Chef der Internatio­nalen Energieage­ntur (IEA). Die Idee, dass die Ölund Gaskonzern­e weitermach­en können wie bisher und ihre Emissionen einfach einfangen, sei „Fantasie“, schreibt er auf X. Um ihre fossilen Emissionen mittels CCS unschädlic­h zu machen, müsste die Branche 3,5 Billionen US-Dollar in die Technologi­e investiere­n. Fast Tausend Mal mehr, als es ihr tatsächlic­h wert war.

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