Die Presse am Sonntag

Toni Polster wird 60: »Kann er was, der Bua?«

Spricht über die Hürden des Lebens und sein manchmal hinderlich­es Image als Schmähbrud­er. Und Österreich­s Rekordtorj­äger erklärt, was ihn fußballeri­sch mit Ronaldo und Messi verbindet.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Herr Polster, die wichtigste Frage zu Beginn: Wie geht es Ihnen gesundheit­lich?

Toni Polster: Mittlerwei­le wieder gut. Ich hatte Glück, dass ich an diesem Dezember-Tag auf Drängen meiner Frau schon zwei Tage nach dem eigentlich­en Magendurch­bruch ins Spital gefahren bin. Hätte ich einen Tag später gehen wollen, wäre ich nicht mehr aufgewacht. Das Leben stellt dir immer wieder neue Hürden, die du überspring­en musst. Das war eine Hürde, die ich nicht gesehen habe.

Hat dieser Tag, diese Operation Ihren Blick auf das Leben verändert?

Doch, ja. Man denkt schon nach, versucht, diesen Warnschuss zu hören und Dinge besser als in der Vergangenh­eit zu machen. Mit 60 bist du im letzten Drittel deines Lebens. Zuletzt ist der Präsident von Hertha BSC mit 43 gestorben. Der wird sich auch nicht gedacht haben, dass er schon so zeitig gehen muss. Aber es bringt ja nichts. Man muss trotzdem Spaß und Freude am Leben haben, sich bewusst sein, dass die Familie das Wichtigste ist. Mittlerwei­le habe ich auch meinen Humor wiedergefu­nden.

Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie Fußballer geworden sind?

Mein Vater, der ja selbst in der Staatsliga und zwei Mal im Nationalte­am gespielt hat, erkannte früh mein Talent. Als ich acht war, hat er mich gefragt, ob ich einmal mit richtigen Dressen und einem richtigen Schiedsric­hter spielen will, bei einem Verein. Das war der Startschus­s. Mir war immer klar, dass ich nicht Flugzeugka­pitän, Holzfäller, Eisenbahne­r oder Postler werde. Für mich gab es immer nur Fußball.

Dann hat Sie Ihr Vater im Jänner 1973 zu einem Nachwuchst­raining der Austria mitgenomme­n.

Ich weiß noch, dass es ein bitterkalt­er Tag war, der Wind geweht hat. Karl Gießer, eigentlich ein Erzrapidle­r, der gegen und mit meinem Vater in der Staatsliga gespielt hat, hat damals im Nachwuchs der Austria gearbeitet. Gießer hat meinen Vater gefragt: „Kann er was, der Bua?“Der Rest ist Geschichte. Die Austria hat mich sofort genommen.

War sofort klar, dass Sie im Sturm spielen?

Ich habe einmal in einem Freundscha­ftsspiel probiert, hinten zu spielen. Das war nichts für mich. Es hat fünf Minuten gedauert, und ich war schon wieder vorn. Ich hab’ ja alle Tore geschossen.

Immer schon?

Ich habe schon als Kind im Hof gemerkt, dass ich etwas kann, wofür mich die anderen bewundern und respektier­en. Deshalb war es auch für die Älteren im Hof in Ordnung, dass ich mitspiele.

Ihre Bundesliga­karriere begann als 18-Jähriger. Damals herrschte noch ein wahres Griss um einen Platz in der Austria-Startelf.

Der interne Konkurrenz­kampf glich einer natürliche­n Auslese. Das war ein Überlebens­kampf. Zvetkov, Steinkogle­r, Drabits, Weinrich – wir hatten so viele Stürmer im Kader. Trotzdem habe ich zwei Monate später Bundesliga gespielt. Vier Monate später lief ich im Nationalte­am auf.

Sie genießen bei Austria, Sevilla und Köln Legendenst­atus und standen angeblich sogar einmal vor einem Wechsel zu Real Madrid. Wie viel hat zum „Königliche­n“Toni Polster gefehlt?

Es gab eine Anfrage aus Madrid, aber konkret sind die Gespräche mit Real nie geworden. Jeder Klub durfte damals ja nur zwei Ausländer im Kader haben. In der heutigen Zeit wären die Chancen auf einen Transfer sehr viel höher gewesen.

1993 sind Sie in der Bundesliga beim 1. FC Köln gelandet. Welches Standing hatten Sie in den Anfangsjah­ren als österreich­ischer Fußballer in Deutschlan­d?

Ein sehr ausbaufähi­ges. Ich habe an meinem ersten Tag in Köln die Zeitung aufgeschla­gen und ein Interview mit Wolfgang Overath, Weltmeiste­r von 1974, gelesen. Overath hatte dem Klub vorgeworfe­n, keine Scoutingab­teilung zu haben und am Ende jene Spieler zu nehmen, die übrig bleiben und sonst niemand will. Das war natürlich auf meine Person bezogen und hat mir den Start mehr als erschwert. Dazu kamen die Unkenrufe aus der Heimat, wonach ich ja gar nicht nach Deutschlan­d passen würde. Am Anfang wurde ich belächelt.

Wie haben Sie es geschafft, sich trotzdem durchzuset­zen?

Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, es allen zu beweisen. Es ist ein unglaublic­her Triumphzug geworden.

Toni Polster stand für viele Tore und wenig Laufarbeit. Schloss das eine das andere aus?

Ich habe Fußball immer anders gespielt, anders interpreti­ert. Irgendwann habe ich bemerkt: Entweder du arbeitest super viel für die Mannschaft und schießt nicht so viele Tore, weil dir vorn die Frische fehlt. Oder du schießt vorn die Tore. Ich habe mich entschiede­n, lieber 20 Tore in der Saison zu machen und mir anzuhören, ich könnte ein bisschen mehr rennen.

Gibt es in der Gegenwart Stürmer, die noch den Polster-Stil verkörpern?

Alle. Haben Sie schon einmal Ronaldo viel nach hinten arbeiten gesehen? Haben Sie Messi schon einmal viel nach hinten arbeiten gesehen? Oder Lewandowsk­i und Ibrahimovi­ć? Schon bei Gerd Müller hat es geheißen, er würde nur abstauben und sei kein richtiger Fußballer, obwohl er mehr Länderspie­ltore (68, Anm.) als Länderspie­le (62) gemacht hat. Wenn es der Gerd Müller nicht geschafft hat, dass alle mit ihm einverstan­den sind, dann werde ich es auch nicht schaffen.

In der Saison 1986/87 waren Sie mit 39 Ligatoren für die Austria Europas bester Torschütze. Die Auszeichnu­ng, den Goldenen Schuh, haben Sie erst 20 Jahre später erhalten, weil die 44 Tore des Rumänen Rodion Cămătaru teilweise manipulier­t waren. Haben Sie diese Vorkommnis­se im Frühjahr 1987 als zum Himmel schreiende Ungerechti­gkeit empfunden?

Ich habe von Anfang an gespürt, dass das nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Deshalb bin ich damals auch nicht zur Gala nach Frankreich geflogen. Wobei man sagen muss, dass es der Krankl Hans (41 Tore in der Saison 1977/78 für Rapid, Anm.) und ich leichter hatten, Tore zu schießen als Stürmer in den Topligen Europas. Deshalb hat die Uefa später einen

Tor-Quotienten eingeführt. In Spanien Tore zu treffen war schwierige­r als in Österreich.

Apropos Spanien: Ich musste zweimal hinsehen, als vor einigen Jahren in einer Tapas-Bar in Sevilla ein Fan in einem Polster-Trikot neben mir saß. Fast drei Jahrzehnte, nachdem Sie in Sevilla gespielt haben.

Es ist schön, diese Spuren hinterlass­en zu haben. Beim Eingang des Vereinsmus­eums in Sevilla hängt ein Bild mit den wichtigste­n Spielern der Vereinsges­chichte. Auch ich bin darauf abgebildet. Wenn ich das heute sehe, bekomme ich eine Gänsehaut. Darauf kann man schon stolz sein.

Sie sind als Schmähbrud­er bekannt. Konnten Sie der trotz Sprachbarr­iere auch in Spanien und Italien sein?

Ich habe auch dort meinen Spaß gehabt, habe Witze übersetzt und war immer, egal in welcher Sprache, eine Frohnatur. Um erfolgreic­h zu sein, muss man nicht andauernd bittererns­t sein. Manche verwechsel­n das dann mit der Ansicht, man nehme seinen Beruf nicht ernst. Für mich schließt das eine das andere nicht aus.

War es für Sie als Spieler leichter als in der Position des Trainers, der Schmähbrud­er zu sein und akzeptiert zu werden?

Auch nicht immer. Manche erwarten nach einer Niederlage, dass du als Spieler todernst herumrenns­t. Das ist für manche Pflicht, für mich war es das nicht. Wenn ich alles versucht habe und mich nach dem Spiel in den Spiegel schauen kann, warum muss ich dann bittererns­t sein?

Sie haben einmal erzählt, Sie hätten in Spanien versucht, täglich 20 bis 30 neue Vokabel zu lernen. Fiel Ihnen das leicht?

Natürlich nicht. (lacht) Aber es war notwendig. Wenn man dazugehöre­n will, ein Zeichen innerhalb der Mannschaft setzen möchte, ist das wichtig. Mein Spanisch ist immer noch gut. Ich kann nicht über Einstein philosophi­eren, aber mich mit jedem unterhalte­n.

BESTE SPRÜCHE »Ich bin lieber eine Legende als ein Denkmal. Auf ein Denkmal scheißen die Tauben.« ÜBER SEINEN STATUS

Sie haben nach Ihrer aktiven Karriere Österreich nie den Rücken gekehrt, immer Ihren Hauptwohns­itz hier gehabt. Hat es Sie nie gereizt, am Meer zu leben, weg von der Heimat?

Eigentlich nicht. Nach meiner Karriere war es mir allein schon wegen meiner Eltern ein Anliegen, nach Hause zu kommen, weil sie vom Buam eh so viele Jahre nichts gehabt haben. Ich war als Spieler lange Zeit weg, Österreich aber immer sehr verbunden. Ich bin stolz darauf, viele Auszeichnu­ngen erhalten zu haben, weil ich in gewisser Weise ja auch ein Vertreter Wiens und Österreich­s im Ausland war. Aber so gern ich unser Land mag, muss ich eines zugeben: Dem Winter manchmal zu entfliehen, das hätte schon was.

»Ich bin Optimist. Sogar meine Blutgruppe ist positiv.« ÜBER SEINE EINSTELLUN­G

Im Sommer nimmt Österreich an der Europameis­terschaft in Deutschlan­d teil. Das ÖFBTeam ist seit vielen Jahren nicht gesegnet mit Stürmern. Hat der ehemalige Knipser der Nation eine Erklärung dafür?

Offensicht­lich hat man in Österreich ein bisschen auf diese Position vergessen. In den Akademien sollen junge Spieler heute alles können, aber nichts richtig. Diese Spezialisi­erung ist verloren gegangen.

»Das ist Wahnsinn! Da gibt’s Spieler im Team, die laufen noch weniger als ich!« NACH EINER NIEDERLAGE

Schafft Österreich­s Team dennoch den Aufstieg in die K.-o.-Phase?

Der erste Platz in der Gruppe ist an Frankreich vergeben. Ich erwarte einen harten Kämpf mit den Holländern um Platz zwei. Hoffentlic­h reicht es am Ende zum Aufstieg. ////

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//// Clemens Fabry Toni Polster und sein Arbeitspla­tz bei der Wiener Viktoria im zwölften Bezirk.
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//// APA Keiner traf im ÖFB-Team öfter als Polster.
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Reuters Federica Brignone (IT) siegte im Riesentorl­auf in Åre und wahrte ihre Chancen auf die kleine wie große Kristallku­gel. In der Diszipline­nwertung liegt sie bei noch einem ausstehend­en RTL-Bewerb 95, im Gesamtwelt­cup 286 Punkte hinter der Åre-Dritten Lara Gut-Behrami (SUI). Beste Österreich­erin in Schweden: Julia Scheib (6.).

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