Die Jungen, die nicht altern wollen
Die ist beileibe nichts Neues, trägt jetzt aber einen netztauglichen Namen – und nimmt immer größere Ausmaße an. Eine ganze Generation schmiert penibel und prophylaktisch gegen Falten und Flecken, die entsprechende Branche rüstet auf.
Es waren wilde Zeiten, als man die Sonnenstrahlung noch mit Alufolie zu potenzieren versuchte, für die nahtlose Bräune. Oder den Körper für ebenjenes Ergebnis mit Kokosöl marinierte. Als Alternativprogramm bei Regenwetter galt das Solarium, quasi ein Urlaub aus der Konserve. Gut für den hauseigenen Vitamin-D-Speicher, und es hebt die Stimmung, hieß es damals. Der „Sonnenbank Flavour“, wie ihn Deutschrapper Bushido einst besang, hat vielen geschmeckt.
Die Generation unter 30 hat andere Gelüste. Wohl auch, weil man sie grundverschieden gefüttert hat. Mit Kosmetik-Hauls (eigene Videoformate, in denen die neu gekauften Kosmetikartikel präsentiert werden), Filtern, Beauty-Routinen. Im Netz geht es heute weniger um gebräunte als um makellose Haut. Knapp 25.000 Beiträge subsumieren unter dem Hashtag #Solarium, unter #Sunscreen (zu Deutsch Sonnenschutz) sind es über eine Million. In Wien hat sich die Zahl der Sonnenstudios demgemäß in den letzten zwanzig Jahren auf 90 halbiert.
Sonnenschutz wird jeden Tag
„Ich war noch nie im Solarium“, sagt Katharina Strak, als wir sie an einem Dienstagvormittag am Schwedenplatz treffen. Von der gegenüber liegenden Straßenseite leuchten die gelben Lettern eines Sonnenstudios. „Für unsere Elterngeneration war das noch Selfcare“, für die 29-Jährige heute kaum nachvollziehbar. Auch Esra Müller hat sich noch nie künstlich bräunen lassen, erinnert sich aber gut an eine Jugend vor rund zehn Jahren, in der (heimlich) mit Selbstbräuner nachgeholfen wurde, „weil Bräune damals noch mehr Thema war“. Für Marie Hummer verhält es sich
Angst vor dem Alter(n)
mit dem Solarium wie mit einem „Guilty Pleasure“: Man gönnt es sich ab und an, im vollen Wissen über die Risiken, der Entspannung wegen.
Am Treffpunkt zwischen erstem und zweitem Wiener Gemeindebezirk hat sich nach einem verregneten Morgen gerade die Sonne blicken lassen. Es hat neun Grad. Und trotzdem tragen alle drei hier Anwesenden Sonnenschutz im Gesicht: Lichtschutzfaktor 30 bis 50+. Geschmiert wird nämlich jeden Tag unabhängig von Jahreszeit und Wetter, vorausgesetzt, man verlässt das Haus. Wieso? Um die eigene Haut vor UV-Strahlen zu schützen, das hat ästhetische wie gesundheitliche Gründe, erklären Hummer, Strak und Müller. Im Gespräch zeigt sich schnell, die Endund Mittzwanziger haben Ahnung von ihrer Haut, bezeichnen sie als Entgiftungsorgan und werfen mit Inhaltsstoffen und Skincare-Labels um sich. Hautpflege-Routinen, so ist man sich einig, haben etwas Ritualhaftes. Können gar Ängste besänftigen. Die Angst vor dem Altwerden etwa, oder zumindest dem Altausschauen. „So eine Routine hat dahingehend etwas Beruhigendes, weil ich weiß, ich tue etwas für meine Haut“, sagt Müller. Allgemeines Nicken.
Solarium versus Sonnenschutz. Freilich gibt es für dieses Unbehagen längst einen netztauglichen Ausdruck: „Age Anxiety“. Der macht sich auch hinter einem Hashtag gut. Eine ganze Generation soll daran leiden. Dabei ist es beileibe nichts Neues, sich vor dem Alter(n) zu fürchten. Das Ausmaß ist heute aber ein anderes. Jahrelanges Mahnen von Dermatologinnen und Ärzten, man solle seine Haut vor der Sonne schützen, hat nicht per Zufall auf einmal Gehör gefunden, man konnte sich dem Thema auf Social Media nur irgendwann nicht mehr entziehen.
Stars haben dort, genauso wie Durchschnittsbürger, immer öfter und recht breitenwirksam ihre mehrstufigen Hautpflegeroutinen geteilt. Morgens enden die allermeisten mit speziellem Sonnenschutzmittel fürs Gesicht. Unter entsprechenden Hashtags auf sozialen Kanälen stellt sich heute kaum noch jemand die Frage, ob eine tägliche Anwendung sinnvoll ist. Es geht hier vielmehr um die Vielfalt an Sonnencremen und darum, welche sich für wen am besten eignet. Eine Handvoll „daily reminder to apply sunscreen“findet man obendrein: Als Erinnerung schmieren sich Menschen vor laufender Kamera aus Tuben, Fläschchen, Dosen transparenten, unparfümierten, ja sogar sandabweisenden Inhalt mit matten oder glänzendem Finish (zwei Fingerlängen voll) ins Gesicht. Es gibt heute fast dreimal so viele Sonnenschutzmittel wie noch vor drei Jahren auf dem Markt, die Suchanfragen im Netz haben sich in den letzten beiden Jahren ebenfalls mehr als verdreifacht.
Eine erfreuliche Entwicklung, meint Dermatologin Daisy Kopera. Sie leitet das Zentrum für Ästhetische Medizin der Med-Uni Graz und ist Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologische Kosmetik und Altersforschung (ÖGDKA). „Nachdem UVLicht die Hautalterung beschleunigt, ist täglicher Sonnenschutz das Wichtigste für die Anti-Aging-Routine. Er macht 98 Prozent aus“, erklärt Kopera im Gespräch. „Im Solarium kauft man sich genau das, was man nicht will. Nämlich Falten, Runzeln und Flecken.“Dass das Bewusstsein dafür, vor allem unter jungen Menschen, enorm gewachsen ist, bekräftigt sie – auch wenn es noch immer Luft nach oben gebe: „In Australien zum Beispiel werden Kindergartenkinder täglich prophylaktisch eingeschmiert.“70 Prozent jener Patientinnen und Patienten, die stationär auf der Abteilung für Hautkrankheiten behandelt werden, leiden an UV-bedingtem Hautkrebs, sagt sie, „mit genug Sonnenschutz hätte man diese Fälle alle verhindern können“.
Faltenlose Zukunft. Die Akribie der Jungen rührt auch von ebenjenen abschreckenden Beispielen. Was Sonne anrichten könne, sehe man ja selbst bei der eigenen Elterngeneration, wie Strak erzählt. Und auch im Netz kursieren Negativexempel: Müller erinnert sich an das Bild eines Lkw-Fahrers aus den USA, das 2012 im „New England Journal of Medicine“veröffentlicht wurde. Aufgegriffen von vielen sogenannten Skinfluencern, jenen aktiven Nutzern, die in erster Linie Beauty-Inhalte (Make-up, Haut und Haar) teilen. Die linke Gesichtshälfte des Truckers war seines Berufes wegen täglich viele Stunden der Sonne ausgesetzt und war folglich um einiges faltiger als die rechte. „Für mich war das ein richtiges Schockbild, das hat Eindruck hinterlassen“, sagt Müller, den das Bild vor ein paar Jahren auch via Social Media erreicht hat. „Wenn ich einmal keine Sonnencreme drauf habe, laufe ich mittlerweile richtig unrund.“
Im Sommer versucht er, dem Zeitgeist entsprechend, die direkte Sonne zu meiden, zusätzlich zum Lichtschutzfaktor 50+. Auch das gehört zum Schützen der Haut. In der Sonne gebrutzelt wird heute längst nicht mehr so obstinat wie einst. „Ich liege jetzt nur noch in der Sonne, solang es Spaß macht“, sagt auch Hummer. „Früher war das ein richtiger Kampf. Es war viel zu heiß, zu heiß zum Lesen, zu heiß
aufgetragen, unabhängig von Jahreszeit und Wetter.
Gesellschaftlicher Druck bezieht sich jetzt mehr auf ewige Jugend als nahtlosen Bräune. »Wenn ich einmal keine Sonnencreme drauf habe, laufe ich mittlerweile richtig unrund.« ESRA MÜLLER Model, 29 Jahre
Pflege für die junge Haut hatte einst die Pickel zum Feind, heute sind es Linien und Fältchen. von (freilich porenlosem) Glas. »Das Wichtigste für die Anti-AgingRoutine ist Sonnenschutz. Er macht 98 Prozent aus.« DAISY KOPERA Fachärztin für Haut und Geschlechtskrankheiten
zum Schlafen, aber ich wollte braun werden.“Nach dem Urlaub wurde die Haut mit extra viel Feuchtigkeit gepflegt, Peelings gemieden für die länger anhaltende Bräune. „Heute ist der Teint eher egal.“Gesellschaftlicher Druck rührt jetzt von der ewigen Jugend, sagt Hummer: „Ich habe eigentlich keine große Angst vor Falten per se. Was mir Angst macht, ist, dass auch Botox immer gängiger wird. Und Falten eventuell als abnormal gelten, wenn ich erst einmal 40 bin.“
Berechtigtes Fürchten? Das in den USA ansässige Botox-Start-up Peachy bezeichnet die Generation Z (ab 1996 Geborene) als seine am schnellsten wachsende Kundengruppe. Die Suchanfragen nach Botox und Filler sind der Datenplattform Trendanalytics zufolge im vergangenen Jahr um mehr als 60 Prozent gestiegen. Auf TikTok jagt ein Vorher-Nachher-Vergleich den nächsten, junge Frauen stellen dort die Abwesenheit von Falten bei grantiger oder erstaunter Mimik zur Schau. Injiziert sollen die Stoffe möglichst vor der Fältchenbildung in kleiner Menge werden, im Szenejargon spricht man von „Baby-Botox“. „In den nächsten 20 Jahren werden wir noch nicht faltenlos, aber in 150 Jahren kann das gut sein“, sagt Hautärztin Kopera.
Botox zur Matura. Doris Wallentin bestätigt den Trend: „Die Jugend will heute schon extrem zeitig vorbeugen.“Seit 25 Jahren führt sie ihre Praxis für ästhetische Behandlungen und Schönheitsoperationen in Döbling. Immer öfter würden sich frisch Volljährige die Lahmlegung einzelner Gesichtsmuskeln zur Matura wünschen. „Es geht da nicht um das plakativ Aufgespritzte. Auch die, die sehr natürlich sein wollen, schauen auf ihr Äußeres und wollen optimieren.“Sinnvoll sei das in dem Alter nicht. Mittels Botox wird die Muskulatur ausgeknipst, mimische Falten so eliminiert. „Wo sich noch keine Falten bilden, braucht man auch nichts stillzulegen. Wer eine ausgeprägte Muskulatur hat, kann überlegen, mit 30 zu starten.“Weil die Stoffe vom Körper wieder abgebaut werden, schadet eine frühere Anwendung nicht, kostet aber unnötig.
Auch bei herkömmlicher AntiAging-Pflege lautet der Tenor in sozialen Netzwerken längst: Je früher, desto besser. Über 70 Prozent der Generation Z sollen dem Marktforschungsunternehmen Circana zufolge Anti-AgingSeren verwenden (zur Erinnerung: Die Ältesten unter ihnen sind 27 Jahre alt), der Markt dafür ist laut Trendanalytics in den letzten zwei Jahren um zehn Prozent gewachsen. Die Kosmetikbrand Bubble Skincare arbeitet dem „Wall Street Journal“zufolge mit 13- bis 14jährigen Botschafterinnen zusammen, um die Artikel zu bewerben, die zwar nicht explizit gegen Falten, aber gegen Augenringe und für ein ebenmäßigeres Hautbild sind. Solch quitschbunte Kosmetika hatten sich Jugendlichen einst angeboten, um pubertätsbedingte Pickel zu beseitigen. Heute sind schon erahnte Linien der Feind. Das ist freilich klug, kann man so Kundinnen und Kunden doch früh an die Marke binden und folglich mehr (weil länger) verkaufen.
Letztes Jahr machte das Video einer 14-Jährigen die Runde. Darin hat sie gezeigt, was sie tut, um „den Alterungsprozess zu verlangsamen“: Doppelte Reinigung, das Anwenden von Gesichtstonikum, Vitamin-C-Serum, Glykolsäure und Salicylsäure in dieser Reihenfolge und abschließend zwei verschiedene Arten von Feuchtigkeitscremen. In Großbritannien haben Hautärzte unlängst vor dem frühzeitigen Gebrauch diverser (Anti-Aging-) Produkte gewarnt, die Arztbesuche wegen Hautreaktionen davon haben dort wie auch in den USA zugenommen. Neben unzähligen Fläschchen und Tiegelchen
voller Cremes, Seren und chemischer Peelings werden auf TikTok Gesichtsbehandlungsgeräte, die die Absorption der Hautpflege fördern sollen, und Gua-Sha-Steine aus der traditionellen chinesischen Medizin für die Minimierung von Falten angepriesen. Manche bekleben Stirn und Wangen mit sogenannten Face Tapes über Nacht, wieder andere schwören auf Infrarotlicht-Lampen für alle Früh.
„Eine solche Routine hat während der Pubertät und auch in den frühen Zwanzigern noch keinen Sinn, weil die Haut da noch viele der zugeführten Stoffe von allein produziert“, sagt Wallentin. Haut könne durchaus überpflegt werden. „Die falsche Pflege kann Poren verstopfen oder zu Irritationen führen, bei zu häufigem Microneedling (der Behandlung der Haut mit sehr feinen Nadeln, Anm.) können sich etwa vermehrt Äderchen bilden.“
Das ist die Kehrseite der Medaille: Lobsam ist den Expertinnen zufolge die Beschäftigung mit der eigenen Haut und das Schützen vor UV-Strahlen, junge Menschen seien dadurch aber auch besonders anfällig für Werbe- und Marketing-Gags einzelner Labels. Vor allem Influencer genießen ein hohes Vertrauen unter jungen Menschen. Hinzu kommt, dass die Alterskohorte mit der idealisierten Version ihrer eigenen Gesichter aufgewachsen ist, durch Filter und Fotobearbeitungsapps. Ständig mit
Als Vorbild dient der »Glow« des Delfins oder die Oberfläche
„perfekter“Haut konfrontiert, will man freilich irgendwann am eigenen Gesicht basteln. KI-Filter, die das eigene Gesicht altern lassen, dabei gut fünfzig Jahre vorspulen, haben die Angst vor Falten und Flecken einmal mehr gefüttert.
Als Vorbild dienen derweil nicht einmal mehr Menschen, sondern Meerestiere und Objekte. So wollte man schon die glänzende Haut eines Delfins mit der richtigen Pflege nachahmen oder auch die Oberfläche von (freilich porenlosem) Glas, wie es Make-up-Artistin Pat McGrath für die Modenschau von Maison Margiela Anfang des Jahres tat. Schnell machten Kosmetikaffine im Netz zum Nachschminken das wohl verwendete Produkt aus: Kryolan Liquid Glass. Noch schneller war es dann vergriffen.
Ewige Jugend. Selbst wenn keine Kosten und Mühen gescheut werden (so manche steht vor der Schule oder Arbeit in aller Frühe auf für die Skincare-Routine), wird sich auch die Generation Z, und alles, was so nachkommt, von ihrer Jugend und Spannkraft als Bestandteil ihrer Identität irgendwann einmal verabschieden müssen. Gute Nachrichten hat Medizinerin Wallentin: „Eine faltige Haut kann genauso makellos sein. Es geht um den ,Glow‘, wie man so schön sagt.“Und auch wenn einige Empfehlungen auf TikTok verzichtbar sind, so ist die Aufwertung der Sonnencreme zum Wellnessprodukt dennoch ein Schritt in die richtige Richtung. ////