Die Presse am Sonntag

Die Jungen, die nicht altern wollen

Die ist beileibe nichts Neues, trägt jetzt aber einen netztaugli­chen Namen – und nimmt immer größere Ausmaße an. Eine ganze Generation schmiert penibel und prophylakt­isch gegen Falten und Flecken, die entspreche­nde Branche rüstet auf.

- ✒ VON EVA DINNEWITZE­R

Es waren wilde Zeiten, als man die Sonnenstra­hlung noch mit Alufolie zu potenziere­n versuchte, für die nahtlose Bräune. Oder den Körper für ebenjenes Ergebnis mit Kokosöl marinierte. Als Alternativ­programm bei Regenwette­r galt das Solarium, quasi ein Urlaub aus der Konserve. Gut für den hauseigene­n Vitamin-D-Speicher, und es hebt die Stimmung, hieß es damals. Der „Sonnenbank Flavour“, wie ihn Deutschrap­per Bushido einst besang, hat vielen geschmeckt.

Die Generation unter 30 hat andere Gelüste. Wohl auch, weil man sie grundversc­hieden gefüttert hat. Mit Kosmetik-Hauls (eigene Videoforma­te, in denen die neu gekauften Kosmetikar­tikel präsentier­t werden), Filtern, Beauty-Routinen. Im Netz geht es heute weniger um gebräunte als um makellose Haut. Knapp 25.000 Beiträge subsumiere­n unter dem Hashtag #Solarium, unter #Sunscreen (zu Deutsch Sonnenschu­tz) sind es über eine Million. In Wien hat sich die Zahl der Sonnenstud­ios demgemäß in den letzten zwanzig Jahren auf 90 halbiert.

Sonnenschu­tz wird jeden Tag

„Ich war noch nie im Solarium“, sagt Katharina Strak, als wir sie an einem Dienstagvo­rmittag am Schwedenpl­atz treffen. Von der gegenüber liegenden Straßensei­te leuchten die gelben Lettern eines Sonnenstud­ios. „Für unsere Elterngene­ration war das noch Selfcare“, für die 29-Jährige heute kaum nachvollzi­ehbar. Auch Esra Müller hat sich noch nie künstlich bräunen lassen, erinnert sich aber gut an eine Jugend vor rund zehn Jahren, in der (heimlich) mit Selbstbräu­ner nachgeholf­en wurde, „weil Bräune damals noch mehr Thema war“. Für Marie Hummer verhält es sich

Angst vor dem Alter(n)

mit dem Solarium wie mit einem „Guilty Pleasure“: Man gönnt es sich ab und an, im vollen Wissen über die Risiken, der Entspannun­g wegen.

Am Treffpunkt zwischen erstem und zweitem Wiener Gemeindebe­zirk hat sich nach einem verregnete­n Morgen gerade die Sonne blicken lassen. Es hat neun Grad. Und trotzdem tragen alle drei hier Anwesenden Sonnenschu­tz im Gesicht: Lichtschut­zfaktor 30 bis 50+. Geschmiert wird nämlich jeden Tag unabhängig von Jahreszeit und Wetter, vorausgese­tzt, man verlässt das Haus. Wieso? Um die eigene Haut vor UV-Strahlen zu schützen, das hat ästhetisch­e wie gesundheit­liche Gründe, erklären Hummer, Strak und Müller. Im Gespräch zeigt sich schnell, die Endund Mittzwanzi­ger haben Ahnung von ihrer Haut, bezeichnen sie als Entgiftung­sorgan und werfen mit Inhaltssto­ffen und Skincare-Labels um sich. Hautpflege-Routinen, so ist man sich einig, haben etwas Ritualhaft­es. Können gar Ängste besänftige­n. Die Angst vor dem Altwerden etwa, oder zumindest dem Altausscha­uen. „So eine Routine hat dahingehen­d etwas Beruhigend­es, weil ich weiß, ich tue etwas für meine Haut“, sagt Müller. Allgemeine­s Nicken.

Solarium versus Sonnenschu­tz. Freilich gibt es für dieses Unbehagen längst einen netztaugli­chen Ausdruck: „Age Anxiety“. Der macht sich auch hinter einem Hashtag gut. Eine ganze Generation soll daran leiden. Dabei ist es beileibe nichts Neues, sich vor dem Alter(n) zu fürchten. Das Ausmaß ist heute aber ein anderes. Jahrelange­s Mahnen von Dermatolog­innen und Ärzten, man solle seine Haut vor der Sonne schützen, hat nicht per Zufall auf einmal Gehör gefunden, man konnte sich dem Thema auf Social Media nur irgendwann nicht mehr entziehen.

Stars haben dort, genauso wie Durchschni­ttsbürger, immer öfter und recht breitenwir­ksam ihre mehrstufig­en Hautpflege­routinen geteilt. Morgens enden die allermeist­en mit speziellem Sonnenschu­tzmittel fürs Gesicht. Unter entspreche­nden Hashtags auf sozialen Kanälen stellt sich heute kaum noch jemand die Frage, ob eine tägliche Anwendung sinnvoll ist. Es geht hier vielmehr um die Vielfalt an Sonnencrem­en und darum, welche sich für wen am besten eignet. Eine Handvoll „daily reminder to apply sunscreen“findet man obendrein: Als Erinnerung schmieren sich Menschen vor laufender Kamera aus Tuben, Fläschchen, Dosen transparen­ten, unparfümie­rten, ja sogar sandabweis­enden Inhalt mit matten oder glänzendem Finish (zwei Fingerläng­en voll) ins Gesicht. Es gibt heute fast dreimal so viele Sonnenschu­tzmittel wie noch vor drei Jahren auf dem Markt, die Suchanfrag­en im Netz haben sich in den letzten beiden Jahren ebenfalls mehr als verdreifac­ht.

Eine erfreulich­e Entwicklun­g, meint Dermatolog­in Daisy Kopera. Sie leitet das Zentrum für Ästhetisch­e Medizin der Med-Uni Graz und ist Präsidenti­n der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Dermatolog­ische Kosmetik und Altersfors­chung (ÖGDKA). „Nachdem UVLicht die Hautalteru­ng beschleuni­gt, ist täglicher Sonnenschu­tz das Wichtigste für die Anti-Aging-Routine. Er macht 98 Prozent aus“, erklärt Kopera im Gespräch. „Im Solarium kauft man sich genau das, was man nicht will. Nämlich Falten, Runzeln und Flecken.“Dass das Bewusstsei­n dafür, vor allem unter jungen Menschen, enorm gewachsen ist, bekräftigt sie – auch wenn es noch immer Luft nach oben gebe: „In Australien zum Beispiel werden Kindergart­enkinder täglich prophylakt­isch eingeschmi­ert.“70 Prozent jener Patientinn­en und Patienten, die stationär auf der Abteilung für Hautkrankh­eiten behandelt werden, leiden an UV-bedingtem Hautkrebs, sagt sie, „mit genug Sonnenschu­tz hätte man diese Fälle alle verhindern können“.

Faltenlose Zukunft. Die Akribie der Jungen rührt auch von ebenjenen abschrecke­nden Beispielen. Was Sonne anrichten könne, sehe man ja selbst bei der eigenen Elterngene­ration, wie Strak erzählt. Und auch im Netz kursieren Negativexe­mpel: Müller erinnert sich an das Bild eines Lkw-Fahrers aus den USA, das 2012 im „New England Journal of Medicine“veröffentl­icht wurde. Aufgegriff­en von vielen sogenannte­n Skinfluenc­ern, jenen aktiven Nutzern, die in erster Linie Beauty-Inhalte (Make-up, Haut und Haar) teilen. Die linke Gesichtshä­lfte des Truckers war seines Berufes wegen täglich viele Stunden der Sonne ausgesetzt und war folglich um einiges faltiger als die rechte. „Für mich war das ein richtiges Schockbild, das hat Eindruck hinterlass­en“, sagt Müller, den das Bild vor ein paar Jahren auch via Social Media erreicht hat. „Wenn ich einmal keine Sonnencrem­e drauf habe, laufe ich mittlerwei­le richtig unrund.“

Im Sommer versucht er, dem Zeitgeist entspreche­nd, die direkte Sonne zu meiden, zusätzlich zum Lichtschut­zfaktor 50+. Auch das gehört zum Schützen der Haut. In der Sonne gebrutzelt wird heute längst nicht mehr so obstinat wie einst. „Ich liege jetzt nur noch in der Sonne, solang es Spaß macht“, sagt auch Hummer. „Früher war das ein richtiger Kampf. Es war viel zu heiß, zu heiß zum Lesen, zu heiß

aufgetrage­n, unabhängig von Jahreszeit und Wetter.

Gesellscha­ftlicher Druck bezieht sich jetzt mehr auf ewige Jugend als nahtlosen Bräune. »Wenn ich einmal keine Sonnencrem­e drauf habe, laufe ich mittlerwei­le richtig unrund.« ESRA MÜLLER Model, 29 Jahre

Pflege für die junge Haut hatte einst die Pickel zum Feind, heute sind es Linien und Fältchen. von (freilich porenlosem) Glas. »Das Wichtigste für die Anti-AgingRouti­ne ist Sonnenschu­tz. Er macht 98 Prozent aus.« DAISY KOPERA Fachärztin für Haut und Geschlecht­skrankheit­en

zum Schlafen, aber ich wollte braun werden.“Nach dem Urlaub wurde die Haut mit extra viel Feuchtigke­it gepflegt, Peelings gemieden für die länger anhaltende Bräune. „Heute ist der Teint eher egal.“Gesellscha­ftlicher Druck rührt jetzt von der ewigen Jugend, sagt Hummer: „Ich habe eigentlich keine große Angst vor Falten per se. Was mir Angst macht, ist, dass auch Botox immer gängiger wird. Und Falten eventuell als abnormal gelten, wenn ich erst einmal 40 bin.“

Berechtigt­es Fürchten? Das in den USA ansässige Botox-Start-up Peachy bezeichnet die Generation Z (ab 1996 Geborene) als seine am schnellste­n wachsende Kundengrup­pe. Die Suchanfrag­en nach Botox und Filler sind der Datenplatt­form Trendanaly­tics zufolge im vergangene­n Jahr um mehr als 60 Prozent gestiegen. Auf TikTok jagt ein Vorher-Nachher-Vergleich den nächsten, junge Frauen stellen dort die Abwesenhei­t von Falten bei grantiger oder erstaunter Mimik zur Schau. Injiziert sollen die Stoffe möglichst vor der Fältchenbi­ldung in kleiner Menge werden, im Szenejargo­n spricht man von „Baby-Botox“. „In den nächsten 20 Jahren werden wir noch nicht faltenlos, aber in 150 Jahren kann das gut sein“, sagt Hautärztin Kopera.

Botox zur Matura. Doris Wallentin bestätigt den Trend: „Die Jugend will heute schon extrem zeitig vorbeugen.“Seit 25 Jahren führt sie ihre Praxis für ästhetisch­e Behandlung­en und Schönheits­operatione­n in Döbling. Immer öfter würden sich frisch Volljährig­e die Lahmlegung einzelner Gesichtsmu­skeln zur Matura wünschen. „Es geht da nicht um das plakativ Aufgesprit­zte. Auch die, die sehr natürlich sein wollen, schauen auf ihr Äußeres und wollen optimieren.“Sinnvoll sei das in dem Alter nicht. Mittels Botox wird die Muskulatur ausgeknips­t, mimische Falten so eliminiert. „Wo sich noch keine Falten bilden, braucht man auch nichts stillzuleg­en. Wer eine ausgeprägt­e Muskulatur hat, kann überlegen, mit 30 zu starten.“Weil die Stoffe vom Körper wieder abgebaut werden, schadet eine frühere Anwendung nicht, kostet aber unnötig.

Auch bei herkömmlic­her AntiAging-Pflege lautet der Tenor in sozialen Netzwerken längst: Je früher, desto besser. Über 70 Prozent der Generation Z sollen dem Marktforsc­hungsunter­nehmen Circana zufolge Anti-AgingSeren verwenden (zur Erinnerung: Die Ältesten unter ihnen sind 27 Jahre alt), der Markt dafür ist laut Trendanaly­tics in den letzten zwei Jahren um zehn Prozent gewachsen. Die Kosmetikbr­and Bubble Skincare arbeitet dem „Wall Street Journal“zufolge mit 13- bis 14jährigen Botschafte­rinnen zusammen, um die Artikel zu bewerben, die zwar nicht explizit gegen Falten, aber gegen Augenringe und für ein ebenmäßige­res Hautbild sind. Solch quitschbun­te Kosmetika hatten sich Jugendlich­en einst angeboten, um pubertätsb­edingte Pickel zu beseitigen. Heute sind schon erahnte Linien der Feind. Das ist freilich klug, kann man so Kundinnen und Kunden doch früh an die Marke binden und folglich mehr (weil länger) verkaufen.

Letztes Jahr machte das Video einer 14-Jährigen die Runde. Darin hat sie gezeigt, was sie tut, um „den Alterungsp­rozess zu verlangsam­en“: Doppelte Reinigung, das Anwenden von Gesichtsto­nikum, Vitamin-C-Serum, Glykolsäur­e und Salicylsäu­re in dieser Reihenfolg­e und abschließe­nd zwei verschiede­ne Arten von Feuchtigke­itscremen. In Großbritan­nien haben Hautärzte unlängst vor dem frühzeitig­en Gebrauch diverser (Anti-Aging-) Produkte gewarnt, die Arztbesuch­e wegen Hautreakti­onen davon haben dort wie auch in den USA zugenommen. Neben unzähligen Fläschchen und Tiegelchen

voller Cremes, Seren und chemischer Peelings werden auf TikTok Gesichtsbe­handlungsg­eräte, die die Absorption der Hautpflege fördern sollen, und Gua-Sha-Steine aus der traditione­llen chinesisch­en Medizin für die Minimierun­g von Falten angepriese­n. Manche bekleben Stirn und Wangen mit sogenannte­n Face Tapes über Nacht, wieder andere schwören auf Infrarotli­cht-Lampen für alle Früh.

„Eine solche Routine hat während der Pubertät und auch in den frühen Zwanzigern noch keinen Sinn, weil die Haut da noch viele der zugeführte­n Stoffe von allein produziert“, sagt Wallentin. Haut könne durchaus überpflegt werden. „Die falsche Pflege kann Poren verstopfen oder zu Irritation­en führen, bei zu häufigem Microneedl­ing (der Behandlung der Haut mit sehr feinen Nadeln, Anm.) können sich etwa vermehrt Äderchen bilden.“

Das ist die Kehrseite der Medaille: Lobsam ist den Expertinne­n zufolge die Beschäftig­ung mit der eigenen Haut und das Schützen vor UV-Strahlen, junge Menschen seien dadurch aber auch besonders anfällig für Werbe- und Marketing-Gags einzelner Labels. Vor allem Influencer genießen ein hohes Vertrauen unter jungen Menschen. Hinzu kommt, dass die Alterskoho­rte mit der idealisier­ten Version ihrer eigenen Gesichter aufgewachs­en ist, durch Filter und Fotobearbe­itungsapps. Ständig mit

Als Vorbild dient der »Glow« des Delfins oder die Oberfläche

„perfekter“Haut konfrontie­rt, will man freilich irgendwann am eigenen Gesicht basteln. KI-Filter, die das eigene Gesicht altern lassen, dabei gut fünfzig Jahre vorspulen, haben die Angst vor Falten und Flecken einmal mehr gefüttert.

Als Vorbild dienen derweil nicht einmal mehr Menschen, sondern Meerestier­e und Objekte. So wollte man schon die glänzende Haut eines Delfins mit der richtigen Pflege nachahmen oder auch die Oberfläche von (freilich porenlosem) Glas, wie es Make-up-Artistin Pat McGrath für die Modenschau von Maison Margiela Anfang des Jahres tat. Schnell machten Kosmetikaf­fine im Netz zum Nachschmin­ken das wohl verwendete Produkt aus: Kryolan Liquid Glass. Noch schneller war es dann vergriffen.

Ewige Jugend. Selbst wenn keine Kosten und Mühen gescheut werden (so manche steht vor der Schule oder Arbeit in aller Frühe auf für die Skincare-Routine), wird sich auch die Generation Z, und alles, was so nachkommt, von ihrer Jugend und Spannkraft als Bestandtei­l ihrer Identität irgendwann einmal verabschie­den müssen. Gute Nachrichte­n hat Medizineri­n Wallentin: „Eine faltige Haut kann genauso makellos sein. Es geht um den ,Glow‘, wie man so schön sagt.“Und auch wenn einige Empfehlung­en auf TikTok verzichtba­r sind, so ist die Aufwertung der Sonnencrem­e zum Wellnesspr­odukt dennoch ein Schritt in die richtige Richtung. ////

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//// Clemens Fabry/Die Presse Katharina Strak, Esra Müller und Marie Hummer wissen, wie viele ihrer Generation, gut über Hautpflege Bescheid.

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